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Ein Zeichen für Methusalem
Von Annika Senger / Fotos von Matthias Heyde Rainer Holzapfel hat gewagt, was an einem staatlichen deutschen Theater undenkbar wäre: eine Inszenierung mit Sängern im Seniorenalter. In einer Zeit, in der Jugendwahn die Medien beherrscht und nicht nur Musiker möglichst jung Karriere machen sollen, setzt der Regisseur mit seiner für die Neuköllner Oper umgeschriebenen Neufassung von Giacomo Puccinis La Bohème ein kritisches, dennoch unterhaltsames Zeichen gegen diesen Trend. Dejan Brkic (Benoit/Alcindor), Volker Schunke (Marcello) und Renate Dasch (Musetta)
Ihre Bohème spielt nicht in einer ärmlichen Künstler-Mansarde im Paris des frühen 19. Jahrhunderts, sondern im schlichten, steril wirkenden Aufenthaltsraum eines Seniorenheimes der Gegenwart. Mimi, Rodolfo, Musetta, Marcello und Colline sind in die Jahre gekommene Sänger, die dort ihren Lebensabend verbringen. Schaunard, der die Künstler im Original finanziell über Wasser hält, tritt in Holzapfels Version als Altenpfleger auf gespielt von Wieland Lemke (Jahrgang 1981). Eine junge Dirigentin beschäftigt die Heimbewohner, indem sie mit ihnen Puccinis Oper einstudiert. Kristiina Proska ist somit auch schauspielerisch eingebunden. Ihre Auftritte neben der Leitung des minimal besetzten Orchesters sind zwar nur kurz, aber gewitzt. Wer glaubt, Mimi und Co. litten unter Demenz oder Alzheimer, dem wird vor Augen (und Ohren!) geführt, dass das Alter, das im Pass steht, nicht dem geistigen Alter entsprechen muss. Liebe, Hiebe und Eifersüchteleien stehen für sie auf der Tagesordnung große Emotionen und Leiden schaffende Leidenschaften, wie sie schon Puccini seinen Figuren in die Wiege gelegt hat. Die frivolste unter den älteren Herrschaften ist Musetta (hervorragend gespielt von Renate Dasch): Sie tritt in einem figurbetonten roten Abendkleid auf und führt ihren wesentlich jüngeren Liebhaber Alcindoro an einer Hundeleine spazieren ganz nach dem Motto Je oller, desto doller. So schrill wie ihre Erscheinung, gestaltet Renate Dasch auch ihren Gesang. Sie mimt die dominant-hysterische Verführerin und gewinnt Marcello bis zu einem Streit für sich zurück. Es poltern Stühle über die Bühne; Schaunard müht sich ab, dieses Chaos der Liebeskranken wieder aufzuräumen. Kein Wunder, dass das Orchester zuweilen dissonanter spielt, als Puccini es vorgesehen hat!
Eckhart Hedke (Colline), James Clark (Rodolfo)
Da das Stück im Seniorenheim angesiedelt ist, verzeiht man es Rodolfo alias James Clark, dass ihm die hohen Töne nicht mehr so leicht über die Lippen kommen wie einem jüngeren Kollegen. Seine klare Heldentenor-Farbe hat er allerdings beibehalten und kann damit immer noch in der hohen Mittellage strahlen. Herausragend ist jedoch der Gesang der Mimi: Würde man die Augen schließen, könnte man glauben, eine junge (alles ist relativ!) Sopranistin verkörpere diese Rolle: Die 1945 geborene Gabriele Schwabe verfügt über ein jugendliches Timbre, sie singt ausdrucksstark gefühlvoll und glänzt besonders in der hohen Lage. Am Ende des Stückes trägt sie Mi chiamano Mimi vor: ein krönender Abschluss, wenn auch nicht der Chronologie des Originals entsprechend. Ebenfalls abweichend von La Bohème: Mimis Tod wird nur angekündigt; die Aufführung endet, bevor Mimi stirbt. Ein Todesfall würde auch nur schwer mit dem Charakter des Stückes korrelieren: Holzapfel appelliert für Lebendigkeit und zwar in allen Lebensphasen!
Jeder differenziert denkende Theater-Intendant sollte diese Aufführung besuchen und überlegen, ob es tatsächlich gerechtfertigt ist, pauschal alle Sänger der Ü-50-Generation nicht mehr zu engagieren Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne/Kostüme Solisten
Mimi
Rodolfo
Musetta
Marcello
Colline
Schaunard
Benoit/Alcindor
Orchester
Klavier
Violine
Viola
Violoncello
Klarinette
Oboe
Trompete
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