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Fades Süppchen
Von Thomas Tillmann
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Fotos von Matthias Jung
"Das Publikum wird die Inszenierung nicht ganz dechiffrieren können, es war ja schließlich bei den Proben nicht dabei." Diesen erstaunlichen Satz schnappte der Rezensent in der Pause der Premiere von Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny beim Passieren eines Tisches auf, an dem Mitglieder des Aaltotheaters sich angeregt über das Gesehene ausließen. Das Publikum regelte, gar nicht dumm nach einem ersten Teil von gefühlter dreistündiger Spieldauer, die Situation auf seine Weise und ließ im zweiten manchen Sitz frei. Und die, die geblieben waren, straften das Regieteam gebührend ab für einen zähen, allenfalls halbherzig und platt provozierenden, keinerlei aktuellen Blick oder politische Stellungnahme erkennen lassenden Blick (was nötig und gar nicht so schwer gewesen wäre, regiert nicht Geld die Welt auch in diesen Tagen in augenfälliger Weise?) auf das bemerkenswerte Stück von Kurt Weill und Bertolt Brecht, so dass der Hausherr einmal mehr auf die Vorderbühne eilen und tröstende Worte und Gesten anbringen konnte, was mittlerweile so kalkuliert und einstudiert wirkt wie die meisten Töne aus dem Orchestergraben. Jakob Schmidt (Albrecht Kludszuweit), Alaskawolfjoe (Michael Haag), Sparbüchsenbill (Günter Kiefer) und Jim Mahoney (Jeffrey Dowd), die in Alaska mit beschwerlichem Bäumefällen viel Geld gemacht haben, sind noch nicht so recht begeistert von der Netzestadt Mahagonny, in der sich auch ein Erzähler (Boris Gurevich) herumtreibt.
Klangbeispiel:
1. Akt, Nr. 2: Alabama-Song - Astrid Kropp (Jenny) und Damenchor
Barrie Kosky brachte nach Wagners Holländer und Tristan nun eine "biblische Burleske" auf die Bühne, hatte er doch entdeckt, dass die Oper von Brecht und Weill "voller Anspielungen und Assoziationen auf das Alte Testament" steckt: "Menschen, die vor Sklaverei, Verbrechen, Ungerechtigkeit oder Armut fliehen; eine große, leere Wüste, die einzig mit Träumen, Sehnsüchten und Erinnerungen gefüllt wird; eine Figur namens Dreieinigkeitsmoses, der die Stimme Gottes nachahmt; apokalyptische Naturkatastrophen ...; strenge Vorschriften und Regeln ...; wollüstige Ausbrüche eines so genannten 'unmoralischen' Verhaltens; Prostitution und eine Gruppe von Menschen, die mitten in der Wüste stecken geblieben sind und kämpfen, um Freiheit und Emanzipation zu erlangen." (der geäußerte Gedanke taucht in der Produktion in Form zweier Tafeln mit dem Anfang des hebräischen Dekalogtextes auf, einige Kostüme dürften Anspielungen auf aus der Mode gekommene Sandalenfilme sein). Bis hierhin mag man dem Australier durchaus folgen, man wird auch kaum abstreiten, dass Weill durch seinen Vater beeinflusst sein dürfte, der als Kantor gearbeitet hat, und seine Musik durchaus jüdische Elemente aufweist, aber wieso die Bücher Genesis und Exodus in dieser Oper deshalb "von den Marx Brothers gespielt werden", das Werk eine "Hühnersuppe" ist und "Fleisch, Knochen und viel unterschiedliches Gemüse ... zu einer Flüssigkeit zusammengekocht" werden, wird im apologetischen Programmheftartikel etwas abrupt gefolgert und behauptet. Die heruntergekommene, schwangere Jenny (Astrid Kropp, Mitte) und ihre Freundinnen (Opernchor) sind auch nicht gerade das, wovon die Jungs geträumt haben mögen.
Klangbeispiel:
1. Akt, Nr. 8: "Ich glaube, ich müsste nach Georgia fahren", 2. Strophe - Jeffrey Dowd (Jim Mahoney), Albrecht Kludszuweit (Jakob Schmidt), Günter Kiefer (Sparbüchsenbill), Michael Haag (Alaskawolfjoe)
Wenn dabei nun wenigstens eine zündende Revue oder ein musikalischer Bilderbogen herausgekommen wäre, wie Weill es sich gewünscht hat, wenn man sich gut unterhalten hätte oder ins Nachdenken gekommen wäre angesichts einer konsequent historisch-politischen, meinetwegen auch zeitnah aufgefrischten oder utopisch-absurden Story, wenn man sich hätte aufregen können über wirklich Unerhörtes, Skandalträchtiges auf der Bühne! Nein, dieses Süppchen war mit viel Aufwand, unter großen Worten und mit garantiert großem Spaß für die Köche zubereitet worden, aber im Ergebnis doch ein sehr dünnes, das hinter dem Rezept weit zurückblieb und niemandem so recht schmecken wollte, eine Hühnersuppe ohne Hühnchen, ein abgestandenes Tütenprodukt aus Regietheaterresten und abgestandenen, geschmacklosen Einzelideen, angesichts derer man in mancher Inszenierung des Aaltotheaters inzwischen nur noch gähnt (stellvertretend seien das Aufstellen des Chores über den Rängen und das penetrante Ausstaffieren von männlichen Darstellern in Damenkleidern genannt, das nun wirklich nur noch nervt). Jim (Jeffrey Dowd) ist zum Tode verurteilt worden, weil er drei Flaschen Schnaps nicht bezahlen kann.
Klangbeispiel:
3. Akt, Nr. 17: "Wenn der Himmel hell wird, dann beginnt ein verdammter Tag" - Jeffrey Dowd (Jim Mahoney)
"Aushängeschild" der neu gegründeten Stadt in einer stilisierten, an ein ausgetrocknetes Flußbett erinnernden Wüste von Ralph Zeger wird der rasch ausgezogene Slip der Begbick, der für den Rest des Abends an einem sich drehenden Ventilator hängt; das rosa Porzellansparschwein, das sie mit sich herumträgt, deutet tiefsinnig ihr vorrangiges Interesse an. Die mit Holzfällerhemden (aha!) bekleideten Jungs tragen alle Glatze, Jenny und die übrigen schwangeren Mädchen knappe Schuluniformen über ihren künstlichen Bäuchen (nur zwei der großartigen Kostümideen von Alfred Mayerhofer). Natürlich darf auch Jenny ihren Slip bald ausziehen (sie fragt Jim laut Libretto ja danach), der ins nunmehr unverhüllte Geschlecht gesteckte Finger wird den Herren zum Kosten gereicht, bevor sie ihrem Freier endlos lang einen Blowjob verpasst, der damit endet, das sie das Ejakulat auf die Bühne speit, das wiederum der Erzähler im Babydolloutfit rasch aufwischen darf. Später wird auch geräuschvoll und detailgetreu Erbrechen nachgestellt, Jakob Schmidt darf sich mit Hilfe von Fatty, der das sehr naturgetreue Penisimitat mitsamt Vorhaut aus der Hose befreit, noch in einen Plastikeimer erleichtern, den der Erzähler den Jazzmusikern am linken Rand in die Mitte stellt, Jim hilft der auf dem Souffleurkasten mit gespreizten Beinen liegenden Jenny beim Entbinden zweier blutiger Säuglinge, die nie wieder auftauchen - Einfälle, die beim Lesen dieser Zeilen vermutlich mehr schockieren als beim Zusehen, da schüttelte das Gros des Publikums nur den Kopf ob der inhaltslosen Aneinanderreihung von Geschmacklosigkeiten, die Pubertierenden nicht einfallen würde, und die hilflose technische Ausführung. Immerhin, im zweiten Teil wird Mahagonny etwas schicker, man macht einige Figuren aus, die Dix-Bildern nachempfunden sein könnten, Transvestiten natürlich, aber auch einige Jazzbandneger mit entsprechendem Make-up. Man kommt schnell darauf, dass mit dem riesigen bereits erheblich zersetzten Widderkopf auf der Bühne vermutlich auf die alttestamentarische Sündenbockidee angespielt wird. Auf und in ihm spielen sich nun das Fressen, der Liebesakt (Männer in Frauenkleidung drängen zu einer Prostituierten, die wenig später blutüberströmt wieder auf die Bühne taumelt und von der Begbick entsorgt wird), der Boxkampf und Jimmys fiktive Flucht aus Mahagonny ab. Statt Sex also nun mehr und mehr rohe Gewalt: Nach seiner Verurteilung werden Jim die Augen herausgerissen, später folgt die Zunge, seine finalen Statements kritzelt er im Eiltempo mit Blut auf einen Zettel - Einzelideen, die sensible Gemüter schockieren, am Premierenabend aber ebenso verpuffen wie die vielleicht einzige gelungene Szene, nämlich der sehr schlichte Abschied von Jenny und Jim, die nebeneinander auf zwei Stühlen sitzen und von Liebe singen, sich aber nicht einmal berühren oder gar küssen können. Eine der wenigen gelungenen Szenen ist die des Abschieds zwischen Jenny (Astrid Kropp) und Jim (Jeffrey Dowd).
Klangbeispiel:
3. Akt, Nr. 21: Schlusschor: "Die Welt ist groß und weit" - Heiko Trinsinger (Dreieinigkeitsmoses), Ildiko Szönyi (Begbick), Robert Wörle (Fatty), Astrid Kropp (Jenny), Günter Kiefer (Sparbüchsenbill), Männerchor
Ildiko Szönyi hat mit der Begbick zwar eine Rolle gefunden, die zu ihren aktuellen vokalen Möglichkeiten passt und bei der die krassen Brüche in der Stimme sogar zur Charakterisierung beitragen könnten, aber sie versteht es auch nicht ansatzweise, dieser interesanten Figur echtes Profil zu geben (man vergleiche nur den kurzen Ausschnitt mit Martha Mödl, den man leicht unter www.youtube.com findet), sieht man von ihrem hölzernen Akzent im überpointierten Dialog ab und einem saftigen "Egészségedre" - hier hätte man wirklich besser einen prominenten Gast geholt, wie man es für die Partie des Fatty ja auch nötig fand, für den Robert Wörle nicht nur die physique du rôle mitbrachte, sondern auch einen durchdringend-lauten Charaktertenor (den man mit Rainer Maria Röhr aber doch eigentlich im Hause hat). Heiko Trinsinger tat das, was er in allen Rollen tat, in denen ich ihn gesehen habe: Er brüllte und brüllte und überspielte, was hier aber durchaus Eindruck machte angesichts des faden Umfelds. Die geschundene, abgeklärte, aufgebrauchte Prostituierte brachte Astrid Kropp mit heller, dünner Stimme überzeugend auf die Bretter. Jeffrey Dowd meisterte die Hauptrolle des Jim Mahoney musikalisch weitgehend überzeugend, wenn man nicht zu viele Ansprüche an den Farbenreichtum einer Stimme stellt (das hohe C in der emotionslos heruntergesungenen Arie hatte man ja nicht wirklich erwartet, an die grundsätzlich matte Höhe hat man sich beinahe gewöhnt) und sich nicht an Textfehlern und schwachem Deutsch stört, blieb aber darstellerisch auffällig unbeteiligt und blaß - bis zum Tannhäuser im März wird er noch einiges zulegen müssen. Dank des ähnlichen Outfits und der Glatzen haben es Jims Kumpel noch schwerer, sich zu profilieren - Michael Haag etwa hatte als Alaskawolfjoe keine unangenehme Stimme, wurde aber in akustisch ungünstiger Position (das interessiert heute keinen Regisseur) beim Boxkampf vom zu lauten Orchester übertönt und sang auch sonst nicht sehr textverständlich. Solokorrepetitor Boris Gurevich indes hatte sichtlich Freude, in die vielen verschiedenen Kostüme der Erzählerfigur zu schlüpfen und mikrofonverstärkt wie die übrigen Mitwirkenden die längste Zeit die Zwischentexte zu sprechen. Stefan Soltesz gelingt es am Pult der wie immer wunderbar präzisen Philharmonikern nicht, das Doppelbödig-Ironische, Parodistisch- Verfremdende der geistreichen Partitur herauszuarbeiten. Die jazzartigen Passagen wirken künstlich, über vieles wird wie so häufig in aberwitzigem Tempo hinweggefegt, was dann selbst bei größtem Bemühen des Ensembles eine Übertitelung notwendig macht, die "kulinarischen", sehr wohltönenden Momente vor allem im zweiten Teil werden ausgewalzt, in ihrer Kulinarik aber nicht gebrochen.
Das Illustrieren von Sex- und Gewaltobsessionen ist zu wenig, um 2008 dieses Meisterwerk packend auf die Bühne zu bringen - aus diesem Mahagonny will nicht nur Jim Mahoney aus Langeweile fliehen, sondern auch mancher Zuschauer, zumal auch die musikalische Seite des Abends für die misslungene Szene nicht wirklich entschädigt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam* Alternativbesetzung
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Leokadja Begbick
Fatty, der Prokurist
Dreieinigkeitsmoses
Jenny
Jim Mahoney
Jakob Schmidt
Sparbüchsenbill
Alaskawolfjoe
Erzähler
Tobby Higgins
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