Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Viel Spektakel und ein bisschen MysteriumVon Stefan Schmöe / Fotos: Oper Köln / Klaus LefebvreSamstag, 9. April 2011, 18.45 Uhr. Auffällig viele Personen sind in Weiß gekleidet. Nicht nur Kostümierte, die zahlreich herumstehen, wie man das von den personalintensiven Inszenierungen von Carlus Padrissa und seiner Truppe La Fura dels Baus kennt; auch viele Premierenbesucher sind dem Aufruf der Kölner Oper gefolgt und zeigen mit passender Gaderobe. Die Farbe des Sonntags ist Weiß. Es ist der Tag der Sonne, der Vereinigung von Michael und Eva, weniger Protagonisten als viel mehr universale Prinzipien des Licht-Zyklus, der Tag des Gotteslobes (wobei Gott nicht als christliche Formel aufgefasst werden darf, sondern als Essenz alles Religiösen quer durch alle Kulturen). Physikalisch betrachtet ist weiß die Verschmelzung aller Spektralfarben, Sinnbild des Ganzen, des Universalen also. Sonntag aus Licht ist der Abschluss der sieben Wochentage aus Licht, die in Karlheinz Stockhausens komplexer Privatmythologie mit überbordender Symbolik auf allen Ebenen die vom Komponisten selbst verfassten Texte, Bild- und Regieanweisungen, kosmische Zeichen usw. das Ringen zwischen Eva, Michael und dem gefallenen Engel Luzifer (der am glänzendschwarzen Samstag, dem Tag von Tod und Übergang zum Licht stirbt, weshalb eine Szene in einer Kirche zu spielen ist). Szene 1 Lichter - WasserDie Kölner Oper ist mit dem Riesenprojekt in das Staatenhaus gezogen, einem Bau der 20er-Jahre am Rand der Deutzer Messe, die den einst imposanten halbkreisförmigen Bau leider ziemlich zugestellt hat. Den Namen hat das Gebäude von einer Ausstellung im Jahr 1928, als es den teilnehmenden Staaten zur Repräsentation diente. Heute herrscht im Inneren nüchtern-funktionales Messeambiente vor. Zwei Bühnen sind eingezogen: Saal B ist ein klassischer Guckkasten mit einer provisorischen Tribüne für das Publikum, Saal A eine ebenerdige kreisförmige Fläche, die vollständig mit Liegestühlen bestuhlt ist und nur einzelne strahlenförmige Gänge und ringförmige Umläufe als Spielfläche übrig lässt. Szene 1 Lichter - Wasser Man liegt also. Den etwa einstündigen Sonntags-Gruß, wie Stockhausen die erste Szene auch genannt hat (der eigentliche Titel ist Lichter Wasser) darf man in entspannter Rückenlage rezipieren. Die Musiker der musikFabrik stehen im Raum verteilt, mit einer Kerze (Lichter) und einem gefüllten Trinkglas (Wasser) am Notenpult. Im Zentrum des Raumes steht eine gigantische Achse, aus der so etwas wie Flugzeugflügel und Kran-Arme herauswachsen, auf denen Projektoren angebracht sind. An einem dieser Arme hängt ein Korb, von dem aus Tenor Hubert Mayer mit leichter und geschmeidiger Stimme ganz fabelhaft den Michael singt. Noch fabelhafter ist die kokett ihre Koloraturen jauchzende Anna Palimina als Eva, die auf einem fahrbaren Podest durch den Raum geschoben wird. Aus dem Sockel schauen Köpfe und Arme der schiebenden Statistinnen heraus: Eine vielköpfige und vielarmige Skulptur, der Eva irgendwann entsteigen darf (wie auch Michael seinem Korb). Es werden Bilder der besungenen Planeten auf die Wände projiziert, am Ende der herzförmige Meteorit Micheva, Stockhausens kindlich-naives Bild der Vereinigung. Die Rauminstallation wirkt wie das mechanische Modell eines Phantasie-Universums. Die Musik klingt entspannt und durchaus heiter, Töne werden von Instrument zu Instrument weitergereicht und wandern durch den Raum, auch auf Atemtöne und Geräusche reduzierte Klänge mischen sich durchaus harmonisch bei. Er hat etwas Meditatives, dieser Sonntags-Gruß. Szene 1 Lichter - WasserAuch die zweite Szene findet wieder in Saal A statt. Die Engel-Prozession ist ein (wiederum knapp einstündiges) Werk für diverse Chöre a cappella. Die Sänger der Cappella Amsterdam und des Estonian Philharmonic Chamber Choir sowie ein Solistenquartett prozessieren in sieben Gruppen (entsprechend den sieben Tagen) aufgeteilt und loben die Schöpfung in sieben Sprachen. Das hört sich mitunter an wie exotische Volksmusik, kurze melodische Floskeln, grundiert von unendlich lang gehaltenen Liegetönen dafür ist der Kölner Opernchor zuständig, der im Kreis an der Wand des runden Raumes postiert ist. Die Chorgruppen tragen gestreifte Gewänder (Aufdrucke wie Karlheiz Stockhausen Sonntag aus Licht geben dem ritualhaften Aufbau etwas ironisch Gebrochenes), jede Gruppe entspricht farblich einem der sieben Licht-Tage. Mit kleinen Diodenlampen lassen sich hübsche Lichteffekte erzielen. Ein wenig erinnert das an venezianischen Karneval. Von den Solisten (die im Goldglanz jubilierend den Sonntag besingen) prägen sich vor allem die stimmakrobatischen Sprünge durch alle Höhen des Tonraums von Sopranistin Csilla Csövári ein. Dass die verschiedenen Gruppen im Klang und Homogenität durchaus unterschiedlich sind, gibt ihnen ein individuelles, menschliches Gepräge verstärkt durch Kussgeräusche und so etwas wie einkomponiertes Lachen oder Kichern. Diese Engel-Prozession wirkt recht irdisch. Wobei sich der faszinierende Raumklang offenbar eher denjenigen mitteilt, die (wie ich) in der Mitte des Raumes sitzen respektive liegen: Mancher, der einen Platz weiter außen hat, wird später über ein einseitiges, wenig homogenes Klangbild klagen. Szene 4 Lichter - Düfte Zur dritten Szene Licht-Bilder werden 3-D-Brillen gereicht. Man begibt sich in Saal B, wo vor einer Leinwand Tenor Hubert Mayer und Trompeter Marco Blaauw auf Flötistin Chloé L'Abbé und den Bassetthornisten Fie Schouten treffen. Ein kammermusikalischer Wettstreit, durch Synthesizer (Benjamin Kobler) und elektrische Rückkopplung (Klangregie führt Stockhausens Wegbegleiterin Kathinka Pasveer) verstärkt. Es soll genau vorgeschriebene Bewegungsformen nach mathematischen Prinzipien geben, wovon freilich für den uneingeweihten Zuschauer nichts zu sehen ist. Musikalisch ist die Szene bestimmt durch schier endlose Aufzählungen von Pflanzen, Tieren oder katholischen Heiligen (Haustierfreunde aufgepasst: Es dürfte nicht viele Opern geben, in denen explizit der Wellensittich genannt wird). Die große räumliche Distanz zu den Musikern ist hier ein großer Nachteil, weil die Töne verschmelzen und das szenische Element, das Gegeneinander, einbüßen. So dominiert der visuelle Effekt. Franc Aleu hat computeranimierte 3-D-Sequenzen geschaffen, die etwas Unnatürliches haben (sollen). Auch hier bestimmt die Zahl Sieben die Struktur; es gibt sieben Sphären: Steine, Pflanzen, Tiere, Elemente, Himmelskörper, Heilige, der Bereich Gottes. Für letzteren fehlen Aleu dann doch adäquate Einfälle, schon vorher ermüden die etwas kunstgewerblich anmutenden Bildeinfälle, die irgendwie nach überdimensioniertem Bildschirmschoner aussehen. Hin und wieder fährt die Leinwand zur Seite und gibt den Blick frei auf ein recht konventionell agierendes Tanzensemble, das sich im knöcheltiefen Wasser wälzt und von Fackeln beleuchtet wird. das ist das bewährte Spiel mit den Elementen, das Carlus Padrissa und La Fura dels Baus so gerne einsetzen, und das hier doch eine überflüssige Zutat bleibt. Ach ja, die Musiker stehen auch im Wasser. Szene 4 Lichter - DüfteSamstag, kurz nach 23 Uhr. Durchatmen. Der erste Teil des Kraftakts ist bewältigt. Sonntag, 10. April 2011, 19.30 Uhr. Der zweite Teil beginnt, wenn man so will, mit einer Kurzzusammenfassung der bisherigen Wochentage: Acht Gesangssolisten, dezent von einem Synthesizer begleitet, erinnern an das Vorangegangene. Dadurch ergeben sich kleine Szenen, die in Ansätzen fast so etwas wie klassische Operndramaturgie andeuten, allerdings wirkt dadurch auch die Musik weniger geschlossen, stärker in Einzelteile zerfallend als in den anderen Szenen. Für das Regieteam ist das die Möglichkeit schlechthin, ihr ganzes Repertoire an Bühnenzauber aufzubieten: In der Guckkasten-Konstellation von Saal B steht die Bühne nach wie vor unter Wasser (das wird auch in der nachfolgenden Szene so bleiben), das Feuer als konträres Element kommt in Form von brennenden Zeichen, den Symbolen der verschiedenen Wochentage, hinzu. Im Wasser werden kleine Inseln gebildet, das soll laut Dramaturg Thomas Ulrich das Element Erde sein gut zu wissen, wie auch, dass die Musik selbst das Element Luft ist. Das alles sieht schon recht imposant aus; zum totalen Theatererlebnis treten noch sieben Düfte, natürlich einer für jeden Tag, hinzu, die der Größe des Raumes wegen in vorsorglich recht hoher Konzentration geschwenkt werden. So kommt die Szenenbezeichnung Düfte Zeichen jedenfalls zu ihrem Recht: Beides gibt es in Fülle. Szene 5 Hoch-Zeiten für Chor Die fünfte Szene Hoch-Zeiten gibt es doppelt - oder besser: gespiegelt. Die Szene ist parallel aufzuführen, in Saal A in der Fassung für Chor (der vom Band kommt), in Saal B für (Live-)Orchester, jeweils in fünf Gruppen geteilt. Man bekommt am Ende der vorangegangenen Szene ein Kärtchen zugesteckt, dass einem den Spielort zuweist; bei der Wiederholung der Szene ist man dann im jeweils anderen Saal. Mich verschlägt es zunächst in den runden Saal A, jetzt leergeräumt und ohne Liegestühle. Es geht ein bisschen zu wie auf einer Tourismus-Messe: Fünf folkloristisch anmutende Tanzgruppen repräsentieren Hochkulturen aus Afrika, Ostasien, Indien, Arabien und (am langweiligsten) Europa. Auf die Wände werden Videosequenzen aus passenden Ländern projiziert. Man schlendert dazwischen herum, viele filmen (was den Messe-Charakter verstärkt). Später rollen große radartige Gebilde durch den Raum, und überhaupt muss man aufpassen, nicht überrollt oder überrannt zu werden. Die Inder werfen Blütenblätter, die Europäer schmierige Luftschlangen aus der Sprühdose (ojojoj, ein Hauch von Kulturkritik). Viel Brimborium. Nun gut, Carlus Padrissa und sein Künstlerkollektiv La Fura dels Baus kommen vom Straßentheater, und da liegen auch die Wurzeln für die Anlage dieser Szene. Stockhausens Musik wird dadurch leider zur Nebensache degradiert. Angeblich geht es um die mystische Vereinigung von Eva und Michael. Szene 5 Hoch-Zeiten für ChorGanz anders wirkt die Parallelversion für (Live-)Orchester. Die fünf Orchestergruppen sitzen im Wasser, hin und wieder lösen sich Musiker zu Duetten heraus, die zu kleinen szenischen Kabinettstückchen verdichtet werden. Vergleichsweise dezente Videoprojektion zeigen die gerade aktiven Instrumente, ab und zu gibt es auch hier die Einblendungen aus dem anderen Saal, hin und wieder eine Gruppe betender Menschen. Hier dominiert die Musik, die Szene wirkt ungleich konzentrierter als die Parallelaktion. Die Musiker der musikFabrik spielen das mit bewundernswerter Sicherheit. 23.15 Uhr. Zu den Klängen von fünf Synthesizern wird das Publikum im Sonntags-Abschied entlassen, ohne großen Schlusseffekt. Es bleiben ambivalente Eindrücke. Ein (musikalisch absolut souverän bewältigtes) Riesenspektakel ist vorbei, dessen naiv-technikgläubige, nie auf Interpretation angelegte Bildsprache bestenfalls an der Oberfläche dessen kratzt, was hier bewegen könnte. Aber vielleicht ist das kein Nachteil, vielleicht schützt diese auf Event polierte Hülle die eigentliche Substanz des Werkes. Es wäre spannend, nach den Hyperaktivisten Padrissa, Aleu und Olbeter einmal einen Künstler der Langsamkeit wie Bill Viola auf einen Licht-Tag anzusetzen. Und das werk selbst? Stockhausens etwas verquere Ich-werfe-alles-in-einen-Topf-Pseudoreligion kann man ablehnen oder belächeln, man kann sie in der Tradition von Faust und Parsifal als Versuch sehen, das Unfassliche doch irgendwie in Bilder zu fassen (und der Unfasslichkeit wegen alle Grenzen zu sprengen), das Gigantomanische (und wir haben doch nur einen von sieben Licht-Tagen gesehen) als Hybris aburteilen. Aber Stockhausens Musik berührt.
Die Kölner Oper und die musikFabrik bewältigen das Riesenprojekt mit Bravour. Musikalisch bleiben überwältigende Eindrücke, szenisch eher Zweifel, ob diese "Oper", die ja gar keine Oper im eigentlichen Sinne ist, sich nicht von ihrer Anlage her einer "Inszenierung", zumal einer so sehr auf Effekte ausgerichteten, verweigert. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
szenisches Konzept
Inszenierung
Video
Bühne
Kostüme
Licht
Klangregie
Ton
Choreographie
Dramaturgie
Chöre
Orchester
Szene 1: Lichter - Wasser
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