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Premiere in der Oper Leipzig am 9. Oktober 2010 Richard
Wagners
Meistersinger von Nürnberg standen auf dem Programm, als das
Opernhaus
Leipzig am 9. Oktober 1960 wiedereröffnet wurde. Auch zur Feier
des 50. Jubiläums
der Einweihung des neuen Opernhauses hat man die Festoper eines der
berühmtesten Söhne der Stadt gewählt. Als Regisseur
wurde
Jochen Biganzoli verpflichtet, der sich mit den Meistersingern auf
verschiedenen Ebenen auseinandersetzt und auch den gefeierten Jahrestag
in
seine Inszenierung einbezieht. Dazu hat er sich mit seinem Team
vielerlei
Gedanken gemacht und Ideen gesammelt, von denen ein Teil im
Programmheft
nachzulesen ist und dessen Lektüre die Inszenierung
verständlicher macht. Hans
Sachs zeigt er als Verlierer,
als einen, der dem Neuen gegenüber zwar zunächst
aufgeschlossen ist, sich dann
jedoch selbst eine Grube gräbt und die von ihm geliebte Eva an den
Neuerer
verliert. Sachs als Alkoholiker, als Gescheiterter, auch als brutaler
Mann (was
in Wagners Szenenbeschreibung durchaus auch vorkommt), der von
Großem träumt
und sich am Schluss als verzweifelter Bewahrer der Ordnung mit letzten
Kräften
nur noch lächerlich macht, ja laut ausgelacht wird und erst nach
einem
Herzinfarkt mit dem Schlusschor bejubelt wird. Er stirbt zwar nicht –
aber mit
schwach gewordenen oder gar toten Künstlern lässt es sich ja
oft leichter
umgehen, als mit denen, die noch etwas zu sagen oder gar vor etwas zu
warnen
haben. Das wird auch im Traum des Hans Sachs deutlich, als der der
Aufzug der
Zünfte umgedeutet wurde. Während des Quintetts wird das
Bühnenbild auf die
Seitenbühne geschoben, Sachs steht wie Wotan im Bühnennebel,
wird mit
Trompetenklängen gefoltert, Kisten mit Komponisten-Büsten
schweben vom Bühneboden
herab, Sachs wird zu einer Signierstunde geleitet („Hans Sachs – Mein
Leben“),
dann auf ein Podest gestellt und zunächst mit einer blau-gelben,
dann mit einer
Hakenkreuzfahne umwickelt, der Ziegenbock umtanzt ihn und entlarvt sich
als
Hitler. Ein Mädchen tanzt mit Sachs und demaskiert sich dann als
Beckmesser. Erschöpft
schläft er ein und wird erst vom „Wach auf!“-Chor geweckt. Durch
den Traum wird
ihm vieles, zu vieles bewusst und er flüchtet. Was ein
Künstler im Laufe seines
Lebens aushalten muss, wird hier gezeigt (- und ebenso was ein
Dichterkomponist
nach seinem Tode aushalten muss). Beckmesser (Dietrich Henschel)
Beckmesser
ist zwar ein
Choleriker, doch steht er Sachs intellektuell genauso wenig nach wie
dem
Lehrbuben David kämpferisch während der Prügelei.
Zumindest der modernen
Technik scheint er aufgeschlossen zu sein, sonst würde er sich
beim Ständchen
nicht von einem Tonband begleiten lassen. Dabei scheint er
allgegenwärtig zu
sein. Er dirigiert den Eingangschor, steckt unter der Maske eines
Mädchens usw.
Er träumt in der (eigentlichen) Pantomime von einer Eva, die ihn
liebt, die ihm
Stolzings Preislied verrät und die ihn leidenschaftlich
küsst. Wenn er in der
Schusterstube auf Sachs einredet, schmiert er sich zufällig mit
einer bekannten
Nuss-Nougat-Creme von dessen Frühstückstisch einen schmalen
Bart unter die
Nase. Auch durch entsprechende Gesten wird offensichtlich, dass hier
nicht
Charlie Chaplin gemeint ist. Die
Sachs- und
Beckmesser-Tragödien stehen im Kontext einer sich wandelnden
Gesellschaft.
Zunächst besingt man noch feierlich in harmonisch-freundlichem
Miteinander die
Ankunft eines Nürnberg-Modells. Dann wandeln sich die Wände
des schlichten,
grasgrünen Bühnenbildes in eine Ansammlung von Ver- und
Geboten. Derart
reglementiert entwickeln die Menschen Agressionen, die sich in einer
brutalen
Schlägerei entladen. Doch daraus entsteht sofort eine bedrohliche
faschistische
oder nationalistische Ordnung: Man uniformiert und formiert sich unter
Fackellicht und hört den Nachtwächter über Lautsprecher,
die an die NS-Zeit erinnern. Mit
einem in blau-weißen
Kostümen getanzten Sportballett der „Mädels von Fürth“ –
wohl eher von Leipzig
– und dem dazu skandierten Ulbricht-Zitat „Jeder Mann an jedem Ort –
einmal in
der Woche Sport“ sowie dem „Freundschaft“-Gruß, präsentiert
sich zu Beginn der
Festwiese viel zu harmlos eine sozialistische Übergangszeit. Am
Schluss sind
wir in großer Abendgarderobe im Heute angekommen. Und zwar ganz
konkret.
Spruchbänder nennen das Datum 09.10.2010, Papierschnitzel mit
aufgedruckter
„50“ regnen aufs Publikum. Ein bühnenbreiter Spiegel lässt
den Zuschauer im
hell erleuchteten Saal zu einem Teil des Bühnengeschehens werden.
Doch in
diesem Wohlstand genießt man den Event und will nichts von Kunst
und Ordnung
wissen – kurzerhand isst man das Nürnberg-Modell, das nun als
Sahnetorte auf
der Bühne steht, einfach auf. Das liest sich
nachvollziehbar und spannend, solange man die Musik dazu nicht
hört. Abgesehen
davon wäre man mit der Konzentration auf diese Handlungsebenen und
mit den
gelungeneren Ideen zur Personenregie möglicherweise auch zu einem
überzeugenden
Gesamtergebnis gekommen. Doch zuviel sich nicht erklärendes
Beiwerk überdeckt
die Grundidee. Was bedeuten z. B. die Menschen an den Tischen im
zweiten Akt? Müssen
es wirklich so viele Slapstickeinlagen sein? Erotisch-sinnlich: Eva (Meagan Miller) reicht Dass
beide sich in der
Schusterstube dann wild-leidenschaftlich küssen („Ich nehm'
dir
den Schuh’ eine Weil'
auf den
Leisten“), wenn eigentlich ein dezentes Flirten und
Überdenken angesagt ist, zeigt beispielhaft, wie so vieles
überzeichnet und
überinterpretiert wird. Das verstärkt sich von Akt zu Akt.
„Mami, ist das
Nürnberg?“ fragt ein Kind während einer Zäsur im Choral.
OK, jetzt wissen es
alle. Die Wände des Bühnenbildes erscheinen im ersten Bild
des dritten Aktes
wie während des Abrisses des Gebäudes. „Gott weiß, wie
das geschah?“ fragt Sachs
verzweifelnd die Hände zum Himmel hebend. Dann ordnet er eine
Schürze voller
Schuhe und stellt sie pedantisch in eine exakt gerade Reihe. Auf der
ungeordneten Bühne stehen vereinzelt, aber doch in einer Ordnung,
Schuhpaare
auf dem Boden. Stolzing schlendert gähnend und im Schlafanzug auf
die Bühne,
nimmt vor dem Dichten des Preisliedes erst einmal einen Schluck Kaffee
und
scheint seinen Text dann aus dem Kaffeesatz zu lesen. Überschwengliche Johannisnacht: in
der Mitte Stolzing
ist eher ein ungehobelter
Kerl denn ein edler Ritter. Stefan Vinke stellt dies überzeugend
dar.
Stimmlich strengt ihn die Partie sichtlich an, trotzdem lässt er
keine
Ermüdungserscheinungen hören. Er genießt es,
Spitzentöne kraftvoll strahlen zu
lassen, könnte seinem urwüchsigen Material aber gern etwas
mehr Stimmkultur und
eine feinere Artikulation angedeihen lassen. Dirigent Axel Kober startet
zunächst etwas behäbig in das Vorspiel, im weiteren Verlauf
formt er jedoch
einen differenzierten und sehr stimmungsvollen Orchesterklang, auch
wenn er
sich besonders beim umgedeuteten Aufzug der Zünfte zu
regieadäquaten Akzenten
verführen lässt. Chor und Orchester zeigen sich bestens
disponiert. Zum
Schluß ein Gedanke
zur immer wieder diskutierten Frage von Nazis und Hakenkreuzen in den
„Meistersingern“
auf der Bühne: Wird es im Programmheft auch als „dumm“ bezeichnet,
wenn man die
Rezeptionsgeschichte (Achtung: Modewort! Unbedingt verwenden!) nicht in
die
Inszenierung einbezieht, so beweisen Inszenierungen (z. B. in
Darmstadt,
Hildesheim und in der Komischen Oper Berlin), die Libretto und Musik
beim Wort
nehmen, dass es dem richtig gelesenen Werk sehr gut tun kann, es vom
Ballast
der Geschichte unbelastet zu erzählen, vielleicht sogar zu
befreien – auch,
wenn man sich damit dem Vorwurf des wenig Intellektuellen aussetzt. Musikalische
Leitung Inszenierung
Bühnenbild Kostüme Choreographie
Dramaturgie Gewandhausorchester Kinder- Jugend- Hans Sachs Veit
Pogner Kunz
Vogelgesang Konrad
Nachtigall Sixtus
Beckmesser Fritz
Kothner Balthasar
Zorn Ulrich
Eisslinger Augustin
Moser Hermann
Ortel Hans
Schwarz Hans
Foltz Walther
von Stolzing David
Eva
Magdalene
Ein
Nachtwächter Weitere
Informationen
Die
Meistersinger
von Nürnberg
Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner
Oper Leipzig
(Homepage)
Das
große Scheitern des Hans Sachs
Von Bernd
Stopka / Fotos von Andreas
Birkigt
dem Nürnberg-Modell
Chaos am Ende des ersten Aktes
Wieder einmal steht hier
eine Idee, ein Konzept über dem Libretto und der Musik und wieder
einmal sind
die Mittel, mit denen die Geschichte erzählt wird,
zusammengeklaubt
und
abgeschmackt, oft gesehen und damit langweilig (innerhalb von knapp
zwei
Monaten habe ich das Publikum nun in drei Inszenierungen aus dem
Zuschauerraum
auf die Bühne gespiegelt gesehen…). Zu diesem Eindruck trägt
auch die wenig
charismatische Ausstattung bei, die Bühnenbildner Helmut Brade und
Kostümbildnerin Heike Neugebauer entwickelt haben.
Sachs (Wolfgang Brendel) die Nägel
Beckmesser (Dietrich Henschel) und
Eva (Meagan Miller)
David (Dan Karlström) und Magdalene (Karin Lovelius)
Sachs (Wolfgang Brendel) und
Beckmesser (Dietrich Henschel)
FAZIT
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Produktionsteam
Axel Kober
Jochen Biganzoli
Helmut Brade
Heike Neugebauer
Sören Eckhoff
Silvia Zygouris
Michael Winrich Schlicht
Marita Müller
Chor der Oper Leipzig
und Zusatzchor
der Oper Leipzig
Komparserie
Solisten
Wolfgang Brendel
James Moellenhoff
Martin Petzold
Jürgen Kurth
Dietrich Henschel
Tuomas Pursio
Timothy Fallon
Keith Boldt
Tommaso Randazzo
Tomas Möwes
Zoltán Nagy
Miklós
Sebestyén
Stefan Vinke
Dan Karlström
Meagan Miller
Karin Lovelius
Roman Astakhov
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Oper Leipzig
(Homepage)
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E-Mail: oper@omm.de
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