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Mit Musik (beinahe) in die Katastrophe
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Harald Reusmann Hitler mochte Operetten. Vor allem Lehárs Lustiger Witwe, aber auch die Werke des ungarischen Juden Imre Kálmán. Der war seit der Heimkehr Österreichs ins Deutsche Reich 1938 auf der Flucht vor den Nazis, emigrierte über Zürich und Paris in die USA. In Paris muss es zu einer skurrilen Anekdote gekommen sein: Goebbels lies dem Komponisten die Erhebung zum Ehren-Arier anbieten, was dieser freilich ablehnte. Das gäbe, könnte man den bitterbösen Hintergrund beiseite schieben, für sich allein schon einen prima Operettenstoff. Unter diesem Blickwinkel hat Michael Sturminger die Handlung der (im Weltkriegsjahr 1915 uraufgeführten) Csárdásfürstin ist in das Jahr 1940 verlegt. Aus der Varieté-Tänzerin Sylva Varescu, im Original zu seligen K.u.K.-Zeiten für eine Heirat mit dem Grafen Edwin nicht standesgemäß, ist eine Jüdin geworden - und der Cousin des Grafen, Eugen von Rohnsdorf, ein überzeugter Nazi. Der Grundkonflikt, nämlich eine unmögliche" Beziehung, ist damit vom Prinzip beibehalten, durch den tragischen Kontext sogar noch ungleich verschärft worden. Sturminger hat dafür die Dialoge neu geschrieben, die Texte der Gesangsnummern aber beibehalten. Unstandesgemäßer Tanz auf den Tischen eines Budapester Varietés: Edwin von und zu Lippert Weylersheim (Peter Bording) und Sylva Varescu (Bea Robein)
Im Programmheft betont das Regieteam, die Operette nicht dekonstruieren zu wollen, was richtig und falsch zugleich ist. Der Kern der Handlung bleibt erhalten und wird ordentlich nacherzählt; dekonstruiert wird dagegen die Harmlosigkeit der Operette, die über alle Abgründe der Schützengräben hinweg musiziert: Weißt du, wie lange noch der Globus sich dreht, ob es morgen nicht schon zu spät!, sinnieren die Vertreter der Donaumonarchie in der Csárdásfürstin im Jahr 1915 (bei Sturminger sind es die Zigeuner, die sich im Theater verstecken). Davon geht die Welt nicht unter, sang das in den Abgrund taumelnde Nazi-Deutschland 1942. Die Jüdin und der Nazi: Sylva (Bea Robein) und Eugen von Rohnsdorff (Mark Weigel)
Über weite Strecken geht das durchaus schlüssige Konzept auf, auch weil vieles handwerklich gut gemacht ist. Die intensiv und raffiniert genutzte Drehbühne ermöglicht immer wieder Perspektivwechsel, das Bühnenbild gibt die Atmosphäre sowohl im Budapester Varieté als auch im trotz Krieg mondänen Wien gut wieder (Ausstattung: Renate Martin und Andreas Donhauser), und die Choreographie (Craig Revel Horwood) versteht es geschickt, die Bühne zu füllen (und mit den unterschiedlichen tänzerischen Fähigkeiten der Darsteller umzugehen). Die Balance zwischen Komödie und Tragödie bleibt allerdings heikel. Die wenigen verbliebenen Pointen entspringen letztendlich doch der Operettenwelt des Wiener Kaiserreichs, und den (zu Gunsten der Musik knapp gehaltenen) Dialogen fehlt es an Esprit und Tempo. So dominiert der düstere Rahmen, vor dem sich die Musik wie eine Revue entfaltet, was ja durchaus sinnfällig ist: Zwar ist das nicht das reine Unterhaltungstheater, das im Programmheft propagiert wird, aber eine pointiert erzählte Geschichte mit guter Musik ist nicht das schlechteste, das eine Operette widerfahren kann. Operettenglück braucht ein zweites Paar: Graf Boni (Albrecht Kludszuweit) flirtet in Wien mit Komtesse Stasi (Astrid Kropp-Menéndez)
Wenn da nicht das Finale wäre, bei dem sich gattungsgemäß alles zum Guten wendet. Eigentlich liegt den ganzen Abend in der Luft, das happy end zu verweigern, aber so weit will das Regieteam offenbar nicht gehen. Wie man mit ein paar Pistolenkugeln missliebige Bösewichte beseitigt, die dem Fortgang der Handlung im Wege stehen, das hat Sturminger den Filmen Quentin Tarantinos abgeschaut vom Publikum mit ungläubigem Gelächter ob solchen Blödsinns quittiert. Überhaupt ist der Abend durchsetzt mit mehr oder weniger deutlichen Filmzitaten, als suche Sturminger höheren Beistand für sein Konzept. Natürlich schwebt Ernst Lubitschs Filmsatire Sein oder Nichtsein über der Szenerie (auch da geht es ja um ein jüdisches Theater unter dem Nazi-Regime), ohne dass aber auch nur eine Spur von dessen absurdem Witz zu spüren wäre, Truffauts Letzte Metro kommt einem in den Sinn (das Theater dient als Versteck für Juden und Zigeuner vor den Nazis); Wilders Geschlechtertausch-Komödie Manche mögen's heiß dagegen scheint an den Haaren herbeigezogen. Es bleibt der etwas fade Beigeschmack, dass Filmzitate das Unbehagen, keinen plausiblen Schluss für die Inszenierung gefunden zu haben, überdecken sollen. Auf der Flucht: Zigeuner verstecken sich im Theater, nicht ohne Musik zu machen. Darunter ist auch Sylva Varescu (Bea Robein, vorne)
Musikalisch ist der Abend Chefsache: Intendant und Generalmusikdirektor Stefan Soltesz dirigiert persönlich (wo gibts das bei Operetten schon?), und er macht mit den vorzüglichen Essener Philharmonikern ganz große Musik daraus. Das ist nicht nur perfekt einstudiert bis in die Nebenstimmen (die sonst so oft vernachlässigten kleinen Noten bekommen auf einmal angemessenes Gewicht), sondern hat wunderbare Operettensüffigkeit, den richtigen Drive und hier und da auch ordentliches Pathos ohne deshalb schwülstig zu klingen. Dieses hohe Niveau kann das Sängerensemble nicht halten, zumal die Hauptrollen etwas rätselhaft besetzt sind: Peter Bording als Graf Edwin ist kein Tenor, sondern ein eleganter Bariton, der seine Sache auch sehr ordentlich macht, aber in der Höhe etwas eng wird. Bea Robein hat nicht die Ausstrahlung einer Diva, die einem Varietéstar wie Sylva Varescu eigentlich anstehen müsste, und auch sie ist als Mezzo eigentlich zu tief besetzt für die Partie (und mit Problemen in der Höhe). Gesungen ist das akzektabel, auch wenn die Stimme mit recht üppigem Vibrato nicht sehr genau fokussiert ist. Damit ist das Liebespaar zwar keineswegs schlecht, aber auch nicht übermäßig glanzvoll besetzt. Ähnliches gilt für Albrecht Kludszuweit als Boni, Francisca Devos als Komtesse Stasi und Günter Kiefer als Feri alles in allem eine sehr solide Ensembleleistung, wobei eine bessere Textverständlichkeit wünschenswert wäre. Ganz ausgezeichnet präsentiert sich der von Alexander Eberle einstudierte Chor: Sehr präzise, mit hoher Präsenz und variabel im Klang.
Eine ambitionierte Regie wertet das Stück inhaltlich auf, auch wenn am Ende der Mut und damit die letzte Konsequenz fehlt; ein recht ordentliches Sängerensemble und ein großartiges Orchester liefern dazu die passende Musik ab: Trotz einiger Abstriche nicht nur eine der besseren, sondern eine ziemlich gute Operettenproduktion. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Solisten
Leopold Maria
Anhilte, seine Frau
Edwin Ronald, ihr Sohn
Komtesse Stasi
Graf Boni Ká,ncsiánu
Sylva Varescu
Eugen von Rohnsdorff
Feri von Kerekes
Kellner
Kiss
Fluchthelfer
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