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Parsifal

Ein Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h 30' (zwei Pausen)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 17. März 2013


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Erlösung für die Bürger des Ruhrgebiets!

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu

Es hätte einem, eigentlich, wehmütig ums Herz werden müssen: Dieser Parsifal ist die letzte Premiere von Stefan Soltesz in seiner Doppelfunktion als Chefdirigent und Intendant des Essener Aalto-Theaters. Was Soltesz in seiner Amtszeit, die man mit einigem Recht als eine Ära bezeichnen darf, erreicht hat, das wird an diesem Premierenabend wieder einmal exemplarisch hörbar: Ein sehr flüssiges, dennoch ruhiges und entspanntes Dirigat, das Wagners „unendliche Melodie“ im großen Bogen mit nie nachlassender Intensität und großer Spannung nachzeichnet, mit schlankem, sehr nuanciert farbreichem Klang, nie massig, aber zupackend, immer beweglich. Mit vorsichtig zurück genommenen Streichern klingt das Orchester schlank und transparent und stellt oft die Bläser in den Vordergrund – das ist sicher auch eine Annäherung an den „Bayreuther“ Klang. Soltesz trumpft nie auf, dirigiert fast immer sängerfreundlich und lässt es nur ganz moderat „krachen“. Nach einem spannungsvoll dramatischen zweiten Aufzug ist der abgeklärte „Karfreitagszauber“ im dritten Aufzug und die von Harfen umrauschte Gralsenthüllung zum Finale das eigentliche Wunder – und eine schwere Hypothek für alles, was nach Soltesz kommt: Hier spielt eines der derzeit besten deutschen Opernorchester. So allmählich sollte man schauen, wann Soltesz noch am Pult dieser famosen Essener Philharmoniker steht (zum Glück dirigiert er noch viel im Repertoire). Was die Orchesterleistung und das Dirigat betrifft, sollte man sich diesen Parsifal auf gar keinen Fall entgehen lassen.

Vergrößerung in neuem Fenster Das Ambiente des ersten Aufzugs: Gesprächsrunde mit Gurnemanz (ganz rechts) vor Krankenzimmer mit verletztem Amfortas

Es gehört zu den Konstanten von Soltesz' Amtszeit, dass die Sänger dem Chefdirigenten den Erfolg kaum streitig machen – wirklich große Sängerpersönlichkeiten haben sich da nicht herausgebildet. Jeffrey Dowd gehört sicher (um mit Wagners Worten zu sprechen) zu den treuesten der treuen Ensemblemitglieder und hat fast alle Wagnerschen Heldentenorpartien am Aalto-Theater gesungen – jetzt auch den Parsifal. Für sein Engagement ist Dowd zu bewundern – was nichts daran ändert, dass die Stimme eben nicht allzu groß und relativ hell timbriert ist und nur eingeschränkt heldentenorale Qualitäten hat. Dowd teilt sich die Partie recht geschickt ein, sammelt die Kräfte für die Schlüsselstellen wie das zentrale „Amfortas, die Wunde ...“, das ihm dann auch sehr achtbar gelingt. Aber in den vielen lyrischen und fast rezitativischen Passagen ist die Stimme farblos und eng. Dowd ist sicher keine schlechte Besetzung, aber auch keine glanzvolle.

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Parsifal mit Jagdbeute, dazu Knappen und Gurnemanz

Sehr solide ist der mit schlanker, aber durchsetzungsfähiger Stimme gesungene Amfortas von Heiko Trinsinger, noch besser der zupackende und präsente Klingsor von Almas Svilpa. Für den erkrankten Roman Asthakov übernahm Marcel Rosca, ein alter Haudegen des Aalto-Ensembles, kurzfristig die Partie des Titurel, in der Mittellage immer noch mit bewundernswerter Souveränität, an den exponierten Stellen unangenehm flackernd. Enttäuschend farblos blieben die aus dem hauseigenen Ensemble besetzen kleinen Partien der Gralsritter und Knappen. Zum ersten Mal am Aalto-Theater zu Gast ist Jane Dutton als Kundry. Die ziemlich metallische Stimme ist (meistens) klar fokussiert, dadurch aber recht eng und wenig wandlungsfähig – auf Dauer ist das ein wenig eindimensional. Den stärksten Eindruck hinterließ der Norweger Magne Fremmerlid als sonorer, durch das baritonale Timbre und die bombensichere Höhe aber nicht altväterlicher Gurnemanz mit Riesenstimme. Ganz ausgezeichnet und mit angenehm zurück genommenem Vibrato singen Chor und Extrachor, von Alexander Eberle offensichtlich hervorragend vorbereitet.

Vergrößerung in neuem Fenster Titurel mit doppelter Kundry

Dass sich die angesprochene Wehmut dann doch nicht einstellen will, liegt weniger an der insgesamt soliden Sängerbesetzung als vielmehr an der eigenwilligen, aber an vielen Stellen auch ärgerlichen Inszenierung von Joachim Schloemer. Der will offenbar in erster Linie vermeiden, in ausgetretene Rezeptionsmuster zu verfallen und den vielen Interpretationen dieser merkwürdigen Gralsgesellschaft weitere hinzuzufügen, sucht vielmehr nach einer zeitgemäßen Umsetzung der Kernidee des Stückes – und das ist für ihn der Erlösungsaspekt. Als zentrales und durchaus plausibles Bild sieht man den schwer verletzten Amfortas in einem modernen Krankenzimmer, und ritualhaft schleppt er sich aus seinem Bett, bricht an der Fensterscheibe zusammen, wird von einer Gruppe von Krankenpflegern und Schwestern versorgt und zurück gelegt. Das spielt sich in einem Wellblechcontainer ab, ein mobiles Lazarett – nicht nur hier liegt ein Hauch von Science Fiction über der Szenerie. Im dritten Aufzug ist aus dieser von Krankheit bestimmten, aber streng geordneten Szenerie eine Trümmerlandschaft geworden – ein düsteres Endzeitszenario, bei dem Amfortas und die letzten Überlebenden rauchend auf den Ruinen sitzen. Die Gralsrittergesellschaft bleibt in beiden Aufzügen ausgespart – Chor und Extrachor singen unsichtbar hinter der Bühne und vom Oberrang, was ein durchaus nicht uninteressantes Spannungsgefüge zwischen Szene und Musik erzeugt: Das Wunder bleibt in erster Linie ein musikalisches.

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Die doppelte Kundry im Verführungs-Look

Problematisch ist der Umgang mit den Figuren, solange sie eben doch einer konkreten Handlung verpflichtet sind. Gurnemanz sitzt im ersten Akt in einer modernen Sitzgruppe am Bühnenrand, ein in die Jahre gekommener Entertainer und wirft hin und wieder ein paar Würfel, als wolle er das Schicksal deuten. Die Knappen in feschen knielangen Lederhosen, zwei Gralsritter im Disput wie der jungen Nietzsche und der junge Wagner, ein Titurel als komischer Alter mit Krückstock, Militäroutfit und keckem Piratenhut, eine Kundry im dritten Aufzug wie aus einem Hitchcock-Film entlaufen – das alles scheint tiefere Bedeutung zu haben, aber welche? Sind das versteckte Filmzitate, Anspielungen auf die Mythen unserer Gegenwart? Zur Gralsenthüllung am Ende des ersten Aufzugs erscheint ein Kind, das sich den Umhang offenbar von Stephen Spielbergs Außerirdischem E.T. ausgeborgt hat. Warum hat die Kundry eine allgegenwärtige Doppelgängerin? (Doch hoffentlich nicht, um die Janusköpfigkeit der Figur aufzuzeigen, das wäre doch allzu schlicht gedacht.) Ohne Erklärungshilfe (und die bietet auch das sehr ordentlich konzipierte Programmheft nicht) erscheint hier vieles als überflüssiger, ja ärgerlicher Aktionismus.

Vergrößerung in neuem Fenster Endzeit-Szenario: Untergangsstimmung im dritten Aufzug - aber der Erlöser Parsifal (mit Speer) ist bereits eingetroffen

Am Ende bevölkert eine Schar von unverkleideten Statisten, laut Besetzungszettel „Bürger aus dem Ruhrgebiet“, die Bühne und schart sich um das Kind aus dem ersten Aufzug, dass eine leuchtende Kugel in den Händen trägt. Aha, wir selbst sind die Erlösungsbedürftigen – das ist ein nicht wahnsinnig origineller, aber auch kein falscher Ansatz. Nebenbei wird die Kundry zwecks Erlösung von Parsifal umgebracht, worauf ihr Double quasi gen Himmel entschwebend zum Schnürboden hinauf gezogen wird – offenbar ein Mini-Exkurs zum Thema Sterbehilfe. Ist der Erlösungsaspekt in seiner Collagenhaftigkeit noch einigermaßen schlüssig oder zumindest konsequent umgesetzt, so bekommt Schloemer das zweite zentrale Thema des Parsifal, nämlich den Umgang mit der Sexualität, überhaupt nicht in den Griff. Wenn eine Armada von Blumenmädchen großformatig die Buchstaben S, E und X aufträgt, dann ist das hoffentlich als ironische Brechung zu verstehen, indem das ohnehin Offensichtliche noch einmal explizit ausgesprochen wird. Klingsor (in teuflischem Rot) bekommt einen Speerkämpfer an die Seite gestellt, der akrobatisch mit dem natürlich anachronistischen, aber auch für Schloemer unverzichtbaren Speer herumwirbelt. Solche dekorativen Elemente machen aber keine schlüssige Personenregie, und jenseits der Bildideen . Und während alles irgendwie unbestimmt um Erlösung (wovon? wofür?) kreist, bleibt offen, wer dieser Parsifal, dieser Klingsor, diese Kundry sein könnten, und noch schlimmer: Sie bleiben schlichtweg uninteressante Figuren. Nach Wehmut war da den meisten nicht mehr zu Mute: Der ohnehin enden wollende Applaus erschöpfte sich schnell in weitgehend einhelliger Ablehnung dieses Regiekonzepts.


FAZIT

Stefan Soltesz dirigiert in seiner letzten Essener Premiere einen grandiosen und unbedingt hörenswerten Parsifal. Joachim Schloemers ambitionierte Regie dagegen findet ein paar interessante Bilder, aber keine durchgehend überzeugende Lösung für das schwierige Stück.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Soltesz

Inszenierung
Joachim Schloemer

Bühnenbild
Jens Kilian

Kostüme
Nicole von Graevenitz

Choreographie

Licht-Design

Dramaturgie
Norbert Abels



Statisterie des Aalto-Theaters

Chor und Extrachor des Aalto-Theaters


Essener Philharmoniker


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Amfortas
Heiko Trinsinger 

Titurel
Roman Astakhov /
* Marcel Rosca

Gurnemanz
Magne Fremmerlid 

Parsifal
Jeffrey Dowd 

Klingsor
Almas Svilpa 

Kundry
Jane Dutton 

1. Gralsritter
Andreas Hermann 

2. Gralsritter
Michael Haag 

1. Knappe
Francisca Devos 

2. Knappe
Anja Schlosser 

3. Knappe
Rainer Maria Röhr 

4. Knappe
Mateusz Kabala 

I/1. Blumenmädchen
Katherina Müller 

I/2. Blumenmädchen
Christina Clark 

I/3. Blumenmädchen
Francisca Devos 

II/1. Blumenmädchen
Hila Fahima 

II/2. Blumenmädchen
Uta Schwarzkopf 

II/3. Blumenmädchen
Anja Schlosser 

Stimme aus der Höhe
Anja Schlosser 

Kundry-Cover
Yara Hassan 






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