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L'Africaine
(Die Afrikanerin)


Opéra in fünf Akten von Eugène Scribe
Musik von Giacomo Meyerbeer



in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

Premiere am 20. April 2008
im Großen Haus des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen


Homepage

Musiktheater im Revier
(Homepage)

Schwarzweißkopie

Von Thomas Tillmann / Fotos von Rudolf Majer-Finkes


Vergrößerung in neuem Fenster Vasco da Gama (Christopher Lincoln, links) bittet darum, erneut für die portugiesische Krone nach unentdeckten Ländern auf die Suche gehen zu dürfen. Don Alvar (Daniel Wagner, zweiter von links), der Großinquisitor (Vladislav Solodyagin, dritter von links) und Don Diégo (Nicolai Karnolsky, vierter von links) sind skeptisch.

Man muss nicht darüber diskutieren, dass Meyerbeers L'Africaine ein problematisches Werk ist, mit einer verwirrenden Handlung, die einen Regisseur und die Zuschauer zur Verzweiflung bringen kann, mit Musik, der man phasenweise anmerkt, dass der Komponist nicht mehr letzte Hand hat anlegen können, und die sich vielleicht doch nur dann in ihrer ganzen Pracht erschließt, wenn erste Kräfte sich ihrer annehmen, und vielen Stolpersteinen mehr, daher auch selten aufgeführt (ich konnte unter www.operabase.com keine anderen aktuellen Aufführungen nachweisen als die in Gelsenkirchen) und bis heute in keiner Studioaufnahme vorliegend. Aber so dankbar man dem scheidenden Intendanten Peter Theiler einmal mehr dafür ist, dass er eine Repertoirerarität auf die Bühne gebracht hat und einem die Begegnung mit diesem trotz aller Einschränkungen hochinteressanten Oeuvre ermöglicht hat, so wenig ist man diesmal bereit, wie bei vielen dieser Abende ein Auge zuzudrücken und sich den Hinweis zu verkneifen, dass von einem guten Theaterleiter eben auch zu erwarten ist, dass er im Blick haben muss, ob sein planerischer Mut sich auf akzeptablem Niveau in die Tat umsetzen lässt (oder ob man das vorhandene Geld nicht doch besser dafür einsetzt, sein Ensemble in konzertanten Aufführungen mit Spezialisten aufzustocken, um dem ausgewählten Werk Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen). Mit anderen, deutlicheren Worten: Was nützt eine so indiskutable Produktion wie die jetzt im Musiktheater im Revier gezeigte dem unterschätzten und längst noch nicht rehabilitierten Meyerbeer, was nützt es, wenn man Komplimente nur für Wagemut, nicht aber für die Umsetzung einer kühnen Idee einheimsen kann und dazu noch Sänger in Partien verschleißt, an denen erfahrenere Künstler scheitern würden? Der Preis ist diesmal einfach zu hoch. Ich hatte den ganzen langen Abend und auf der Rückfahrt aus dem Ruhrgebiet das schale Gefühl, eine schlechte Schwarzweißkopie eines tollen Bildes gesehen zu haben, auf der Laien mit billigen Filzstiften die ursprünglichen Farben nachzuahmen trachteten und dabei kläglich scheiterten.

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Vasco da Gama (Christopher Lincoln) sieht sich am Ziel seiner Träume: Er hat sein "pays merveilleux" gefunden, das ihm wie ein Paradies erscheint.

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Pays merveilleux" (Auszug aus der Arie des Vasco da Gama, 4. Akt) - Christopher Lincoln
(MP3-Datei)


Beklagenswert wenig war Regisseur Andreas Baesler eingefallen. Im Programmheft wird auf die Überschneidung von Meyerbeers "Hochzeit als Komponist der grand opéra" und dem Abschluss der "Aufteilung der Welt unter einigen wenigen europäischen Mächten" verwiesen, auf der Homepage des MiR die Geschichte des legendären Dampfers Great Eastern erzählt, was erklärt, warum das Bühnenbild von Andreas Wilkens von einem riesigen Schiffsrumpf dominiert wird, in dem sich große Teile der Handlung abspielen und der in den letzten Akten natürlich zerborsten ist, und warum Susanne Hubrich neben den exotischen Gewändern Kostüme des 19. Jahrhunderts entwerfen durfte. In diesem Ambiente wird nun kreuzbrav und bemerkenswert uninspiriert die krause Story erzählt oder vielmehr das Betreten und Verlassen der Szene organisiert, ohne dass es gelingt, den Zuschauer wirklich für die Vorgänge auf der Bühne zu interessieren und die Figuren jenseits ihrer etwas holzschnittartigen Anlage zu konturieren. Zum besseren Verständnis wird vor jedem Akt auf dem schwarzen Vorhang mit Texten wie im Stummfilm die Vorgeschichte erklärt, später auch das bereits Gesehene noch einmal zusammengefasst. Wäre das denn nicht eine Idee gewesen, sich mehr filmischer Mittel zu bedienen, um den Abend aufzupeppen und ihn nicht wie ein Konzert im Kostüm wirken zu lassen?

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Sélica (Hrachuhí Bassénz) zwingt Nélusco (Jee-Hyun Kim, links) zu bezeugen, dass Vasco (Christopher Lincoln, rechts) ihr Gatte ist.

In den dramatischen Szenen kam hinzu, dass man sich angesichts der ungelenken Personenführung und des hilflosen Einsatzes theatralischer Mittel mitunter das Lachen nicht verkneifen konnte - manches geriet da in gefährliche Nähe zur (ungewollten) Parodie und zur Denunzierung der Vorlage, zumal die lieblose Dekoration der Heimat Sélicas mit Götterbüsten und Teelichtgläsern aus dem Einrichtungshaus und Dschungelbildern, wie man sie von Veröffentlichungen der Zeugen Jehovas kennt, auch noch das Auge irritierte. Es ist symptomatisch, dass in der Pause vor allem über das (zunächst echte) Schoßhündchen, das Inès und Anna abwechselnd im Arm halten und dem im vierten Akt dann das kleine Köpfchen von den Wilden abgehackt wird, dass das Theaterblut nur so spritzt, und das Manzanillo-Pflänzchen geredet wurde, das sich bis zum fünften Akt zum veritablen Baum entwickelt hatte. Wäre angesichts der überschaubaren Einfälle nicht doch Raum gewesen, wenigstens die Interpretin der Sélica bei der szenischen Gestaltung der langen Sterbeszene mehr zu unterstützen?

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Sie sind Konkurrentinnen um Vascos Herz: Inès (Leah Gordon, links) und Sélica (Hrachuhí Bassénz, rechts).

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Pour celle, qui m'est chère" (Auszug aus der Romanze des Inès, 1. Akt) - Leah Gordon
(MP3-Datei)


Die souveränste vokale Leistung ist noch Leah Gordon als Inès zu bescheinigen, deren winziger, heller Sopran zwar bereits bei Mezzofortetönen ein hartes Vibrato aufweist, was aber angesichts ihres ständigen Bemühens um klares, idiomatisches Französisch, Gestaltungsraffinesse und hohe Pianokultur nicht wirklich ins Gewicht fiel; zurecht wurde sie für ihre Arbeit mit dem feinen Pinsel mit dem meisten Applaus belohnt. Nicht wesentlich mehr Volumen in der Höhe und der Tiefe, aber eine insgesamt dunklere, sinnlichere Farbe hat der Sopran von Hrachuhí Bassénz, dessen Einsatz in der wirklich dramatischen Zwischenfachpartie der Sélica man nichtsdestotrotz einfach nur als unverantwortlich bezeichnen kann (in den wenigen Aufnahmen des Werkes verzehren sich da Jessye Norman, Shirley Verrett und Antonietta Stella, und welchen Farbenreichtum bieten Leontyne Price und Grace Bumbry in den Soloszenen, die man bei youtube findet!). Die Armenierin verbreiterte ihre lyrische, bewegliche, im Piano sehr angenehme Stimme in der Mittellage und erzeugte so einen irgendwie exotisch wirkenden Klang, der entfernt an Mezzosoprane erinnert, aber in seiner ganzen Künstlichkeit eher verstörte als gefiel, trotz allen Bemühens um Ausdruck und bei allem Respekt angesichts mancher gelungener Momente, die man beim männlichen Protagonisten Christopher Lincoln gänzlich vergebens suchte. Nur weil er am Haus auch Arnold, Enée und Don José gesungen hat, nur weil er einzelne Töne in bequemer Lage an der Rampe in bemerkenswerter Phonstärke vorführen kann, ist der Australier noch lange keine erste Wahl für dieses Fach, zumal sein Französisch noch immer keinen geringen Akzent aufweist und man inzwischen mehr charaktertenorale, ausgebleichte als lyrische Töne zu hören bekommt, wo dramatische gefragt wären (wenn es auch nicht so baritonal gefärbte sein müssten wie die von Plácido Domingo in San Francisco angeschlagenen) oder man den Sänger einfach überhaupt nicht mehr hört, obwohl Samuel Bächli im Graben wirklich für eine mehr als kontrollierte Lautstärke sorgte (nur am Anfang hätte man sich das Blech vielleicht etwas weniger knallig und direkt gewünscht, und natürlich könnte manche Passage noch eleganter und raffinierter klingen) und sich auch sonst alle Mühe gab, dem Premierenpublikum dieses bemerkenswerte Werk näher zu bringen, wenngleich auch er gegen die szenische Langeweile kaum ankam. Absoluter Tiefpunkt war an diesem Abend das heisere Geflüster und die weggebrochenen Töne des Tenors im "Ô paradis", was nicht einmal mehr als Parodie von Pianogesang durchging - der Bitte um Mitleid mochte man sich einige Takte lang gern anschließen.

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Sélica (Hrachuhí Bassénz) stirbt an den betäubenden Düften des Manzanillo-Baumes.

Klangbeispiel Klangbeispiel: Auszug aus der Großen Szene des Manzanillo-Baumes (5. Akt) - Hrachuhí Bassénz (Sélica)
(MP3-Datei)


Jee-Hyun Kim habe ich immer verteidigt, wenn über das rauhe, heisere, unattraktive Timbre geklagte wurde, und stattdessen immer die Expressivität und Verve seines Singens angeführt. Als Nélusco aber kam er über wildes Gebrüll kaum hinaus, offenbarte mitunter rhythmische Probleme und verlor auch die längste Zeit den Kampf gegen die gewiss heikle, hohe Tessitur, die diese wie so manche französische Baritonpartie so unangenehm macht. Joachim Gabriel Maaß' Bass ist inzwischen auch hörbar in die Jahre gekommen, aber rollendeckend war er als Don Pédro allemal (die Aussprache indes war wie stets charakteristisch, aber doch auch irritierend), Kollege Nicolai Karnolsky polterte sich durch die kurze Partie des Don Diégo, Vladislav Solodyagin hatte strenge, metallische Töne für den Großinquisitor, Melih Tepretmez brüllte als Oberpriester des Brahma, als wolle er die Portugiesen auf diesem Wege ins Jenseits befördern, Nadine Trefzer assistierte ebenso diskret wie Georg Hansen als Matrose und Beyong-Il Yun als Priester. Daniel Wagner ließ als Don Alvar auf Grund gepflegter, unforcierter Töne und guter Textpräsentation aufhorchen, und auch die Chöre hinterließen in Christian Jeubs Einstudierung mit dynamisch differenziertem Gesang einen guten Eindruck.


FAZIT

Das Fazit lautet genauso wie das von meinem Kollegen Stefan Schmöe nach der Krönung der Poppea formulierte: "Allein der gute Wille reicht nicht". Der Unterschied zur Monteverdi-Oper ist freilich, dass man für die Realisierung der Meyerbeer-Opéra leider auch nicht die Sängerinnen und Sänger zur Verfügung hatte, die eine so schwache szenische Realisierung hätten retten können. Ein trauriger Abend und alles andere als eine Hommage à Meyerbeer!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Samuel Bächli

Inszenierung
Andreas Baesler

Bühne
Andreas Wilkens

Kostüme
Susanne Hubrich

Chor
Christian Jeub

Dramaturgie
Wiebke Hetmanek



Statisterie des
Musiktheater im Revier

Opernchor und
Extrachor des
Musiktheater im Revier

Neue Philharmonie
Westfalen


Solisten

Don Pédro,
Ratspräsident
Joachim Gabriel Maaß

Don Diego,
Admiral
Nicolai Karnolsky

Inès,
seine Tochter
Leah Gordon

Vasco da Gama,
Marineoffizier
Christopher Lincoln

Don Alvar,
Ratsmitglied
Daniel Wagner

Großinquisitor
Vladislav Solodyagin

Nélusko,
Sklave
Jee-Hyun Kim

Sélica,
Sklavin
Hrachuhí Bassénz

Oberpriester des
Brahma
Melih Tepretmez

Anna, Begleiterin
der Inès

Nadine Trefzer

Matrose
Georg Hansen

Priester
Beyong-Il Yun



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