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Musiktheater
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Don Carlo

Oper in vier Akten
Dichtung von Joseph Méry und Camille du Locle
nach Friedrich Schiller
(ins Italienische übersetzt von Achille de Lauzières und Angelo Zanardini)
Musik von Giuseppe Verdi
"Mailänder Fassung" (1884)

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Übernahmepremiere im Theater Mönchengladbach am 21. Januar 2012

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Theater Krefeld-Mönchengladbach
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Beziehungen zwischen Macht und Menschlichkeit - Don Carlo überzeugt in Rheydt

Von Thomas Tillmann / Fotos von Matthias Stutte

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Marquis Posa (Igor Gavrilov, rechts) will seinen Freund Carlos (Erin Caves, links) davon überzeugen, sich für das unterdrückte Flandern einzusetzen.

Zweieinhalb Jahre nach der Krefelder Premiere ist François De Carpentries' Inszenierung des Don Carlo nun auch im Rheydter Opernhaus angekommen, eine Inszenierung, die das komplexe Werk nicht mit eigenwilligen Ideen überfrachtet, sondern schlüssig die "Beziehung zwischen Macht und Menschlichkeit" auf die Bühne bringt, wie der Regisseur es formuliert hat: "Macht korrumpiert die Menschlichkeit. Aber auch der Umkehrschluss gilt: Menschlichkeit ist hinderlich beim Ausüben von Macht." Allerdings braucht es einige Zeit, bis der Abend an Spannung und Dichte gewinnt, im ersten Teil ist die sehr minimalistische Szene, der Verzicht auf riesige Aufbauten und Massen von Requisiten (was natürlich nicht nur künstlerische, sondern zweifellos auch finanzielle Gründe haben dürfte) eher ein Hindernis, denn es fehlt dem Regisseur an den nötigen erstklassigen Darstellern, an Sängern mit größter Präsenz, die in diesem Ambiente nicht verloren wirken, die mehr als Standardgesten und Konventionelles entwickeln und sich trotz erheblicher musikalischer Aufgaben ganz auf ihre Rollen einlassen. Aber es gibt auch sehr packende, wenn auch mitunter etwas plakative Szenen, etwa wenn Carlos Elisabeth zu vergewaltigen versucht, auch das Autodafé hat überraschende Momente, die über die Klischees mancher allein auf Massenaufmärsche setzender Produktionen hinausgehen, der nicht vollzogene Akt vor "Ella giammai m'amo", währenddessen der König sich an den Laken, die neben dem Teppich mit einer Weltkarte auf dem Bühnenboden liegen, geradezu festkrallt in seiner Verzweiflung. Auf dem riesigen Plafond, der in Siegfried E. Mayers suggestivem, fast immer im "Rot der Leidenschaft, der Kirche, der weltlichen Machthaber" und des Blutes ausgeleuchteten Bühnenbild in immer wieder neuen Positionen zum Einsatz kommt, ist das Kreuz auszumachen, das die Handlung begleitet und kommentiert, er "übt Druck auf alle auf der Bühne agierenden Personen aus", er dient als Projektionsfläche für zentrale Begriffe etwa in der großen Szene zwischen Philipp und Posa, auf ihm sind nicht zuletzt während des Autodafés die Menschenrechte zu lesen, die das Feuer zerstört. Ebenso gelungen fand ich auch die Idee, während des ganzen Abends ein schwarzes Loch in der Bühnenmitte zu zeigen, das nicht nur die Abwesenheit Karl V. (der nichtsdestotrotz wie ein Geist in vielen Szenen auftaucht) illustriert, sondern auch zeigt, dass sich diese Figuren ständig am Rand bewegen, in der Nähe zu Untergang und Tod.

Viele Gedanken hatte sich Karine Van Hercke über die Kostüme gemacht, "die Respekt vor der Zeit von Philipp II. haben und gleichzeitig einen Bezug zur Moderne darstellen" sollten und die zweifellos etwas von der strengen Etikette erkennen ließen, die damals am spanischen Hof herrschte, und von der starken Reglementierung jeder Körperhaltung. Leider kam allerdings bei ihnen auch am deutlichsten zum Vorschein, dass das Budget des rührigen Theaters am Niederrhein ein sehr begrenztes ist, für mein Empfinden war da ein bisschen viel Taft und Organza im Einsatz, einige der ansonsten schönen Roben der Königin waren zudem ein bisschen kurz, die diversen Schleppen der mächtigen Männer indes sehr eindrucksvoll.

Vergrößerung in neuem Fenster Carlos (Erin Caves) ist fast wahnsinnig vor Liebe und versucht Elisabeth (Janet Bartolova) zu vergewaltigen.

Ich werde nicht müde, eine Lanze für die unverwüstliche Janet Bartolova zu brechen, die 2009 eine sehr gute Eboli gesungen haben soll und nun als Elisabetta in ungewohntem Weißblond zu erleben war, das sicher nicht unbeabsichtigt Assoziationen zu Desdemona auslöste (ebenso wie in der aktuellen Norma-Produktion wechselt die Bulgarin zwischen den beiden Frauenpartien, das konnten und können nicht viele Kolleginnen). Natürlich ist sie nicht das blutjunge Mädchen, das eben noch verliebt durch die Wälder von Fontainebleau gestreift ist, sondern eine Frau, die durch die Entscheidung, als Königin nach Spanien zu einem älteren, ungeliebten Gatten gehen zu müssen, schnell erwachsen geworden ist, und so passt der kraftvoll-reife Ton durchaus zur Rolle, die hier eben nicht nur die einer passiven, resignierten Königin ist, sondern die einer energischen, leidenschaftlichen Person, die mindestens Ansätze von Protest gegen ein menschenverachtendes System und eine unerträgliche Ehe zeigt und deren Schmerz den Zuschauer erreicht. Sicher, mitunter braucht die Stimme bei hohen Tönen ein wenig Anlauf, manches gut gemeinte Piano klingt ein wenig gefährdet, zu Beginn der großen Arie klang der Sopran sehr hart und wenig geschmeidig, dann aber wieder ganz vorzüglich in den folgenden Pianopassagen. Dass während der Arie die vielen weißen Kreuze für die Schlussszene aufgebaut wurden, lenkte leider etwas von den Bemühungen der Künstlerin ab, die einen Moment der Pause für Applaus durchaus gerechtfertigt hätten (so blieb es bei einem einzelnen vehementen Brava aus dem Rang). Was aber das Wichtigste war: Anders als fast alle anderen Protagonisten scheint die Bulgarin den ihr anvertrauten Text wirklich verinnerlicht zu haben, und dass sie darstellerisch in einer anderen Klasse spielte, überraschte nach ihrer Adalgisa und vielen anderen Partien der letzten Jahre nicht. Trotzdem sollten Verdifreunde die Gelegenheit nicht auslassen, die auch sehr interessante Dara Hobbs in der Rolle zu erleben.

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Prinzessin Eboli (Eva Maria Günschmann) realisiert, wohin sie Schönheit und Intriganz getrieben haben.

Als Ensemblemitglied an einem kleineren Haus kann man sich die Rollen nicht immer aussuchen, und so bleibt zu vermuten, dass Eva Maria Günschmann die Eboli lieber erst in einigen Jahren oder überhaupt nicht gesungen hätte - ich wurde den Eindruck nicht los, eine Comprimaria zu hören, die man mit einer zu großen Aufgabe betraut hatte, pardon, auch wenn sie in Trier, wo sie fast zehn Jahre unter Vertrag war, bereits einige wichtige Fachpartien interpretiert hat. Der Künstlerin mangelt es noch erheblich an Ausstrahlung, ihrer Stimme an Volumen und Farbenreichtum, an Eleganz und Geläufigkeit für das Schleierlied, und auch darstellerisch beobachtet man viel Bemühtes, Holzschnittartiges. Immerhin, rein vokal war das ohne Fehl und Tadel, in der heiklen Partie hört man auch von prominenteren Kolleginnen das eine oder andere Mal Peinigenderes, gerade auch im "O don fatale", das die Deutsche vorn an der Rampe singen durfte (während hinter dem Vorhang nicht ganz leise umgebaut wurde), wobei sie sich mit dem zersprungenen Portrait des Infanten das Gesicht zu zerschneiden hatte (später trägt sie folgerichtig die Augenklappe, die man von einigen Portraits kennt) und sich von dem größeren Teil ihrer Perücke befreien durfte (dafür hätten die anderen weiblichen Mitwirkenden sicher viel gegeben, die allesamt scheußliches Zweithaar abbekommen hatten).

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Posa (Igor Gavrilov, rechts) erläutert König Philipp (Hayk Dèinyan, links) seine Sicht der Dinge.

Erin Caves, den das Publikum am Niederrhein schon als Siegmund und Siegfried in Loriots Ring an einem Abend kennt, teilte sich die unterschätzte Titelpartie gut ein und schlug sich entsprechend tapfer - man erinnert sich gut an seine Entwicklung vom lyrischen Bariton zum Tenor und viele Rollen im neuen Fach am Musiktheater im Revier. Ihm gelingt manche musikalische Feinheit, auch dramatische Akzente sind ihm nicht fremd, aber mitunter singt der Künstler doch mit erheblichem Druck, was die Stimme, die in entspannter Mittellage und im Mezzoforte am besten klingt, nicht schöner macht, das Timbre weist für mein Empfinden ohnehin grundsätzlich doch eher ins deutsche Fach. Leider ist der Amerikaner kein besonders suggestiver, sondern ein eher unbeweglicher, in manchen Szenen sogar unbeholfener Darsteller, der mehr Hilfe von der Regie gebraucht hätte. Gleiches gilt für Igor Gavrilov als Posa, dessen markant-viriler, etwas glanzloser, aber doch beeindruckender, ungestümer Bariton durchaus zur Rolle passt, die der Regisseur als "echten Politiker und jemanden, der für menschliche Werte kämpft", beschreibt, der aber "kein Idealist" sei, sondern vor allem seine Ziele erreichen wolle. Die Stimme des Ukrainers hat sich zweifellos entwickelt, wobei interpretatorisch noch einiges mehr an Zwischentönen und Nuancen zu erarbeiten wäre, besonders den pseudodramatischen Schluss seiner Todesszene hätte man ihm so nicht durchgehen lassen dürfen.

Vergrößerung in neuem Fenster Der Großinquisitor (Matthias Wippich, links) erklärt dem König (Hayk Dèinyan, rechts), wer das Sagen hat.

Nicht recht überzeugen konnte mich Hayk Dèinyan als Philipp II., die Stimme klang von Anfang an etwas belegt, müde und flach, ihr Besitzer entwickelte nicht das nötige Charisma und die Autorität, die dieser Mann hat, der zwischen der Sehnsucht nach Macht und seinen menschlichen Gefühlen hin- und hergerissen ist, und so bleiben nur vereinzelte verinnerlichte Momente in Erinnerung, nicht nur in der Arie, die ich auch schon erheblich spannender gestaltet gehört habe; einen "interessanten, pathetischen Charakter" auf die Bühne zu bringen, gelingt dem Bassisten indes nicht. Viel mehr Ausstrahlung und Präsenz hatte Matthias Wippich, der als Gran Inquisitore nicht nur gewaltige vokale Entladungen und vibrierende, exzellente Spitzentöne auffuhr, sondern vor allem viel mehr aus dem Text machte und keinen Zweifel daran aufkommen ließ, wer der erste Mann im spanischen Weltreich ist. Der Kieler, der einen Neunzigjährigen portraitieren muss, ist keine 35, aber für mein Empfinden ist er der einzige, der seine Partie auch an größeren Häusern mit Erfolg singen könnte - chapeau.

Susanne Seefing hatte offenbar Spaß daran, das Regiekonzept umzusetzen und den Tebaldo als Hofnarren anzulegen, der beim Autodafé die Massen dirigiert, Walter Planté gab nach langer Karriere am Haus als Graf von Lerma und Herold vokal wie szenisch noch einmal alles, Andrew Nolen, der sich vor der Vorstellung von seinem Intendanten als indisponiert ansagen ließ, war als Mönch/Karl V. absolut rollendeckend besetzt, während Debra Hays als Stimme von oben offenbar ein wenig an Premierennervosität litt und ihre liebe Mühe mit den hohen Tönen hatte. Wie schon bei der Norma hinterließen die Chöre einen wirklich guten Eindruck, auch die vielen Mitglieder des Extrachores erwiesen sich als gut vorbereitet und hoch motiviert (Einstudierung: Maria Benyumova). Und auch die Leistung der Niederrheinischen Sinfoniker ist unbedingt auf der Habenseite zu verbuchen, Graham Jackson erwies sich als durchaus zupackend an den richtigen Stellen, aber auch mit gutem Gespür für ruhige, kontemplative Momente, nur vielleicht das eine oder andere Mal zu großzügig angesichts eigener Vorstellungen des Bühnenpersonals.


FAZIT

Wer sehen und hören will, wie in der so genannten Provinz mit begrenzten Mitteln ein guter, wenn auch nicht sensationeller Verdiabend zustande gekommen ist, sollte nach Mönchengladbach fahren.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Graham Jackson

Inszenierung
François De Carpentries

Bühne
Siegfried E. Mayer

Kostüme und
Regiemitarbeit
Karine Van Hercke

Choreinstudierung
Maria Benyumova

Dramaturgie
Ulrike Aistleitner


Chor, Extrachor und
Statisterie des Theaters
Krefeld und Mönchengladbach

Die Niederrheinischen Sinfoniker


Solisten

* Besetzung der Premiere

Philipp II.
Hayk Dèinyan

Elisabeth
*Janet Bartolova/
Dara Hobbs

Don Carlo
Kairschan Scholdybajew/
*Erin Caves (als Gast)

Eboli
Janet Bartolova/
*Eva Maria Günschmann

Marquis von Posa
Igor Gavrilov

Graf von Lerma/
Herold
Markus Heinrich/
*Walter Planté

Tebaldo
Gabriela Kuhn/
*Susanne Seefing

Großinquisitor
Matthias Wippich

Ein Mönch/Karl V.
Andrew Nolen

Eine Stimme von oben
Debra Hays

Flandrische Deputierte
Martin Hildt
Peter Klaff
Volker Lüttge
Klaus Mühlen
Frank Rammelmüller
Yasuyuki Toki

Mönche
Heinz Coenen
Jong-Ho Park
Valdimir Schmurko
Heinz-Adolf Spratte
Zbigniew Szczechura
Jaewon Yang




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