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Bewegte FarbenleereVon Roberto Becker / Fotos von Jan-Pieter Fuhr
Wenn sich selbst ambitionierte Bühnen wie in Frankfurt oder München mit ihren Ring-Projekten nicht wirklich an den großen Welterklärungsversuch oder Kommentar zur Gegenwart herantrauen und das eher ausgeflippten Provokateuren wie Barrie Kosky in Hannover oder einem routinierten Altmeister wie Hansgünther Heyme in Halle überlassen, dann hat natürlich auch Dessau die Freiheit, die Ring- einer Weltdiagnose vorzuziehen. Also keinen weiteren halbgaren Regietheater-Aufguss von Kapitalismus- oder Globalisierungskritik beizusteuern, sondern sich (so wie Achim Freyer gerade in Mannheim) einen ästhetischen Kunstkosmos zu basteln und den Rest an die Musik und (notgedrungen auch den Text) Richard Wagners zu delegieren. Hamlets Mutter Gertrud sitzt ja mit Sicherheit nicht im Publikum, um ihr Mehr Inhalt, weniger Kunst der Bühne entgegen zu halten. Gründe hätte sie in Dessau einige. Siegfried und Brünnhilde auf dem Walkürenwürfel
Dort hat man jetzt den Ring mit der Götterdämmerung angefangen. Man inszeniert also nicht dem benachbarten Halle hinterher, sondern kommt der Konkurrenz vom anderen Ende entgegen. Und das auf Augenhöhe, was die musikalischen Qualitäten betrifft! Es ist nicht nur für die ausgemachten Wagnerianer beglückend, wenn man Wagners Stresstest-Monstrum für jedes Opernhaus auf so dichtem Raum von mittleren Häusern auf einem derartigen musikalischen Niveau geboten bekommt. Der herbei geraunte Kulturinfarkt jedenfalls sieht anders aus. Und die Behauptung, es gäbe in Deutschland bei der Hochkultur von allem zu viel und überall das gleiche, lässt sich kaum besser kontern. Der Dessauer GMD Anthony Hermus demonstriert mit der Anhaltischen Philharmonie vom ersten Nornenraunen bis zu den paar hellen Nachklängen, die auf den gewaltigen (Götter-)Weltuntergang im Finale folgen, wieso das Dessauer Theater seinen einstigen Beinamen Bayreuth des Nordens immer noch zu recht hervorholen kann, wenn es der Vermarktung dient. Was man erleben kann, ist ein großer Klang im großen Haus. Mit leisen Tönen, wo es sein muss und mit jener Faszination, die die Wucht des Trauermarsches oder das gewaltige Finale entfalten können, in dem Brünnhilde den Scheiterhaufen für Siegfried und sich selbst und die Götterburg gleich noch mit in Brand setzt. Hagens Mannen scharen sich um den Finsterling
Auch, dass es heute keine Wagnersänger für die großen Partien mehr gäbe, verweist Dessau ins Reich der Fabel. Man muss nur abseits des Kreises der Handvoll von überall herumgereichten Stars suchen. Dann findet man auch einen Siegfried wie Arnold Bezuyen, der seinen Wechsel vom Loge-Sänger zum Siegfried alles in allem mit Bravour meisterte. Oder einen standfest intrigierenden Hagen wie Stephan Klemm. Die restlichen Rollen kann man in Dessau aus dem Ensemble oder mit dem Haus eng verbundenen Sängern besetzten. Iordanka Derilova etwa ist mit Wagner in ihrem eigentlichen Element und liefert, ab dem zweiten Akt, eine erstklassige Brünnhilde mit Kraft und Deutlichkeit. Auch sonst ist dieser Ringauftakt rollendeckend besetzt: von Ulf Paulsen (Gunther) und Angelina Ruzzafante (Gutrune), über Nico Wouterse (Alberich) bis hin zu der aus dem Nornen- und Rheintöchtertrio, aus dem neben Anna Weinkauf und Sonja Freitag, besonders Rita Kapfhammer in ihrer dritten Rolle als Waltraude herausragt. Da auch der Chor, mit bewährten Partnern aufstockt, in Hochform ist, lässt sich aus Anhalt ein musikalischer Glücksfall vermelden. Gutrune (oben auf der Gibichungenplattform) erhält schlechte Nachrichten
Bei der Regie ist die Sache nicht so eindeutig. Doch André Bücker ist zumindest konsequent in seinem Versuch, eine Bauhaus-Ästhetik auf die Bühne zu projizieren.Was die Projektionen im wortwörtlichen Sinne betrifft, haben sich Frank Vetter und Michael Ott offenbar nach Herzenslust ausgetobt und manchmal den Sinn des Gesungenen illustrierend getroffen. Oft entschweben sie damit aber auch in ein virtuelles Nirwana, das im besten Falle als Bauhaus-Reminiszenz durchgeht, oft aber auch in eine unverbindliche Bildschirmschoner-Ästhetik abdriftet. Dass das so exzessiv gar nicht nötig ist, wird deutlich, wenn der mit Leuchtspeeren bewaffnete Chor von Hagens Mannen in blauen Röcken als Formation aus der Versenkung hochfährt und mal nichts zusätzlich auf der an sich triftigen weißen Verkleidung des Bühnenportals flackert. Regelrecht falsch wird es, wenn sich zu Siegfrieds Trauermarsch der Vorhang senkt, die Musik gerade ihre Wirkung zu entfalten beginnt und ein Flimmersturm sondergleichen ausbricht. Das könnte man vielleicht sogar noch einmal in Ruhe überdenken und etwas beruhigen. Misstrauen gegenüber der Musik und der sonstigen Bühne ist nämlich unangebracht. Brünnhilde zum Ende entschlossen . Hinter ihr im Glaskasten der neue Siegfried
Die Kostüme von Suse Tobisch (die nur etwas gegen Siegfried zu haben scheint) verweisen auf Oskar Schlemmer. Da die Figuren (ähnlich wie bei Robert Wilson) stilisierte Zeichen mit ritualisierten Bewegungen sind, bleibt deren Psychologie außen vor. Wie bei dem Amerikaner aber bricht sie dann doch immer mal durch. Etwa wenn zitternde Handbewegungen innere Unruhe verdeutlichen sollen. Oder wenn selbst der stets ulkig herum staksende Siegfried mit einem Minenspiel aufwarten darf. Ein heimlicher Star dieser Götterdämmerung ist Jan Steigerts Bühne. Da ist einmal der riesige schwarze Walkürenfelsen-Würfel. Durch seine 14 Schichten kann er wunderbar aus der Quader in die stufige Felsenform gleiten und erinnert entfernt an eine Tony-Cragg-Plastik. Auch die drei Gibichungentürme mit ihren Fahrstühlen und der ebenfalls auf und abgleitenden Plattform spielt mit der funktionalen Ästhetik des Bauhauses wie die halbrunden Horizonte, auf die unentwegt projiziert wird. Technisch funktioniert das alles fabelhaft als eigener Kosmos und als ein Spiel der Figuren, des Raums und der Farben.
Diese Götterdämmerung ist szenisch ein Triumph der Form über den Inhalt. Sie ist aber in sich stimmig und geht auf hohem musikalischem Niveau über die Bühne. So ist doch eine Art von Gesamtkunstwerk herausgekommen, das vom Premierenpublikum mit einhelligem Jubel für alle Beteiligten gefeiert wurde. Bei Orchester begann die stehende Ovation - und das ganz zu Recht. Zu unserem Interview mit dem Dirigenten Antony Hermus Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Dramaturgie
Solisten
Siegfried
Gunther
Alberich
Hagen
Brünnhilde
Gutrune
Waltraute
1. Norn
2. Norn
3. Norn
Woglinde
Wellgunde
Floßhilde
Der neue Siegfried
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- Fine -