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Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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![]() LuluOper in drei Akten Premiere des Schillertheaters NRW Die rar aufgeführte 'Lulu' in GelsenkirchenLangweilige Inszenierung, beeindruckende Intonation"Ein Kunstwerk realer Humanität"?Wir lieben und verehren
den Musikphilosophen Theodor W. Adorno, soweit wir seine Meinung teilen,
aber in Bezug auf 'Lulu' können wir uns nicht mit Adornos Ansicht
abfinden, daß 'Alwa', 'Lulus' dritter offizieller Mann, der 'humane
Retter der Verfemten', das Fanal gegen die Prüderie sein könnte
und 'Lulu' das Tier ohne Bewußtsein, das sich "im Jenseits den
Schlaf aus den Augen reibt".
Nein, nein: Wedekind, der Autor der literarischen Vorlagen, bietet doch
etwas mehr Interpretationsspielraum, wenn er die Namenlosigkeit 'Lulus'
zur Sprache bringt ("Ich nannte sie Mignon." - "Ich meinte,
sie hieße Nelly."). Es geht in 'Lulu' um sexuelle Freizügigkeit
und komplizierte Beziehungen, um die Doppelmoral von Ehemännern und
die vergängliche Macht der Frau, um die Angst der Männer vor
der weiblichen Kaltblütigkeit, um männliche Egozentrik, weibliche
Abhängigkeiten und ganz generell um das Geliebt-werden-wollen. Nebenbei
verteilt Wedekind Seitenhiebe auf die Kunst, die Wirtschaft und die Salonkultur
der zwanziger Jahre.
Alles in allem also ziemlich interessante Themen, die von Alban Berg in
den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts in wunderschöne moderne
Musik verpackt wurden. Es klingt nach Gershwin und Puccini, Strauss;
und Debussy, will sagen, eben nach Berg. 'Lulu' hat einen bestechenden
Koloratur-Sopran-Part zu singen, wer tiefe Frauenstimmen liebt, wird den
Part der 'Geschwitz' mögen, und die Männerrollen decken beinahe
die ganze Palette der Stimmregister ab vom tiefen Baßbuffo bis zum
jugendlichen Heldentenor. EIN GÄHNEN MACHTE SICH BREITLeider verstand sich
die Inszenierung nicht darauf, auch nur eine interessante Nuance des Stoffes
herauszustellen. Wollte man alles und damit gar nichts? Oder hatte man
sich insgeheim der (auch im Programmheft abgedruckten) Interpretation Adornos
angeschlossen, die alle 'Schuld' der Frau zuschiebt und über ein Bild
der 'femme fatale' als männermordende Lolita nicht hinauskommt?
Aber gut, selbst altmodische Ansichten lassen sich fesselnd vorstellen!
Hier aber verstärkte sich von Stunde zu Stunde (insgesamt 3 3/4 Stunden!)
der gelangweilte Eindruck, daß die Inszenierungsarbeit über
den Entwurf einer aufwendigen Bühne nicht hinausgekommen war. Es gab
kaum Lichtveränderungen (Licht ist als Gestaltungspart der Inszenierung
im Programmheft auch gar nicht vorgesehen), eine konzeptlose Requisite
(manches gab es, anderes eben nicht) und keine Umbauten außer einem
gelegentlich heruntergelassenen Vorhang und der netten Idee, Sofas mit
Stehlampen im Raum schweben zu lassen. Der ungewöhnlichste Vorgang
war eine (in der Partitur ohnehin vorgesehene) Stummfilmprojektion, die
aber weitgehend wiederholte, was wir auf der Bühne schon gesehen hatten
- immerhin beinhaltete dieser Effekt mal einen Perspektivenwechsel.
Danach bzw. nach dem zweiten Akt hätte gut und gerne Schluß
sein können, aber es gibt die posthume Nachkomposition des dritten
Aktes durch Friedrich Cerha nun einmal; und sie beruht selbstverständlich
auf gesicherten Quellen und gewissenhafter Arbeit, und schließlich
enthält sie wirklich noch einige dramaturgisch wertvolle Szenen (wie
z. B. das Ende der 'Lulu'). Doch die 'Geschwitz' auf die vollerleuchtete
Bühne treten zu lassen mit den Worten "Wie dunkel es hier ist.",
gemahnte wirklich nicht an Brechtsches Lehrtheater, sondern eher an Einfallslosigkeit.
LITERATUROPERN UND DIE TEXTVERSTÄNDLICHKEITMag sein, daß Bergs
zweite Oper stellenweise etwas zu üppig instrumentiert ist (nämlich
u. a. mit 5 Kontrabässen), um die Feinheiten eines aus den Tragödien
"Erdgeist" und "Die Büchse der Pandora" komponierten
literarischen Stoffes rein akustisch verständlich werden zu lassen.
Uns erreichten jedenfalls höchstens dreißig Prozent des Textes;
der Rest ging in der oft auch zu lauten Musik unter.
Ansonsten war die musikalische Seite der Lichtblick des Abends: das Orchester
schlug sich wacker unter seinem Leiter Johannes Wildner durch die schwierige
Partitur, Judy Berry als 'Lulu' beherrschte ihre Partie mit glänzender
Leichtigkeit, Gudrun Pelkers dramatischer, weicher Mezzosopran paßte
herrvorragend zu der tragischen Figur der 'Gräfin Geschwitz', sämtliche
Männerrollen waren gut besetzt; besonders gefielen mir Nikolai Schukoff
als selbstmordgefährdeter 'Maler' wegen seiner ruhigen, ausdrucksstarken
Darstellung und einer ebensolchen Stimme sowie Krzysztof Klorek als zwielichtiger
'Athlet', dessen Auftritte die ganze Bühne mit Leben füllen konnten
und der mehr als sonst jemand um Sprachdeutlichkeit bemüht war.
Ausfälle gab es nicht zu verzeichnen; im Gegenteil gelang es dem Ensemble
durch eine runde musikalische und schauspielerische Leistung dem Abend,
der schon kein Salz abbekommen hatte, noch ein wenig 'Pfeffer' zu verleihen.
FAZIT
Leider ist die Gelsenkirchener 'Lulu' nicht uneingeschränkt empfehlenswert,
und das ist eine Schande, da diese Oper so selten aufgeführt wird,
daß sie - wenn schon - eine durchdachte und sorgfältige Inszenierung
verdient. Stattdessen macht sich nach ca. einer Stunde ziemliche Langeweile
breit.
Aber gehen Sie die eine Stunde hin, Karten gibt's genug, und die Preise
ruinieren ja nicht! Man muß 'Lulu' schon mal gesehen haben, und sei
es nur, um hinterher auf die verdorbene moderne Oper zu schimpfen. |
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Besetzung
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