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Theater, nichts als Theater!
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Pedro Malinowski
Das Haus ist frisch saniert, der Saal fein herausgeputzt, die dunklen Vertäfelungen glänzen elegant in geheimnisvollem Licht, und über den Zuschauern wölbt sich ein Sternenhimmel aus vielen kleinen Lichtern. Das Theater feiert sich mit der Zauberflöte, und das mag nicht der schlechteste Grund dafür sein, dass Regisseur und Bühnenbildner Michiel Dijkema den Zuschauerraum auf der Bühne fortgesetzt hat, mit mehreren gestaffelten roten Vorhängen und einer sich verjüngenden Perspektive: Theater, nichts als Theater auf der Bühne. Das Musiktheater im Revier (MiR) stellt sich selbst in den Mittelpunkt. Zu Recht, schließlich feiert das MiR seinen 50. Geburtstag und die gelungene Renovierung seines Theaters. Vorsicht vor alten Damen:Tamino lässt sich retten.
Zur Feier steht als Hauptwerk Mozarts Zauberflöte auf dem Programm, Zauber- und Maschinentheater aus der Wiener Vorstadt, ein vielgeliebtes und trotzdem mitunter gescholtenes Machwerk, keine große repräsentative Festoper, eine Art theatralische Wundertüte, aus der ebenso das Kasperletheater herauskriecht wie die großen humanistischen Ideen. Bunt und manchmal schrill, voller Überraschungen und manchmal eine Zumutung. So jedenfalls präsentiert sie sich in Gelsenkirchen. Dijkema und Bühnenbildnerin Claudia Damm versuchen das Stück ganz konventionell in der Tradition eben des Wiener Vorstadttheaters, aus der das Werk entstanden ist, und doch ganz neu zu erzählen. Vor allem möchten sie überraschen. Manchmal auch überrumpeln.
Vorsicht Zauberei:
Die erste Pointe gelingt ihnen in der Ouvertüre. Wenn nämlich der dreifache Bläserakkord zum zweiten Mal erklingt, öffnet sich für einen kurzen Moment der Vorhang, und man sieht Sarastros Weisheitstempelgesellschaft wie eine Zirkuskapelle in knalligem Rot gekleidet eben diese Akkorde blasen. Später erscheint die Schlange als niedlicher Pappmaschee-Drache, die drei Damen der Königin sind aggressive Rentnerinnen mit Regenschirm und Handtasche, als Zauberflöte wird kurzerhand einem Musiker aus dem Orchester die Querflöte entwendet, und das Glockenspiel ist fachgerecht im Pappkarton mit der Aufschrift Caution: Magic verpackt darinnen verbirgt sich eine Mini-Celesta samt reichlich verstaubtem Spieler. Die wilden Tiere sind von erstaunlicher zoologischer Vielfalt vom Pinguin bis zur Riesenspinne, und Blitz und Donner gibt es sowieso im Übermaß. Natürlich macht das Spiel da nicht halt vor Orchestergraben und Zuschauerraum. Viel pralles Theater also, dass in vielen Elementen frisch und unverbraucht wirkt und im ersten Akt sehr kurzweilig ist (im zweiten hat sich mancher Effekt dann doch erschöpft und führt zu Längen). Rettungsdienst im Einsatz:Die drei Knaben und Tamino
Das liegt allerdings auch daran, dass Dijkema sich schwer mit der Bedeutungsebene tut. Die Königin der Nacht erscheint als ziemlich knapp bekleidetes glatzköpfiges Mädel, die einen Panzer mit etlichen Brüsten wie eine prähistorische oder primitive Muttergottheit vorgehängt hat. Die Königin als Ur- oder Übermutter? Darüber kann man ja diskutieren, aber welcher hochtheatralische Auftritt wird hier verschenkt! Die Figur scheint derart vollgehängt mit Symbolik, dass sie ihre menschlichen Züge weitgehend einbüßt. Mindestens genauso problematisch ist die Figur des Sarastro. Bei seinem ersten Auftritt erscheinen er und seine Gefolgschaft als Jagdgesellschaft, die gerade all' die niedlichen Tiere aus der Szene zuvor erlegt hat. In seinem Staat werden Sklaven misshandelt, und die 77 Sohlenstreich für Monostatos, klarer Fall von Folter, erledigt er gleich selbst. Das ist ein Bild durchaus mit Schockeffekt, weil es gänzlich unvorbereitet kommt, eine Art Widerhaken gegen eine allzu glatte und gefällige Rezeption. Aber von da an gerät die Inszenierung in eine Schieflage.
Komplizierte Mutter-Tochter-Beziehung:
Gerade bei einer so verspielten Inszenierung müsste der Konflikt zwischen Gut und Böse, so unübersichtlich die Grenzlinie dazwischen in der Zauberflöte auch verläuft, mehr und mehr ins Zentrum rücken. Hier aber ist die Königin nicht recht ernst zu nehmen (wenn sie am Ende mit Morgenstern und Panzerfaust anrückt schon gar nicht), Sarastro ist ein unangenehmer Despot (was rezeptionsgeschichtlich betrachtet inzwischen schon wieder ziemlich out ist), Papageno ein Wesen aus dem Kasperletheater und Pamina und Tamino dadurch ziemlich auf sich gestellt. Bei Dijkema schnurrt die Maschinenkomödie, aber das Humanitätsdrama wird angezweifelt. Wenn eine Inszenierung aber das Theater feiern will, warum verweigert sie dann den utopischen Schluss? Das Theater ist eine Sonne heißt es als Regieanweisung bei Mozart und Schikaneder im Finale. Hier sind es dann doch nur ein paar Lampen, weil das Regieteam die Humanitätsidee anzweifelt. Den drei Damen, der Königin und Monostatos werden im Finale die Kehlen aufgeschnitten - und stehen zum Schlusschor dann aber munter wieder auf. So ist letztendlich alles Theater, nichts als Theater. Das ist einerseits ziemlich viel, andererseits aber doch ein bisschen wenig. Gewaltbereite Spaßgesellschaft:Sarastro und Gefolge
Musikalisch glänzt vor allem die Neue Philharmonie Westfalen unter der sehr differenzierten Leitung von Rasmus Baumann. Der wählt zügige, unpathetische Tempi und hat auch klanglich sehr genau gearbeitet. Lars-Oliver Rühl ist ein Tamino mit lyrischer, weicher Stimme, der auch sehr schön phrasiert (etwas störend ist, dass manchmal der erste Ton einer Phrase unsauber angestoßen wird). Petra Schmidt ist eine warm leuchtende Pamina mit wunderbar substanzvollem Pianissimo. Die beiden geben optisch wie stimmlich ein attraktives hohes Paar ab. Sehr solide ist der unprätentiöse Sarastro von Michael Tews, mit profunder Tiefe, aber keineswegs altväterlich gesungen. Piotr Prochera gibt einen volkstümlichen Papageno, der ordentlich gesungen ist, aber noch konturierter sein könnte, Alfia Kamalova ist eine jugendlich frische Papagena. Mit scheinbar müheloser Leichtigkeit singt Diana Petrova die Koloraturen der Königin, allerdings fehlt der kleinen, lyrischen Stimme alles Hoheitliche und damit auch das Dämonische. Die drei Damen (Richetta Manager, Noriko Ogawa-Yatake, Anna Agathonos) liefern spielerisch wie sängerisch ein komödiantisches Kabinettstückchen ab, sehr homogen und klangschön singt das Knabenterzett (Migena Gjata, Engjellushe Duka und Denitsa Pophristova). E. Mark Murphy ist ein stimmlich beweglicher Monostatos, Björn Waag ein solider Sprecher. Sehr homogen und differenziert singt der Chor (Einstudierung: Christian Jeub), wobei die Feinabstimmung mit dem Orchester noch besser sein könnte.
Viel gelungener Theaterzauber, aber bei der tieferen Bedeutung wird's unübersichtlich: Eine Inszenierung, die ambivalente Eindrücke hinterlässt. Musikalisch sehr überzeugend. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Alternativbesetzung
Sarastro
Tamino
Sprecher
Priester
Königin der Nacht
Pamina
1. Dame
2. Dame
3. Dame
Papageno
Papagena
1. Knabe
2. Knabe
3. Knabe
Monostatos
Erster Geharnischter
Zweiter Geharnischter
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