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Chaos im Theater
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thomas M. Jauk / Stage Picture Gmbh Theateralltag? Es ist kurz vor Beginn der Aufführung. Der Inspizient lässt die falschen Übertitel einspielen. Die Sopranistin knutscht emotionslos mit einem Kollegen. Ein eitler Bass gefällt vor allem sich selbst. Die Souffleuse wühlt aufgeregt in ihrer Handtasche. Der Tenor kippt besoffen vom Stuhl. Nichts zu machen, Ersatz muss her: Ein Startenor erklärt sich bereit, kurzfristig einzuspringen. Die Show kann gerade noch rechtzeitig beginnen. Figaro (Aris Argiris, oben) und Bartolo (Ramaz Chikviladze)
All das spielt sich während der Ouvertüre ab, und es gibt diesem Barbier die Richtung vor. Der junge Regisseur Henry Mason treibt doppeltes Spiel: Die eigentliche Handlung wird gespiegelt durch das, was hinter der Bühne passiert. Der überforderte Inspizient ist gleichzeitig der Führer der Musikantentruppe, mit der Graf Almaviva unter Rosinas Balkon aufzieht, und die Souffleuse ist in Personalunion Bartolos Haushälterin Berta. Keine dieser beiden Parallelgeschichten ist ganz stimmig, aber darauf kommt es überhaupt nicht an. Mason nimmt Theateralltag ebenso kräftig auf die Schippe wie Unarten des Bühnengeschehens. Der Chor muss hinreißend alberne Schrittfolgen ausführen, und ganz in weiß gekleidet und nur mit einer Rose bewaffnet imitieren diese Herren eine Bigband, wobei die Blumen als Instrumente herhalten müssen: Das ist gnadenlos albern, dass man sich empört abwendet oder die Lachtränen unterdrücken muss. Rosina (Sylvia Koke)
Das auf den totalen Klamauk setzende Regiekonzept offenbart immer dann seine Schwächen, wenn alle auf die nächste Pointe warten, dem Regisseur aber einmal ein paar Minuten nichts einfällt. Ansonsten kann man sich in diesem Barbier, wenn man sich auf den groben Unfug einlässt, wunderbar unterhalten. Natürlich geht manches verloren, was in seriösen Inszenierungen sicht- und hörbar ist aber Mason geht mit einer Unbekümmertheit und Frechheit zur Sache, die viel Spaß macht. Dabei werden die Sängerschauspieler gefordert wie sonst kaum einmal. Permanent in action passiert ständig etwas, und immer wieder gerät man in fassungsloses Staunen, was ein Sänger beim Singen noch alles machen kann. Sylvia Koke beispielsweise muss während der wahrlich nicht ganz leichten Partie der Rosina einmal auf einen Flügel springen, ohne das der lang auszuhaltende Ton darunter leiden würde. Und wenn sie nichts zu singen hat, muss sie sich fesseln und knebeln lassen, klettert mit langer schleppe Feuerleitern hinauf, wird von der Hebebühne in den Theaterhimmel bugsiert, muss Regen und Windmaschine ausweichen usw. usw. (den anderen Akteuren geht es auch nicht besser). Und bei einer Oper über einen Barbier das allerwichtigste: Nie darf darunter die Frisur leiden. running gag: Basilio (Bart Driessen) mit Hochzeitstorte
Eine wirklich schöne Stimme hat Sylvia Koke dabei nicht; mitunter mischen sich raue und scharfe Klänge in den ohnehin engen Sopran. Technisch und musikalisch bewältigt sie die Partie aber exzellent, wendig in den Koloraturen, standfest und intonationssicher auch in der Höhe. Da ihre Rosina ohnehin eine eigenwillige und recht zickige Diva ist, fällt das Timbre nicht störend ins Gewicht. John Daniecki braucht als Almaviva Anlaufzeit; in der ersten Szene huscht er reichlich unbestimmt über die vielen Noten hinweg, steigert sich aber erheblich; ein wenig mehr Substanz dürfte die Stimme für die Rolle haben. Die Gestaltung ist aber ungeheuer sorgfältig, auch kleinste Phrasen singt und spielt Daniecki mit großer Energie und viel Witz aus. Ramaz Chikviladze, der einen soliden Bartolo singt, ließ sich vor der Premiere als indisponiert ankündigen, wovon dann nicht viel zu merken war; sein Timbre könnte sicher charakteristischer sein. Ähnliches gilt für Bart Driessen, der den Musiklehrer Basilio als eitlen Gecken spielt und musikalisch die Partie souverän meistert. Almavivas Musiker als Big-Band-Imitat (Herrenchor)
Herausragend aber ist Aris Argiris als ungemein präsenter Figaro. Stimmkräftig und höhensicher stürmt er den Zuschauersaal in Hier-bin-ich-Manier, ist aber ebenso wendig in den Parlando-Phrasen. Im Orchestergraben wählt Dirigent Arthur Fagen flotte Tempi; trotzdem wirkt der Orchesterpart, wiewohl von den Dortmunder Philharmonikern passabel gespielt, oft statisch. Es fehlt die innere Unruhe, die subtile Ironie und damit letztlich die Spritzigkeit. Das ist bedauerlich, weil damit ausgerechnet der Motor des aberwitzigen Bühnengeschehens lahmt. Grund allen Übels? Der überforderte Inspizient (Giulio Alvise Caselli)
Die Vorstellung ist noch nicht ganz zu Ende, da zieht der gastierende Startenor bereits seine Jacke über und eilt zur nächsten Bühne; der überforderte Inspizient schaltet zu früh das Licht aus, und allzu schnell wird auch das Bühnenbild beiseite Geschafft (dahinter sieht man in schöner Selbstironie die Ausstattung des Dortmunder Ring des Nibelungen. Mason hält sein Konzept bis durch und erzielt damit eine schöne Schlusspointe: Rosina steht plötzlich allein da, weil ihr Liebhaber sich überplötzlich abgesetzt hat (wie enttäuschend es für sie als künftige Gräfin weiter gehen, kann man bekanntlich in Mozarts Figaro hören). Eine schöne Lösung hat er auch für das Finale des ersten Akts gefunden, in der eine außer Kontrolle geratene Bühnenmaschinerie die Verwirrung der Gefühle bestens ausdrückt. Theateralltag? Das mögen die Akteure selbst entscheiden. Ihnen scheint die Aufführung jedenfalls außerordentlich viel Spaß zu machen. FAZITEin Barbier für Freunde gehobenen Klamauks, sensationell gespielt und sehr ordentlich musiziert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
SolistenGraf AlmavivaJohn Danielski
Bartolo
Rosina
Figaro
Basilio, Musiklehrer
Berta (Souffleuse)
Offizier
Fiorillo (Inspizient)
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