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Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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von Annette van Dyck
Interessant, wie diese Geschichte auch mit derjenigen des Tanztheaters verwoben ist: Erich Walter, der 1964 an die Düsseldorfer Oper kam, hatte den Wuppertalern Pina Bausch als seine Nachfolgerin anempfohlen - das Publikum dort reagierte zunächst sehr irritiert, war man doch den auf dem klassischen Repertoire aufbauenden Stil Walters gewohnt.
Mit der Gestaltung von 'Der Tod und das Mädchen' hatte sich Walter quasi vom Wuppertaler Theater verabschiedet und kam nach Düsseldorf, wo das Ballett seit 1972 zum Repertoire gehört; mittlerweile zählt man diese Arbeit neben einigen von John Neumeyer zu den bedeutendsten Choreographien zu Musik von Schubert.
Ähnliches gilt für Nils Christes Bearbeitung von 'Pulcinella': 1986 für das Rotterdamer Scapino-Ballett ausgedacht, inszenierte der Holländer, der ehemals mit dem Nederlands Dans Theater tanzte, das als Beispiel für eine gelungene Anknüpfung an die Commedia dell'Arte vielzitierte Ballett 1990 auch für die Düsseldorfer Bühne.
Eigentlich schade, daß diese Zusammenhänge nicht im Programmheft näher erläutert wurden und ich erstmal eine Ballettomanin konsultieren mußte, um den Bezug zu verstehen zwischen der tiefromantischen Schubert-Choreographie über Todessehnsucht und Lebenshunger und der urkomischen Parodie auf Liebe, Eifersucht, Leidenschaft und (gespieltem) Tod.
Eine 'Handlung' darzulegen ist nicht beabsichtigt, die formale Ordnung gibt weitgehend die Musik vor - das Streichquartett von Schubert, in dessen 2. Satz das 'Todesthema' aus dem Lied 'Der Tod und das Mädchen' variiert wird. Dieser Satz wird zum großen Pas de Deux von 'Tod' und 'Mädchen' - Assoziationen an den spätmittelalterlichen Totentanz drängen sich auf, wenn im dritten und vierten Satz die anderen Paare einen Reigen bilden, und sie werden durch die Kostüme der Tänzer (Pet Halmen) noch leicht unterstrichen.
Es ist meines Erachtens bemerkenswert, aber für die Ballett-Aufführungen der Deutschen Oper selbstverständlich, daß ausschließlich zu live gespielter Musik getanzt wird. Zudem hörten wir eine ausgezeichnete Interpretation des vielgehörten Schubert-Quartettes (Siegfried Rivinius, Odette Couch-Burger, Karla Rivinius, Friedemann Pardall), die zwischen süßlichem Gesäusel und grober Saitenzerrung mit immer genau dem richtigen Strich dargeboten wurde.
Der tänzerisch tadellose und akrobatisch sichere Jörg Simon verkörperte einen leicht machohaften 'Tod', der fast an Shakespeares Petruccio aus 'Der Widerspenstigen Zähmung' erinnerte - vielleicht wegen seines olivfarbenen Kostüms. Allerdings paßte auch die teils kokette, teils verzweifelte Unentschlossenheit des 'Mädchens' - getanzt von Alicia Olleta mit überzeugendem Schauspiel und Leichtigkeit vorgaukelnder Konzentration - in dieses Schema.
Nicht nur synchron in ihren Bewegungen, wenn es darauf ankam, sondern auf gleich hohem tänzerischen wie schauspielerischen Niveau auch die anderen Paare (Fiona Fielding, Katia Pagano, Martine Smorto, Olivier Deguine, Stefan Friedenreich, Jörg Mannes)!
Nahezu alles an der Commedia entspricht tausendmal wiederholten Schemata: es gibt immer lustige und lächerliche Liebhaber, kokette, plumpkomische oder spröde Mädchen, den wichtigen Dottore, den hintergangenen alten Ehemann und dergleichen mehr; doch immer wieder macht es Spaß die ewig gleichen Verwicklungen zu beobachten.
Für 'Pulcinella' arrangierte und bearbeitete Igor Strawinsky 1919 Teile aus klassizistischen Kompositionen Pergolesis; in diesem Stück geht es um den buckligen und langnasigen Pulcinella, der nichtsdestotrotz als Liebling der Frauen einige Verwirrung stiftet. Die Musik unterstützt den parodistischen Zug des Ganzen, wie haben wir in der 'Klageszene' mit den Seufzern des Orchesters mitgelitten... - sehr engagiert: die Duisburger Sinfoniker unter der Leitung von Ira Levin.
So brach nach der vollendeten Ästhetik der Bewegung und Tiefe der Musik im ersten Teil mit 'Pulcinella' die Zeit der Pantomime, des Unernstes und rasanten Verwechselungsspiels an; Nils Christe hat das Konzept des Uraufführungschoreographen durch einige Figuren und Handlungsvarianten wirkungsvoll erweitert: Wundervoll, wie die verschiedenen Charaktere sich durch ihre Bewegungen unterschieden. Toll, die schauspielerische Leistung von 'Pulcinella' Catalin Tiganasu und 'Pimpinella' Eleonora Gori, deren erschrecktes Staunen ob der Menge an gleichaussehenden Pulcinellas jedesmal auf Neue überzeugte und uns zum Lachen brachte.
Eine Inszenierung und Darbietung, deren Liebe zum Detail mir begeisterungswürdig scheint: sogar die Sterne auf blauem Bühnenhintergrund waren wie die Figuren schematisch angeordnet.