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Ihre Bohème
Puccinis Bohème in einer Fassung der Neuköllner Oper, Berlin
Von Rainer Holzapfel (Szenario, Text)
und Tobias Schwencke (Musikalische Einrichtung)


Sprache: Deutsch

Aufführungsdauer: ca. 1 Std. 45 Min. (eine Pause)

Premiere am 3. April 2008
in der Neuköllner Oper, Berlin

Rezensierte Aufführung: 12. April 2008


Homepage

Neuköllner Oper
(Homepage)
Ein Zeichen für Methusalem

Von Annika Senger / Fotos von Matthias Heyde


Rainer Holzapfel hat gewagt, was an einem staatlichen deutschen Theater undenkbar wäre: eine Inszenierung mit Sängern im Seniorenalter. In einer Zeit, in der Jugendwahn die Medien beherrscht und nicht nur Musiker möglichst jung Karriere machen sollen, setzt der Regisseur mit seiner für die Neuköllner Oper umgeschriebenen Neufassung von Giacomo Puccinis „La Bohème“ ein kritisches, dennoch unterhaltsames Zeichen gegen diesen Trend.


Vergrößerung in neuem Fenster Dejan Brkic (Benoit/Alcindor),
Volker Schunke (Marcello) und
Renate Dasch (Musetta)

„Ihre Bohème“ spielt nicht in einer ärmlichen Künstler-Mansarde im Paris des frühen 19. Jahrhunderts, sondern im schlichten, steril wirkenden Aufenthaltsraum eines Seniorenheimes der Gegenwart. Mimi, Rodolfo, Musetta, Marcello und Colline sind in die Jahre gekommene Sänger, die dort ihren Lebensabend verbringen. Schaunard, der die Künstler im Original finanziell über Wasser hält, tritt in Holzapfels Version als Altenpfleger auf – gespielt von Wieland Lemke (Jahrgang 1981). Eine junge Dirigentin beschäftigt die Heimbewohner, indem sie mit ihnen Puccinis Oper einstudiert. Kristiina Proska ist somit auch schauspielerisch eingebunden. Ihre Auftritte neben der Leitung des minimal besetzten Orchesters sind zwar nur kurz, aber gewitzt.

Wer glaubt, Mimi und Co. litten unter Demenz oder Alzheimer, dem wird vor Augen (und Ohren!) geführt, dass das Alter, das im Pass steht, nicht dem geistigen Alter entsprechen muss. Liebe, Hiebe und Eifersüchteleien stehen für sie auf der Tagesordnung – große Emotionen und Leiden schaffende Leidenschaften, wie sie schon Puccini seinen Figuren in die Wiege gelegt hat. Die frivolste unter den älteren Herrschaften ist Musetta (hervorragend gespielt von Renate Dasch): Sie tritt in einem figurbetonten roten Abendkleid auf und führt ihren wesentlich jüngeren Liebhaber Alcindoro an einer Hundeleine spazieren – ganz nach dem Motto „Je oller, desto doller“. So schrill wie ihre Erscheinung, gestaltet Renate Dasch auch ihren Gesang. Sie mimt die dominant-hysterische Verführerin und gewinnt Marcello bis zu einem Streit für sich zurück. Es poltern Stühle über die Bühne; Schaunard müht sich ab, dieses Chaos der Liebeskranken wieder aufzuräumen. Kein Wunder, dass das Orchester zuweilen dissonanter spielt, als Puccini es vorgesehen hat!


Vergrößerung in neuem Fenster

Eckhart Hedke (Colline), James Clark (Rodolfo)
Wieland Lemke (Schaunard), Volker Schunke (Marcello)
und Dejan Brkic (Benoit/Alcindor)

Da das Stück im Seniorenheim angesiedelt ist, verzeiht man es Rodolfo alias James Clark, dass ihm die hohen Töne nicht mehr so leicht über die Lippen kommen wie einem jüngeren Kollegen. Seine klare Heldentenor-Farbe hat er allerdings beibehalten und kann damit immer noch in der hohen Mittellage strahlen. Herausragend ist jedoch der Gesang der Mimi: Würde man die Augen schließen, könnte man glauben, eine „junge“ (alles ist relativ!) Sopranistin verkörpere diese Rolle: Die 1945 geborene Gabriele Schwabe verfügt über ein jugendliches Timbre, sie singt ausdrucksstark gefühlvoll und glänzt besonders in der hohen Lage. Am Ende des Stückes trägt sie „Mi chiamano Mimi“ vor: ein krönender Abschluss, wenn auch nicht der Chronologie des Originals entsprechend. Ebenfalls abweichend von „La Bohème“: Mimis Tod wird nur angekündigt; die Aufführung endet, bevor Mimi stirbt. Ein Todesfall würde auch nur schwer mit dem Charakter des Stückes korrelieren: Holzapfel appelliert für Lebendigkeit – und zwar in allen Lebensphasen!


FAZIT

Jeder differenziert denkende Theater-Intendant sollte diese Aufführung besuchen und überlegen, ob es tatsächlich gerechtfertigt ist, pauschal alle Sänger der Ü-50-Generation nicht mehr zu engagieren…


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kristiina Poska

Inszenierung
Rainer Holzapfel

Bühne/Kostüme
Hannah Hamburger


Solisten

Mimi
Gabriele Schwabe

Rodolfo
James Clark

Musetta
Renate Dasch

Marcello
Volker Schunke

Colline
Eckhart Hedke

Schaunard
Wieland Lemke

Benoit/Alcindor
Dejan Brkic


Orchester

Klavier
Tobias Schwencke

Violine
Ekkehard Windrich

Viola
Chang-Yun Yoo

Violoncello
Rahel Bader

Klarinette
Christian Vogel

Oboe
Antje Thierbach

Trompete
Helen Barsby



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Neuköllner Oper
(Homepage)



Da capo al Fine

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