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Der Prozess

Ballett von Mauro Bigonzetti nach Franz Kafka (Uraufführung)
Musik von Antonio Bononcini, Dietrich Buxtehude, Henryk Górecki, Carlo Gesualdo, Tarquinio Merula, Claudio Monteverdi und Modest Mussorgski

Aufführungsdauer: ca. 1 h 30'  (keine Pause)

Premiere in der Staatsoper Hannover am 27. März 2015
im Rahmen der Oster-Tanz-Tage 2015

 



Staatsoper Hannover
(Homepage)

Von Papieren begraben


Von Thomas Molke / Fotos von Gert Weigelt

Franz Kafkas Der Proceß gilt als das Hauptwerk des Autors aus Prag. Dabei bestand der Roman um den unaufhaltsamen Fall des Bankprokuristen Herrn K., der auf nicht nachvollziehbare Weise in den Mühlen der Justiz den Tod findet, zu Kafkas Lebzeiten nur aus provisorischen Kapiteln, die er immer wieder umarbeitete und in eine neue Reihenfolge brachte. Max Brod, Kafkas langjährigem Vertrauten, ist es zu verdanken, dass dieses mittlerweile bedeutende Werk der Weltliteratur für die Nachwelt überhaupt erhalten blieb. Kafka selbst hatte nämlich angeordnet, dass nach seinem Tod alle bis dahin unveröffentlichten Manuskripte vernichtet werden sollten. Doch Brod, der ein untrügerisches Gespür für die Qualität dieses "Fragmentes" hatte, folgte der Anweisung seines Freundes nicht, sondern ordnete die Kapitel neu und publizierte sie. Mauro Bigonzetti, der bereits 2011 als Auftragswerk für die Staatsoper Hannover das Ballett La Piaf kreierte, hat nun zur Eröffnung der 12. Oster-Tanz-Tage Kafkas Roman zu einem Handlungsballett umgearbeitet, wobei ihn neben dem Roman auch die Filmadaption von Orson Welles inspiriert hat. Als Musik hat er außer der Sinfonie der Klagelieder von Henryk Górecki Lamenti, Kantaten und Wiegenlieder aus dem späten 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert ausgewählt.

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Herr K. (Denis Piza) in den Fängen des Newspaper Girls (Steffi Waschina)

Als neue Figur führt Bigonzetti ein Newspaper Girl ein. In einem Kostüm, das größtenteils nur aus losen Zeitungsblättern besteht, bewegt sich Steffi Waschina in dieser Rolle durch die ganze Geschichte des Herrn K. und unterstreicht die Bedeutung der Medien, die in der heutigen Zeit sicherlich einen entscheidenden Beitrag zum Fall des Herrn K. beitragen würden. So liegt Herr K. zu Beginn des Abends allein in seiner Wohnung, als Waschina unheilvoll durch eine riesige Tür im Bühnenhintergrund auftritt. Zu diesem Zeitpunkt hört man noch keine Musik, sondern nur das Rascheln des Papiers, das sich im Endeffekt als absolut fatal herausstellen wird. Wie das Newspaper Girl rahmt auch die 3. Sinfonie, Sinfonie der Klagelieder, die Geschichte ein. So beginnt mit dem 1. Satz die Anklage des Herrn K., während der 3. Satz am Ende des Stückes dann zu seinem Tod führt. Francisco Baños Díaz tritt als Kommissar mit Ismael Gil und Joseph Gray als Polizisten nach dem Abgang des Newspaper Girls mit abstrakten Bewegungen auf, die absolut bedrohlich wirken und den zu diesem Zeitpunkt noch völlig unbedarften Herrn K. (eindringlich interpretiert von Denis Piza) verunsichern. Die Bühne ist genau wie die Kostüme farblos gehalten, so dass die Szene kalt und gefühllos wirkt.

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Liebe unter Aktenstapeln: Herr K. (Denis Piza) und die Pflegerin (Catherine Franco)

Beim Wechsel in die Bank, dem Arbeitsplatz des Herrn K., nimmt die Kälte der Szene noch einmal zu. Durch eine beeindruckende Video-Projektion wird ein nahezu seelenloser Raum geschaffen, in dem das Ensemble an Tischen sitzt und wie Roboter der Arbeit nachgeht. In großartigem Kontrast hierzu steht nun die Musikauswahl, da jetzt mit Dietrich Buxtehudes Jesu, meines Lebens Leben eine Kantate aus dem 17. Jahrhundert ausgewählt wird, deren melodische Wärme im absoluten Gegensatz zur Kälte der Gesellschaft steht. Wer Rossini Cards von Bigonzetti kennt, wird an dieser Stelle das Gefühl bekommen, dass Bigonzetti an dieser Stelle das Klopfen auf die Tischplatte aus seiner Rossini-Choreographie wieder aufnimmt. Wunderbar wird die Isolation des Herrn K. in dieser Szene aufgebaut. So bewegt sich die Gesellschaft nur in dem Moment, in dem er ruhig am Tisch sitzt und tritt ansonsten in keinerlei Kontakt zu ihm. Am Ende der Szene tritt das Newspaper Girl mit einem riesigen Koffer auf, um Herrn K. anzudeuten, dass er bald eine Reise in eine andere Welt antreten wird.

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Herr K. (Denis Piza, vorne Mitte) vor dem Gericht (Ensemble)

Beeindruckende Videoprojektionen gelingen dem Bühnenbildner Carlo Cerri auch für die folgenden Szenen. Die Gerichtsszenen bekommen in den Bildern passend zur Musik einen gewissen sakralen Charakter, so dass der Prozess des Herrn K. schon fast an ein Gottesurteil erinnert. Besonders unter die Haut geht der Moment, wenn man zunächst bedrohliche Tierlaute hört, die an ein Wolfsrudel erinnern und auf der schwarzen Wand für einen Moment auch gelbe Augen erscheinen, bevor sich die Rückwand in den Gerichtssaal verwandelt. Auch die leicht schief angeordneten Säulen, die andeuten, dass bei diesem Prozess nicht alles mit rechten Dingen zugeht, überzeugen. In der Liebesszene mit der Pflegerin (Catherine Franco) zieht sich Herr K. mit der jungen Frau in einen Raum zurück, in dem die Akten bis unter die Decke gestapelt sind, wobei dieser Aktenberg dann am Ende der Szene einstürzt. Auch das Treffen mit der Wäscherin (Cássia Lopes) wirkt absolut bedrohlich, wenn Lopes im Folgenden mit weiteren Wäscherinnen zu einem martialischen Rhythmus auf den Waschbrettern Herrn K. umkreist.

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Der Rettungsversuch durch den Maler (Demis Moretti, Mitte) kommt für Herrn K. (Denis Piza, rechts) zu spät.

Kurz vor Ende entsteht dann ein Moment der Hoffnung. Herr K. kommt zu einem Maler (Demis Moretti), der ihm scheinbar einen Ausweg aus der ihn in den Abgrund ziehenden Gesellschaft zeigen kann: die Kunst. Jetzt tauchen auf einmal Farben in den Projektionen auf, wobei das Rot, das auf der Rückwand herabzufließen scheint, sich auch als das Blut des Herrn K. deuten lässt, das bald fließen wird. Das Newspaper Girl tritt erneut auf und drückt Herrn K. mit den Zeitungen regelrecht nieder. Dann taucht das Ensemble ebenfalls mit Zeitungen auf und beerdigt Herrn K. unter einem Berg von Papier, der aus dem Schnürboden herabregnet. Die Medien haben erneut ein Opfer gefordert. Auch der Advokat (Marco Boschetti) und die Pflegerin können Herrn K. nicht mehr retten. Das Newspaper Girl erscheint erneut mit dem Koffer. Herr K. kann nun seine Reise in ein anderes Reich antreten. Das Ballett-Ensemble der Staatsoper Hannover gelingt eine eindringliche Umsetzung der Geschichte mit einem überzeugenden modernen Bewegungsapparat. Auch die Musikauswahl von Bigonzetti erweist sich als absolut gelungen, so dass es nach den kurzweiligen 90 Minuten frenetischen und lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Der Staatsoper Hannover gelingt mit dieser bewegenden Uraufführung ein grandioser Auftakt zu den diesjährigen Oster-Tanz-Tagen.

Weitere Rezensionen zu den Oster-Tanz-Tagen 2015



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Produktionsteam

Choreographie
Mauro Bigonzetti

Bühne, Video- und Licht-Design 
Carlo Cerri

Kostüme
Mauro Bigonzetti
Andrea Meyer

Video-Installation
OOOPStudio

Licht
Elana Siberski

Ton
Maria Anufriev

Dramaturgie
Brigitte Knöß

 

Ballett der Staatsoper Hannover

Solisten

*Premierenbesetzung

Herr K.
*Denis Piza /
Rubén Cabaleiro Campo

Newspaper Girl
*Steffi Waschina /
Hildur Elín Ólafsdóttir /
Debora Di Giovanni

Pflegerin
*Catherine Franco /
Lilit Hakobyan

Advokat
*Marco Boschetti /
Patrick Michael Doe

Wäscherin
*Cássia Lopes /
Mónica García Vicente

Kommissar
*Francisco Baños Díaz /
David Blázquez

Polizisten
Ismael Gil
Joseph Gray

Bankbeamte
David Blázquez
Sergio Carecci
Niels Funke

Maler
*Demis Moretti /
Pantelis Zikas




Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)




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