Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Traumata eines Kriegsverbrechers
Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans Jörg Michel
Ein furchtbares Verbrechen ward begangen. Na ja, Tannhäuser hat außerehelich mit einer Frau geschlafen, war womöglich im Bordell. Was den Landgrafen Herrmann und sein Gefolge völlig aus der Fassung bringt, was dem Papst, der ansonsten großmütig Pilgerscharen in Extrachorgröße von allen Sünden frei spricht, die Vergebung unmöglich macht, erscheint im Jahr 2013 als eher lässliches Vergehen, und das macht den Tannhäuser so kompliziert. Es muss also ein Vergehen her, dass die Eigendynamik der Handlung auch für uns Heutige plausibel macht, und damit fangen die Schwierigkeiten an. Soll das ein reales (moralisches) Verbrechen sein, oder ein Bild, eine Metapher? Und in Text und Musik ist so viel von der vermeintlich richtigen Liebe und vom Verhältnis zur Sexualität die Rede, dass dieses Vergehen doch irgendetwas mit diesem Thema zu tun haben müsste. Verführerische Ideologie: Venus und Tannhäuser
Da hakt, nein: stolpert, schlingert, stürzt die Inszenierung von Burkhard C. Kosminski so gewaltig, dass man aufschreien möchte: Wie kann ein Intendant so etwas zulassen? Für Kosminski steht die Frage der Schuld (nicht die der Liebe) im Zentrum der Inszenierung, und als quasi größtmögliche Untat stellt er seinen Tannhäuser als Nazi-Verbrecher dar, keiner der ganz großen, eher ein Mitläufer. Die Schlüsselszene fügt Kosminski kurz nach der Ouvertüre ein und lässt die Musik dafür anhalten: Eine jüdische Familie Vater, Mutter, Tochter muss sich entkleiden, dem Vater werden die Haare geschoren, dann wird er vor den Augen der aufschreienden Tochter erschossen, danach folgt die Hinrichtung der beiden Frauen. Als Schauspielregisseur (dies ist seine erste Opernregie) inszeniert Kosminski das sehr genau. Nach diesem Schock ist einem die Lust auf Tannhäuser vergangen. Die Tumulte im Publikum sind einkalkuliert (und der WDR, ohnehin wegen eines Portraits des Tannhäuser-Darstellers Daniel Frank nahe an der Produktion dran, filmt gleich mit). Die Szene wird später, während Tannhäusers Romerzählung noch einmal pantomimisch wiederholt (und hier zieht das Argument des Regisseurs, die vergleichsweise konventionelle Anlage der Oper in geschlossenen Nummern lasse solche Zäsuren zu, nicht mehr dies ist ein eklatanter Eingriff in die Musik, über dessen Sinn man streiten, den man aber nicht wegdiskutieren kann). Man sieht und hört die Oper zwangsläufig anders nach diesen Bildern. Natürlich ist das eine Provokation, und genauso natürlich liefern die Wagner-Rezeption durch die Nationalsozialisten, der Antisemitismus des Komponisten und der willfährige Kniefall seiner Nachfahren vor Hitler genügend Argumente, diese Form von Provokation auch und gerade im Wagner-Jubeljahr vorzuführen. Theater, das aufwühlt, kann kein so schlechtes Theater sein. Eben noch Nationalsozialismus, jetzt Adenauer-Ära: Tannhäuser (links), Landgraf und Gefolge
Auf die Oper selbst darf man dabei allerdings nicht schauen, denn der abenteuerliche gedankliche Konstrukt, den die Regie aufbaut, geht nicht annähernd auf. Hier wird Tannhäuser nicht von der Liebesgöttin, sondern von der NS-Ideologie verführt - Venus (in Uniform mit kurzem Rock) ist in erster Linie Symbolfigur für das tausendjährige Reich. Der Auszug aus dem Venusberg ist Tannhäusers Versuch, die düstere Epoche abzustreifen, und so durchläuft er einen Zeitsprung und landet in der Adenauer-Ära. Landgraf Herrmann und die Wartburg-Ritter sind ganz sicher Alt-Nazis, die auf nichts empfindlicher reagieren als auf den Versuch, die Vergangenheit aufzuarbeiten, und so sticht der reuige Tannhäuser in ein Wespennest. Eher konventionell: Gesangswettbewerb unter Karrierediplomaten. Elisabeth schaut von oben zu.
So weit die eine Geschichte; die andere handelt ziemlich konventionell von Elisabeth, der die alten Herren in Anzug und mit Hornbrille zuwider sind und die sich zu dem unkonventionellen Tannhäuser hingezogen fühlt. Da singen sich die Ritter ziemlich lautstark (und über das Orchesterzwischenspiel hinweg) für ihre Gesangseinlage ein, was durchaus komisch ist, aber überhaupt nicht zur Thematik des traumatisierten Kriegsverbrechers passt. Elisabeth wird katholisch und wahnsinnig so ist das ja meistens. Der unglücklich verliebte Wolfram drängt sie, ihn doch zu töten und reicht ihr das Messer, doch statt dessen schneidet sie sich selbst die Pulsadern auf. Dumm gelaufen, denkt man angesichts der unfreiwilligen Komik der Szene. Doch dann kommt Tannhäuser, und warum dieser doch vorher so erschütternd eindrucksvoll geläuterte noch einmal die Venus anruft, das bleibt doch sehr rätselhaft. Im Programmheft kann man vieles nachlesen, was aber auch nicht verhindert, dass die verschiedenen Erzählebenen auseinanderdriften und immer stärker den Eindruck hinterlassen, der einen zentralen Idee des durch die eigene Kriegsschuld traumatisierten Antihelden ist hier der Tannhäuser auf (wenig) Gedeih und (viel) Verderb geopfert worden. Meinungsverschiedenheit in Gesinnungsfragen? Wolfram und der gerade aus Rom wiederkehrende Tannhäuser
Nun gibt es immer wieder schlechte Operninszenierungen, und diese kann man zumindest als ziemlich aufregend schlecht verbuchen das macht noch keinen Skandal. Was hat das noch mit Tannhäuser zu tun? wurde in den Premierenpausen vielfach gefragt, was einerseits richtig ist, andererseits die falsche Fragelogik offenbart: Was hat der Tannhäuser mit uns zu tun? wäre aus Sicht der Regie sicher die sinnvollere Frage. (Aus der bequemen historischen Distanz der Nachgeborenen fragt sich das in diesem Kontext freilich leicht und unangenehm besserwisserisch.) Eine Handvoll Besucher (aber auch nicht mehr) verlies Türe knallend die Premiere. Ob man sich auf die Gedankenspiele einlässt, die Oper als Vehikel für andere Gedanken und Assoziationen akzeptiert, ist eine subjektive Entscheidung. Mich persönlich stört etwas anderes an dem Konzept. Zur Ouvertüre sieht man eine Anordnung von Glaskuben (später wird sich ein Kreuz daraus bilden, mit dem Reichsadler im ersten, dem Bundesadler im zweiten, und beiden Wappentieren im dritten Aufzug eine ziemlich plakative Symbolik). In den Kuben stehen nackte Menschen, und zum Mittelteil der Ouvertüre mit dem Erklingen der Venusbergmusik wird, apart ausgeleuchtet, weißer Qualm in die Kuben geleitet und nach und nach sinken die Menschen darin zu Boden. Natürlich soll das eine theatergerechte Anspielung auf die Gaskammern von Auschwitz sein, und innerhalb des Regiekonzepts ist das schlüssig. Aber mir persönlich ist diese ästhetische Vereinnahmung des Grauens in den KZs zutiefst unangenehm, ich empfinde sie als Respektlosigkeit gegenüber den Opfern. Sehr katholischer Abschied vom Leben: Elisabeth
So heftig bei der Premiere die Ablehnung der Regie war, so heftig war der Jubel für die Musiker als seien die einen die Bösen, die anderen die Guten. Dabei kann ich mich nicht erinnern, je einen so martialische, unangenehm harte Aufführung dieser Oper gehört zu haben. Axel Kobers Dirigat ist durchaus im Einklang mit der Regie, und wenn die (weder besonders klangschönen noch übermäßig homogenen) Chöre an der Rampe im Fortissimo Heil! singen, dann soll das wohl auch scheppern. Indes scheint die Regie auch da die Musik zu vereinnahmen, wo das vermutlich gar nicht gewollt ist. Der erste Aufzug war in dieser Premiere geprägt von einem unangenehm geradlinigen Klang und weitgehendem Fehlen von Binnendifferenzierung, dazu etlichen Unstimmigkeiten zwischen Bühne und Orchestergraben. Die immerhin nahmen im Verlauf des Abends ab, wenn auch nicht vollständig. Man ahnt, dass Axel Kober an vielen Stellen genaue Vorstellungen hat, aber die Musik bleibt oft sehr starr, sehr schematisch, Stimmen und Instrumente mischen sich schlecht, und obwohl die Düsseldorfer Symphoniker an sich nicht schlecht spielen, atmet die Musik nicht. Der schwedische Tenor Daniel Frank, schauspielerisch sehr überzeugend, gibt sein Rollendebüt als Tannhäuser und stemmt diese Monsterpartie mit durchdringendem, nicht besonders edlem Metall in der Stimme. In den leisen Passagen gestaltet er recht nuanciert, nur verleitet diese Musik immer wieder zum Schreien erstaunlich, dass er das ohne nennenswerten Substanzverlust durchsteht, zumal etliche tenorale Schluchzer die Partie stilistisch eher in Richtung italienischer Oper oder Operette verschieben. Wenn er sich die Stimme nicht in kurzer Zeit kaputt macht, könnte da ein großer Tenor heranwachsen derzeit ist das aber ein weitgehend ungeschliffener Rohdiamant. Elena Zhidkova ist eine hysterische, ziemlich eindimensionale Venus, Thorsten Grümbel ein recht farbloser, kraftmeiernder Landgraf. Ordentliches Wagner-Format erreichen Elisabet Strid als Elisabeth mit fast zu großer, leuchtend flackernder Stimme (mit der introvertierten Szene im dritten Akt hat sie entsprechend Schwierigkeiten) und vor allem Markus Eiche als zwar nicht übermäßig sonorer, aber zupackender und sehr genau gestaltender Wolfram. Die junge Svenja Lehmann lässt mit noch wenig ausgebildeter, aber sehr attraktiver Stimme als junger Hirt aufhorchen.
Es ist ein Abend, dessen Wirkung man sich nicht entziehen kann und der gleichzeitig, als Tannhäuser-Produktion betrachtet, ein szenisches Desaster und musikalisch über weite Strecken enttäuschend oder gar ärgerlich ist. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Lichtdesign
Chor
Dramaturgie
Solisten
Herrmann, Landgraf von Thüringen
Tannhäuser
Wolfram von Eschenbach
Walther von der Vogelweide
Biterolf
Heinrich der Schreiber
Reinmar von Zweter
Elisabeth
Venus
Ein junger Hirt
Vier Edelknaben
|
© 2013 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de