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Action pur in der Barockoper
Von Thomas Molke /
Fotos von Martina Pipprich
Am Staatstheater Mainz ist es mittlerweile zu einer Tradition geworden, mit den
Mitgliedern des Jungen Ensembles und in Koproduktion mit der Hochschule für
Musik Mainz eine in der Regel recht unbekannte Barockoper zu erarbeiten. Nach
Scarlattis Oratorium Il Primo Omicidio overo Cain im letzten Jahr (siehe
auch
unsere Rezension) ist die Wahl in dieser Spielzeit auf Carlo Pallavicino
gefallen, der mit seinen um die 20 Opern, einem Oratorium und zahlreichen
sakralen Werken zwischen 1675 und 1685 als der führende Opernkomponist Venedigs
galt. Dass seine vorletzte Oper La Gerusalemme liberata das Erfolgsmodell
der Venezianischen Oper an den Dresdner Hof brachte, mag aber weniger seiner
Musik als der Sopranistin Margherita Salicola zu verdanken sei, die den
Kurfürsten Johann Georg III. von Sachsen dermaßen verzauberte, dass er sie dem
Duce Ferdinando Carlo IV. von Mantua ausspannte und gemeinsam mit Pallavicino
nach Dresden holte. Der Duce hätte sich sogar auf einen "heiligen Krieg" mit
Johann Georg um die Sopranistin eingelassen, wenn der Kurfürst von Bayern nicht
eine blutige Auseinandersetzung verhindert hätte.
Rinaldo (Michael Taylor) hat seinen Auftrag
vergessen und genießt die Zweisamkeit mit Armida (Aline Wilhelmy).
Wie der Titel bereits verrät handelt die Oper vom 1. Kreuzzug, zu dem Papst
Urban II. 1095 aufgerufen hatte, um das unter muslimische Herrschaft gefallene
Jerusalem zurückzuerobern, und der im Juli 1099 in einem von Gottfried von
Bouillon angeführten Kreuzfahrerheer nach harten, verlustreichen Kämpfen
siegreich beendet werden konnte. Torquato Tasso hatte im 16. Jahrhundert dieses
historische Ereignis in einem umfangreichen Epos glorifiziert, das zahlreichen
Komponisten als Vorlage für ihre Vertonungen diente. Während sich jedoch
beispielsweise Monteverdi, Händel und Gluck in den auch heute noch bekannten
Opern Il combattimento di Tancredi e Clorinda, Rinaldo und
Armide jeweils auf eine Episode aus dem Epos konzentrieren, führt
Pallavicino unterschiedliche Erzählstränge zusammen. So treten hier sowohl der
Kreuzritter Rinaldo und die Magierin Armida auf, deren Zauber Rinaldo zunächst
erliegt, bevor er sich mit Hilfe des Zauberers Ubaldo von ihr befreit und sie
dermaßen schwächt, dass sie zum christlichen Glauben konvertiert, als auch der
Kreuzritter Tancredi, der die sarazenische Kriegerin Clorinda liebt, im
Zweikampf allerdings versehentlich tötet. Eingebettet werden diese amourösen
Verstrickungen in die Befreiung Jerusalems, die als lieto fine am Ende der Oper
steht.
Tancredi (Radoslava Vorgic, links) kämpft gegen
den ehemaligen Kreuzritter Rambaldo (Frederik Bak, rechts) (unten: Arideno
(Marc-Eric Schmidt)).
Das Regie-Team um Sandra Leupold legt einen Schwerpunkt in der Inszenierung auf
eine tempo- und aktionsreiche Umsetzung der unterschiedlichen Handlungsstränge.
So verlangt sie den Sängerdarstellern auch körperlich einiges ab. Da wird für
die offenen Kampfszenen eine ausgeklügelte Choreographie erarbeitet, die die
Auseinandersetzungen recht realistisch wirken lassen. Frederik Bak schwingt sich
als abtrünniger Kreuzritter Rambaldo wie Tarzan an einem Seil auf die Bühne und
verwickelt Radoslava Vorgic als Kreuzritter Tancredi auf einer Strickleiter in
schwindelerregenden Höhen in ein eindrucksvolles Gefecht. Florian Küppers muss
als Goffredo im Kampf gegen ein Windrad, das wohl für die angreifenden Sarazenen
steht, sogar im Handstand singen. Und auch von Saem You als Clorinda, Alexey
Egorov als Argante und Michael Taylor als Rinaldo wird enorme Höhensicherheit
verlangt, wenn sie beim Gesang diverse Leitern in den Schnürboden empor- und
hinabsteigen müssen. Unterstützt werden die Sängerdarsteller von Statisten, die
ebenfalls atemberaubende Kampfszenen beisteuern.
Tancredi (Radoslava Vorgic) hat seine Geliebte
Clorinda (Saem You) versehentlich im Kampf getötet.
Obwohl Leupold auf ein umfangreiches Bühnenbild verzichtet und größtenteils auf
leerer Bühne spielen lässt, gelingt es ihr, mit zahlreichen Ideen die magischen
Momente der Oper einzufangen. Wenn Armida beispielsweise die Kreuzritter
verwandelt, verändern plötzlich aufblähende Luftballons die Arme der Kreuzritter
oder lassen Marc-Eric Schmidt als Arideno mit wachsenden Brüsten zu einer Frau
mutieren. Wenn die Magierin die Krieger verschwinden lässt, werden Tancredi,
Arideno und zwei weitere Ritter in einem Netz Richtung Schnürboden gezogen und
baumeln bis zu ihrer Befreiung durch Ubaldo nach der Pause wie gefangene Tiere
in luftigen Höhen. Auch die abgeschossenen Pfeile beweisen enorme
Treffsicherheit. So wird Goffredo auf offener Bühne von einem Pfeil getroffen.
An der Rampe kann ein Bühnenelement von oben herabgefahren werden und Armida
zeigen, wie sie als Drahtzieherin über dem Geschehen thront. Wenn Clorinda nach
der Pause eine Leiter, die für einen christlichen Belagerungsturm steht, in
Brand setzt, entfacht Saem You einen regelrechten Feuerzauber.
Die Kreuzritter fürchten Armidas Rache (von
links: Artemidoro (Lukas Eder), Ubaldo (Alin Deleanu), Rinaldo (Michael Taylor),
Arideno (Marc-Eric Schmidt), Tancredi (Radoslava Vorgic), Guelfo (Joachim Imig)
und Raimondo (Stefan Plösser)).
Die zahlreichen Szenenwechsel werden durch einen Scheinwerfer eingeleitet,
der zu diesem Zweck jeweils aus dem Schnürboden herabgelassen wird und ein wenig
unangenehm ins Publikum leuchtet, während auf der ansonsten dunklen Bühne die
nächste Szene vorbereitet wird. Ansonsten wird viel mit Bühnennebel gearbeitet,
vor allem bei den Auftritten Clorindas, wobei die Nebelschwaden neben der
enormen Treffsicherheit ihrer Pfeile wohl die einzigen magischen Fähigkeiten
dieser Kriegerin darstellen sollen. Großartig gelingt der Nebel, der sich in
einem Scheinwerferstrahl fängt, der aus dem Zuschauerraum auf die Bühne geworfen
wird, wenn Armida aus dem Off die Kreuzritter bedroht. Auch das Kostüm der
Zauberin hebt sich farblich von den anderen Figuren ab. Andreas Wilkens hat für
sie ein Kleid in leuchtendem Grün entworfen, das ihre Macht manifestiert. Wenn
sie das Kleid Rinaldo anzieht, um ihn in ihrem Bann zu halten, verliert sie
allmählich ihre magischen Kräfte. Am Ende kann und will
Leupold das lieto fine nicht mit dem im Epos verherrlichten glorreichen Sieg der
Christen über die Sarazenen stehen lassen und lässt aus der Windmaschine rote
Farbe spritzen, die die Figuren während ihres Jubelchores blutrot einfärbt, eine
Anspielung auf das Gemetzel, das die Kreuzritter nach ihrem Sieg über die
Muslime angerichtet haben. Die beiden Mädchen, die mit langer blonder Mähne zum
Schluss auftreten, erinnern in ihren Kostümen ein wenig an amerikanische GIs.
Goffredo begibt sich wieder ins Publikum - von dort ist er auch während der
Ouvertüre aufgetreten - und schaut dem Treiben auf der Bühne wie einem
spannenden Kinofilm zu. Armidas Schlussgesang "Ecco ancilla tua", mit dem sich
die Zauberin nicht nur in Rinaldos, sondern auch in Gottes Hand begibt und der
zumindest bei der Aufführung in Dresden wohl eigentlich dem Kurfürsten als
Ständchen seiner Geliebten, der Sängerin Margherita Salicola, gewidmet war,
lässt Leupold ohne musikalische Begleitung immer leiser werden, während Aline
Wilhelmy sich als Armida immer weiter in den hinteren Bühnenhintergrund begibt,
bis sie gar nicht mehr zu sehen und zu hören ist. Neben den
enormen darstellerischen Anforderungen können die jungen Solisten auch
musikalisch auf ganzer Linie überzeugen. Aline Wilhelmy stattet die Zauberin
Armida mit großem Sopran aus und macht deren innere Zerrissenheit zwischen Liebe
und Hass auf die Christen auch stimmlich hörbar. Gleiches gilt für Saem You, die
als Clorinda eigentlich die Christen bekämpfen will, sich aber zu Tancredi auf
unerklärliche Weise hingezogen fühlt. Michael Taylor präsentiert mit kräftigem
Countertenor einen in jeder Hinsicht überzeugenden Kreuzritter Rinaldo, und auch
Radoslava Vorgic lässt mit warmem Mezzo als Tancredi aufhorchen. Alin Deleanu
sorgt als Ubaldo mit angenehmem Countertenor und schrillem Aussehen, das ein
wenig an Johnny Depp in Fluch der Karibik erinnert, genauso wie Marc-Eric
Schmidt als leicht ängstlicher Arideno für die komischen Momente des Abends. Am
Dirigentenpult überzeugt Christian Rohrbach, der die Mitglieder des
Philharmonischen Staatsorchesters Mainz mit präzisem Gespür für barocken Klang
durch die farbenreiche Partitur führt und somit den von Leupold intendierten
Augen- um einen Ohrenschmaus ergänzt. So gibt es am Ende lang anhaltenden
Applaus für alle Beteiligten. FAZIT
Sandra Leupold gelingt eine stimmige moderne Umsetzung eines vergessenen Werkes,
die das Stück nicht verbiegt und beweist, dass dieser Barockschatz es durchaus
wert ist, gehoben zu werden.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme Licht Dramaturgie
Philharmonisches Staatsorchester Mainz Solisten
Goffredo, Führer des Kreuzfahrerheers Rinaldo,
Kreuzritter Tancredi,
Kreuzritter, in Clorinda verliebt Ubaldo,
Zauberer in den Reihen der Christen Arideno, Tancredis Schildknappe Artemidoro, Ritter Guelfo, Ritter Raimondo, Ritter / Sigiero,
Knappe Gherardo, Ritter / Kreuzfahrer 1. Mädchen 2. Mädchen
Argante, Herrscher über Jerusalem,
Armida, Magierin
Clorinda,
Kriegerin, in Tancredi verliebt Rambaldo, Armidas Diener, ehemaliger Kreuzfahrer Bote 1. und 3. Sarazene 2. und 4. Sarazene 5. Sarazene 6. Sarazene |
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