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Agathe allein zu HausVon Joachim Lange / Fotos von Gert Kiermeyer
Das Goethe-Theater in Bad Lauchstädt ist ein echtes Kleinod vor den Toren der Stadt Halle. Es trägt den Namen des Weimarer Klassikers, weil es sein Haus war. Er hat an den Entwürfen entscheidenden Anteil und beim Bau mit Geld aus der eigenen Tasche ausgeholfen. Vor allem aber war er hier Theaterdirektor. Goethe ist hier immer noch allgegenwärtig. Man kann ihn zwar nicht hören, aber wie er gehört, das kann man nachvollziehen. Seine Loge war die mit der Nummer 5 im ersten Rang. Dort ist die Akustik wie nicht anders zu erwarten fabelhaft!
Es ist nämlich nicht mit einem Hörschaden zu rechnen, wenn man sich in diesem Theater, in dem erst vor kurzem mit Flotow Martha das erste Mal eine romantische deutsche Oper gespielt wurde, dem Joho tralala des berühmten Jägerchores, der Ouvertüre und all den andern Hits aus Carl Maria von Webers Freischütz aussetzt. Karl-Heinz-Steffens und die für ihren Ausflug in das historische Theater vor den Toren der Stadt auf einunddreißig Musiker abgerüstete Staatskapelle treffen nämlich genau das Maß, das Goethes Theater verträgt, ohne dass die Wände wackeln. Bekanntes klingt so auf überraschende Weise transparent, bis hin zu den einzelnen Instrumenten. Das ist ein beglückendes Hör-Erlebnis. Einmal wird es ganz direkt ausgestellt: Wenn Ännchen (mit Koketterie: Ines Lex) bei ihrer vorfreudianischen, küchenpsychologischen Traumdeutung von Nero, dem Kettenhund, berichtet, dann steht mitten auf der Bühne eine kleines Puppentheater mit dem Bad Lauchstädter Vorhang. Hinter der tröstenden Cousine Agathes spielt der Solo-Bratschist und sieht in seinem Anzug Samiel verteufelt ähnlich. Agathe und Max im Kleiderschrank der Erinnerung
Überhaupt Samiel. Der geschniegelt, präzise und mit dosiertem dunklem Witz aufwartende Harald Höbinger führt hier, zusammen mit der sich erinnernden, älter gewordenen Agathe von Barbara Zinn, durch die Handlung. Die ist hier die Erinnerung der alt gewordenen Agathe. Und die ist mit ihrem verpassten Lebens-Happy-End wohl kaum so witzig, wie die hinreißend zum Stück - und diesem Theater - passende Inszenierung von Christian Schuller. Irgendetwas muss nämlich schief gelaufen sein mit dem Probejahr, das der Eremit am Ende als Ersatz für den unseligen Probeschuss einführt. Was man beim Auftritt des Eremiten (Ki-Hyun Park) schon ahnte, denn der ist nur das weiß gekleidete Pendant zum Finsterling in Schwarz. Zur Ouvertüre sieht man Agathe auf den Dachboden klettern, um in Erinnerungen zu kramen. Die Möbel sind abgedeckt, die Wäsche, wohl ihre Aussteuer, liegt fein säuberlich sortiert und unberührt im großen Kleiderschrank. Als sie schon wieder nach unten steigen will, lässt die Musik plötzlich ihre Erinnerung aufbrechen: Die Schranktür fliegt auf, ein Brautpaar erscheint, das Spiel beginnt. Schuller umgeht mit den beiden Schauspielern und den Texten, die er ihnen geschrieben hat, intelligent die Klippe, zur der die gesprochenen Passagen von Webers Texter Friedrich Kind meistens werden. Doch selbst dann, wenn er Fremdes einfügt, passt das punktgenau und hat rein gar nichts von Dramaturgen-Besserwisserei. Wie das: Ihr denkt, zu töten wäre schwer. Wo kommen all die Toten her?, das sich dieser Mephisto-Samiel von Steffen Kopetzky geborgt hat. Agathe und Ännchen
Ansonsten hat den Regisseur und seinen Ausstatter Jens Kilian offensichtlich der genius loci gepackt. Sie haben sich bewusst auf die alte und ja immer noch (dank der Muskelkraft eines Dutzends Untergrundarbeiter!) funktionierende Bühnentechnik besonnen und beschränkt. Eine veritable Wolfschlucht kriegt man eben auch hin, wenn rot angeleuchtete Arme wie Höllenflammen aus den Versenkungen züngeln für den Rest sorgt dann der Vollblut-Kaspar Gerd Vogel. Und wenn man die Prospektkulissen so mit einem Zauberkleiderschrank für die Auf- und Abgänge kombiniert und das Sofa fürs Wohnzimmer auf offener Szene hereinträgt, dann springt die Freude am handgemachten Theater von selbst über. Kaspar und Max in der Wolfsschlucht
Obendrein steckt hinter all dem liebevoll zum Leben erweckten Bühnenzauber auch noch eine ambitionierte Idee. Die Geschichte von Überforderung und gescheiterten Lebensplänen wird unaufdringlich in die Gegenwart projiziert. Vor allem durch die Kostüme für Max (höhenstandfest: Ralph Ertel) und Agathe (mit sicherem, melancholischem Unterton: Anke Bernd) oder den Show-Auftritt des Eremiten, der aus seinem Köfferchen rote Taschenbücher verteilt, die vielleicht die neuen Regeln enthalten, nach denen jetzt gespielt wird. Was an dem mit wilhelminischem Kopfputz wie ein Relikt im Rang thronenden Fürsten Ottokar (Nils Giesecke) vorbei geht. Agathes Vater Kuno hatte seinem Beinahe-Schwiegersohn sicherheitshalber ein Bündel Geldscheine zugesteckt. Damit er durchhält und wiederkommt? Oder doch lieber wegbleibt? Wer weiß. Zum Coup dieser durchweg gelungenen Produktion wird der (ja immer etwas heikle) Jägerchor: Erst rezitiert Samiel den Text - samt jedem lala - mit fein distanzierter Ironie und zur glucksenden Freude des Publikums. Wenn dann der bestens aufgelegte Chor (Jens Petereit) vom Zuschauerraum aus losschmettert und Samiel immer wieder die riesige Flinte auf der Bühne bedient, gehen Frauen an der Rampe, als eigentliches Jagdwild, reihenweise in einer Wiederholungsschleife getroffen zu Boden. Das sitzt.
Das Goethe-Theater in Bad Lauchstädt hat mit diesem Freischütz ein Glanzstück im Programm! (Einen Makel hat das Ganze aber doch: Wer 'rein will, muss bis zum 13. Oktober warten.) Zu einem Interview mit René Schmidt, dem Intendanten des Goethe-Theaters Bad Lauchstädt Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Chor
Solisten
Ottokar
Kuno
Agathe
Ännchen
Kaspar
Max
Ein Eremit
Kilian
Samiel
Agathe-Double
Samiel-Double
Vier Brautjungfern
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- Fine -