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Russendisko
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Iko Freese
Da wurde jemand nach einer allzu alkoholseligen Party im Fledermauskostüm in der Öffentlichkeit drapiert, um seinen Rausch auszuschlafen, und die Blamage war perfekt das ist die Vorgeschichte der Fledermaus. Was in der Regel als Provinzposse in einer Kleinstadt der K.u.K.-Monarchie abgehandelt wird, ist ja auch für unsere Zeit gar nicht so weit hergeholt, wie eine kleine Videoeinspielung in der Neuinszenierung von Gil Mehmert zeigt: Den besoffenen Kumpel im Batman-Kostüm auf der Rolltreppe im Essener Untergrund abgelegt, mit dem Handy gefilmt (und vermutlich in Youtube der Öffentlichkeit zum Spott präsentiert) so geht das heutzutage. Mit ein paar kleinen griffen transformiert Mehmert durchaus plausibel das Geschehen in die Gegenwart, ohne deshalb auf die Operettenatmosphäre verzichten zu müssen. Der Ball beim Rusenprinzen Orlofsky ist eine moderne Megaparty in einer extra dafür aufgetakelten Industriehalle, es gibt viel Technik und Feuerwerk. In etwa dürfte sich das (in dieser zweiten Aufführung der Produktion vergleichsweise gut vertretene) junge Publikum wiedererkennen, ohne dass das Stammpublikum deshalb wegschauen müsste. Frack und schöne Kleider gibt es nämlich auch. Heiko Trinsinger (Dr. Falke), Yara Hassan (Ida), Matthias Rexroth (Prinz Orlofsky), Opernchor
Mehmert hat die Dialoge verknappt (was der Musik gut tut), aber kaum verändert, und so entwickelt sich die Geschichte weitgehend ungebrochen in bewährten Bahnen, etwas aufgefrischt, aber wenig verfremdet. Die Partie des Orlofsky ist mit einem Altus, also der hohen Männerstimme, besetzt, was die Skurrilität der exzentrischen Figur sinnfällig unterstreicht Matthias Rexroth ist auch weniger auf Schönklang aus denn auf effektvolle Intervallsprünge und eine (maßvolle) Überzeichnung der Figur. Zum dritten Akt wird das Partyszenario einfach hochgefahren und ist immer noch erkennbar), darunter liegt das Gefängnis als sichtbar gewordene Kehrseite der Spaßgesellschaft. Im ersten Akt sieht man zunächst nur den überdimensionierten Besetzungszettel der Uraufführung der Fledermaus, die notwendigen Requisiten werden nach und nach hereingefahren, und es wird nie geleugnet, dass wir uns im Theater befinden. Das zeigt sich auch in der zunächst etwas überzeichneten Personenregie, die gleich Ausrufezeichen setzt, sich aber allmählich entspannt und die Geschichte schnörkellos erzählt. Vielleicht könnte das eine oder andere Detail noch abgründiger sein, aber insgesamt hat Mehmert den kurzweiligen Abend ohne Hänger souverän im Griff. Adele (Hulkar Sabirova), König Champagner (Nwarin Gad), Ida (Yara Hassan)
Musikalisch ist die Produktion Chefsache, obwohl doch nur Operette gespielt wird (gerne ein Fall für zweite Kapellmeister), und das zeigt schon die hohe Wertschätzung, die der Gattung hier erfreulicherweise widerfährt. Ein durchsichtiges, schlankes Klangbild, exakte Phrasierung in jedem Detail, flüssige Tempi, geschmackvolle und punktgenaue Verzögerungen, die Vermeidung allen Pathos' und Kitsches das zeigt ebenso die Handschrift von Stefan Soltesz wie das exzellente Niveau der Essener Philharmoniker. Auch der Opernchor zeigt sich in guter Verfassung (für die riesige Essener Bühne hätte man aber ruhig noch noch die Statisterie dazu bitten dürfen, um die Partystimmung zu vergrößern). Gefängnisdirektor (Michael Haag), Frosch (Tom Zahner)
Gesungen wird durchweg sehr ordentlich, auch wenn kein ganz großer vokaler Glanz zu vernehmen ist. Peter Bording ist ein optisch sehr eleganter Eisenstein mit kräftiger, etwas enger Stimme. Alexandra Reinprecht gibt seine Gattin Rosalinde höhensicher und tonschön; die Bühnenpräsenz im Csárdás des Mittelaktes wird nicht ganz grundlos von der regie kräftig unterstützt da fehlt der Sängerin ein wenig das Zupackende in der Stimme. Ähnliches gilt für die Adele von Hulkar Sabirova, deren scheinbar empörtes Mein Herr Marquis! divenhafter sein dürfte; die gesungen-gespielte Unschuld vom Lande liegt ihr besser (und bekommt den längsten Szenenapplaus des Abends). Tenor Alfred ist stimmlich ein Leichtgewicht, was der Rolle ja durchaus entspricht. Heiko Trinsinger als Dr. Falke und Günter Kiefer als Gefängnisdirektor Frank sind solide Besetzungen, Yara Hassan ist eine sehr attraktive Tänzerin Ida. Tom Zahner spielt den Gefängnisdiener Frosch als virtuose Slapsticknummer.
Operette für alle: Die Regie transformiert die Geschichte behutsam in die Gegenwart, ohne die Eigenarten des Operettengenres preiszugeben - das ist nicht sensationell neu, aber sicher repertoire- und sylvestertauglich. Sängerisch ordentlich, orchestral hervorragend. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Solisten
Gabriel von Eisenstein
Rosalinde
Dr. Falke
Adele, Kammermädchen
Dr. Blind, Anwalt
Alfred, ein Tenor
Prinz Orlofsky
Ida, Adeles Schwester
Frank, Gefängnisdirektor
Frosch, Gefängniswärter
Ivan, Orlowskys Diener
König Champagner
DJ beim Fest
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