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Ein Seniorenstudent sieht Gelb Schwarz Rot
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Harald Reusmann
"Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin und leider auch Theologie durchaus studiert mit heißem Bemühn!": Wer wie Faust heute gleich in mehreren Fächern einen deutschen Universitätsabschluß erhalten möchte, der verläßt die Hochschule in fortgeschrittenem Alter. Und da ein Dr. phil. auf der Visitenkarte noch lange keinen Zugang zum freien Arbeitsmarkt garantiert, läßt Michael Schulz seinen Faust gleich von der Assistentenstelle in die Sozialhilfe abrutschen: Ein tragischer Fall von Akademikerarbeitslosigkeit. Kein Wunder, dass der depressive Langzeitstudent sich ins Nirwana spritzen will, nur kommt ihm der Teufel dazwischen: Warum gleich zum Äußersten gehen und nicht erst einmal ein bewußtseinserweiterndes Halluzinogen ausprobieren? Dank der intravenös zu verabreichenden Droge erlebt Faust dann doch noch drei ziemlich lange Akte. Irgendwas, mag Regisseur Michael Schulz gedacht haben, muss aus dieser blöden Oper doch zu machen sein, die den Faust dramaturgisch auf ein armseliges bürgerliches Moral- und Rührstück zurecht stutzt, und doch, Fluch der ungeheuren Rezeptionsgeschichte, den Atem des alten Goethe im Nacken nie los wird. "Um einen Zugriff auf die Personen dieser Oper zu erhalten ...sind wir auf die Möglichkeit gestoßen, daß Werk in drei Teile zu gliedern" schreibt Dramaturgin Ina Wragge etwas holprig im Programmheft, und so gibt es nach dem "Prolog" die Abschnitte "Mephisto", "Faust" und "Margarete". Um dem Zuschauer diese Dreiteilung so richtig deutlich zu machen, taucht Schulz bzw. dessen Ausstatter Michael Scott die Mephisto-Sphäre einschließlich Chor und Statisterie in knalliges Gelb, Faust bekommt existentialistisches Schwarz, und Margarete, wie originell, ein blutiges Rot (wobei sie selbst natürlich jungfräulich weiß gewandet ist). Auf die Dauer geht dieses bei Regisseuren immer wieder beliebte Konzept ziemlich auf die Nerven. Und eigentlich müßten alle Teile "Mephisto" heißen, denn die Akteure sind durchweg Puppen von des Teufels Gnaden: Auf der Bühne fehlt der Dreiteilung die Überzeugungskraft. ![]()
Faust, Margarete, Siebel und Valentin werden von Schulz zu "Protagonisten einer Idee" degradiert: Faust als Triebwesen (hier geht es um Sex), Margarete als Inkarnation der gefallenen Jungfrau, Valentin als Prototyp des tapferen, gottesfürchtigen Soldaten, und Siebel als Idee des selbstlos aber naiv Liebenden. In der Tat krankt die Oper an dieser Vereinfachung (wie fast alle Opern des 19. Jahrhunderts - den durch das Bürgertum geprägten Zerrbildern konnte sich die bürgerliche Kunst praktisch nicht entziehen), aber allein dieses überdeutlich zu machen, das liefert noch keinen wirklich sehenswerten Regieansatz. Den aber bleibt Schulz letztendlich schuldig. Nicht dass der Regisseur nicht ambitioniert an die Sache herangegangen wäre, aber die verschiedenen Ideen laufen auseinander. Ist das alles nun die Vision des alten Faust ? (Wenn ja - mit welchen Konsequenzen?) Zwar geistert der Grufti - mit einem anderen Sänger besetzt als der strahlende Jüngling (was plausibel ist), gelegentlich über die Bühne, aber das reicht nicht aus, um die einzelnen Szenen zu verklammern. Verweigerung jeglichen Realismus? Valentins Tod ist grotesk verfremdet, der Sterbende zieht vor dem Exitus noch ganz korrekt seine Uniform an, um in den Stiefeln zu sterben. Andererseits erleben wir sehr naturalistisch Gretchens Abtreibungsversuche. Dann immer wieder symbolische Überhöhung: Margarete gebiert einen gelbgrünen Teufel. Aber die Symbolik ist auf den Effekt ausgerichtet, fügt sich nicht zu einem geschlossenen Konzept. ![]()
Es ist sicher ein richtiger Ansatz, der wunderschönen, aber eben auch zuckersüßen Musik herbe und sperrige Bilder entgegenzusetzen. Aber was Ideen- und Assoziationsreichtum betrifft, da steht Schulz doch hinter Dietrich Hilsdorf zurück, dessen Inszenierungen in Essen Maßstäbe gesetzt haben. Hilsdorf scheint überhaupt seltsam gegenwärtig: Das Bühnenbild, ein sich perspektivisch nach hinten stark verjüngender Tunnel, der Zeit und Raum aufhebt, zitiert Hilsdorfs Aida-Finale, die Einblendungen auf den Vorhang den Trovatore, die Luftballons den Don Carlos. Doch der Biss eines Hilsdorf (oder Konwitschny), der fehlt. Zielsicherer geht Dirigent Patrick Ringborg an die Oper heran: Mit den einmal mehr hervorragenden Essener Philharmonikern kostet er die Schönheiten der Partitur voll aus. Die Tempi sind sehr schön ausgewogen, die Entwicklungen homogen und natürlich. Die Musiker dürfen kräftig auf die Pauke hauen, ins Horn blasen etc., aber wenn jemand singt, dann hält sich das Orchester wunderbar begleitend zurück Und dieser Wechsel funktioniert so elegant, dass er nie auffällt: So viel schmeichlerischer Charme war selten. Dagegen können sich die Sänger nicht ganz so sehr profilieren, wenngleich das Niveau gut ist. Thomas Piffka und Zsuzsanna Bazsinka sind ein jugendlich strahlendes Liebespaar, dem lediglich nur das letzte Quäntchen lyrischer Schmelz fehlt, Marcel Rosca legt als Mephisto Wert auf Eleganz; er müßte noch ein wenig mehr Schärfe, Schwärze besitzen, um auch das Bösartige verkörpern zu können. Mit knabenhafter Frische singt Gritt Gnauck den Siebel. Und Philip Doghan gibt dem alten Faust die nötige tenorale Kraft, aber auch die Resignation.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Choreinstudierung
Licht
SolistenAlter Faust Philip Doghan
Junger Faust
Méphistophélès
Marguerite
Valentin
Wagner
Siebel
Marthe
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- Fine -