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Les Indes galantes

Opéra-ballet in einem Prolog und vier Akten
Text von Louis Fuzelier
Musik von Jean-Philippe Rameau

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 40' (eine Pause)

Premiere im Rahmen der Münchner Opernfestspiele im Prinzregententheater am 24. Juli 2016

(rezensierte Aufführung: 30.07.2016) 

 

 



Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Das Fremde in uns

Von Thomas Molke / Fotos von Wilfried Hösl

Obwohl Jean-Philippe Rameau zu den bedeutendsten französischen Komponisten der Aufklärung zählt und einen großen Beitrag zur Entwicklung der Bühnenwerke weg von der höfischen Tragédie-lyrique eines Jean-Baptiste Lully mit dem Tanz als bloßem Divertissement hin zu einem direkten Bezug zur Handlung geleistet hat, sind seine Opern in Deutschland relativ selten zu erleben. Daher verwundert es schon beinahe, dass die Münchner Erstaufführung seiner ersten Ballettoper Les Indes galantes ein paar Monate auf eine Produktion der Staatsoper Nürnberg folgt, die sich drei Monate zuvor mit diesem Werk auseinandergesetzt hat (siehe auch unsere Rezension). Inspiriert ist die Oper von André Campras L'Europe galante, in dem Campra in einzelnen Episoden die Liebe in verschiedenen europäischen Nationen beschreibt. Rameau und sein Librettist Louis Fuzelier gehen in ihrer Bearbeitung über Europa hinaus bis nach Indien, wobei es sich hierbei nicht um das geographische Indien handelt, sondern mit "den Indien" (Les Indes) verschiedene exotische Gegenden im Osten und Westen gemeint sind. Da es sich um eine Ballettoper handelt, hat der Regisseur Sidi Larbi Cherkaoui seine 2010 in Antwerpen gegründete Eastman Company für die Tanzchoreographie eingebunden.

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Hébé (Lisette Oropesa) als Lehrerin im Prolog

In einem Prolog beklagt Hébé, die Göttin der Jugend, dass die Kriegsgöttin Bellone junge Männer umwirbt, um sie in den Krieg zu führen, während sie selbst bemüht ist, die Menschen die Liebe zu lehren. Sie ruft den Liebesgott Amour zur Hilfe, um gemeinsam mit ihm in vier Geschichten aus fernen Ländern den Menschen die Augen zu öffnen, dass der Krieg in Wirklichkeit nur Unglück auf der Erde verbreite und daher die Liebe vorzuziehen sei. Cherkaoui verzichtet in seiner Inszenierung auf die exotischen Orte, an denen die Geschichten spielen und verlegt die exotische Fremde in unsere Gegenwart, wo sie in Form von Flüchtlingsströmen im Hier und Jetzt angekommen sind. Das geht mal mehr und mal weniger auf. Für den Prolog hat Anna Viebrock einen großen Klassenraum gestaltet, in dem Hébé als Lehrerin die französische und spanische Jugend unterrichtet. Wieso die Tänzerinnen und Tänzer der Eastman Company die Schultische mit den Schülern wie bei einer Achterbahnfahrt kippen und durch den Raum schieben, wird nicht ganz klar. Jedenfalls scheinen die kreischenden Schüler dabei großen Spaß zu haben. Weniger spaßig ist dann der Auftritt Bellones. In einem schwarzen Rock tritt Goran Jurić als Kriegsgöttin mit dunklem Bass auf und raubt Hébé die Schüler. In schwarzer Hose erscheint dann Ana Quintans als Amour und unterstützt Hébé mit strahlendem Sopran.

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Happy End in der Museumsvitrine: Emilie (Elsa Benoit) und Valère (Cyril Auvity) mit dem Balthasar-Neumann-Chor in Le Turc généreux

Für den ersten Akt verwandelt sich die Bühne dann in ein Museum. Le Turc généreux dürfte von der Geschichte an Mozarts Die Entführung aus dem Serail erinnern. Auch hier liebt ein Türke, Osman, eine Europäerin, Emilie, die von Piraten verschleppt und in seinen Harem gebracht worden ist. Bei Rameau ist es Emilies Geliebter Valère, der von einem Unwetter an Land gespült wird und dort auf seine Geliebte Emilie trifft, und natürlich zeigt sich auch Osman großzügig und lässt die beiden Liebenden ziehen. Viebrock hat für diesen Akt drei Vitrinen geschaffen, in denen Emilie wie andere Personen gewissermaßen ausgestellt werden. Fremdbestimmt werden die Menschen in den Vitrinen von den Tänzerinnen und Tänzern über die Bühne geschoben, um ihnen eine Pseudo-Freiheit zu suggerieren. Elsa Benoit stattet die Emilie mit leuchtendem Sopran aus. Tareq Nazmi versucht als Osman, mit markantem Bariton ihr Herz zu gewinnen. Aber natürlich hat er gegen den Tenor keine Chance. Cyril Auvity dringt als Valère in dieses Museum ein und bringt die Figuren in den Vitrinen ziemlich durcheinander. Beeindruckend wird hier der Tanz mit der Geschichte verwoben, wobei die Tänzerinnen und Tänzer der Eastman Company sich eines recht modernen Bewegungsvokabulars bedienen. Osman lässt seine geliebte Emilie mit Valère ziehen, und es kommt zu einer glücklichen musikalischen Vereinigung der beiden Liebenden.

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Taufe der besonderen Art in Les Incas au Pérou: Huascar (François Lis, Mitte) mit Carlos (Mathias Vidal, rechts) und Phani (Anna Prohaska) (im Hintergrund Tänzerinnen und Tänzer der Eastman Company)

Der zweite Akt spielt dann in einer Kirche. In Les Incas au Pérou liebt Phani eine junge Priesterin den spanischen Eroberer Carlos und will ihr Volk aus der Tyrannei des Huascar befreien. Doch Huascar, der Phani begehrt, will sie nicht gehen lassen, und löst eine Naturkatastrophe aus, bei der er sich am Ende selbst in die Flammen stürzt. Diese Geschichte ist in Cherkaouis Inszenierung nicht einmal ansatzweise wiederzuerkennen. Da Huascar hier als Priester dargestellt wird, der zu Beginn auch noch Emilie aus der vorherigen Episode in den Beichtstuhl bittet und im weiteren Verlauf zahlreiche Paare vermählt und nur bei einem homosexuellen Paar den letzten Segen verweigert, geht der Bezug zu den Inkas völlig verloren, da somit gar nicht klar wird, mit welcher Religion der Eroberer Carlos hier eigentlich in Peru einfallen soll. Da nützen auch der flugs aufgestellte Altar im Hintergrund und das fantastische Spiel des Münchner Festspielorchesters unter Leitung von Igor Bolton nichts. Natürlich kann man die heilsbringende Ideologie der katholischen Kirche ebenso kritisieren wie Huascars Tyrannei in der Vorlage. Aber ob die Verabreichung des Abendmahls und die als Foltermethode missbrauchte Taufe dabei einer Naturkatastrophe gleichkommen können, bei der Huascar mit einer bloßen Berührung die Tänzerinnen und Tänzer der Eastman Company umfallen lässt, bleibt fraglich. Stimmlich begeistern Anna Prohaska als Phani mit weichem Sopran und Mathias Vidal als Carlos mit sauber angesetzten Höhen. François Lis verleiht dem Huascar mit markantem Bass diabolische Züge.

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Feierlicher Tanz in Les Fleurs: von links: Zaïre (Ana Quintans), Tacmas (Cyril Auvity), Fatime (Anna Prohaska) und Ali (Tareq Nazmi) mit den Tänzerinnen und Tänzern der Eastman Company

Nach der Pause führt die dritte Geschichte zurück ins Museum. Das fröhliche Divertissement Les Fleurs wurde erst im Laufe der ersten Aufführungsreihe in das Stück eingebaut, und Cherkaoui wählt - anders als Lea Scozzi in Nürnberg - die ursprüngliche Fassung. Tacmas hat sich in die persische Sklavin Zaïre verliebt und will als Händlerin getarnt ihr Herz erkunden. Als er sein Vorhaben dem Herrscher im Palast, Ali, kundtut, sieht dieser seine Chance gekommen, endlich die Liebe der schönen Fatime zu gewinnen, die eigentlich mit Tacmas liiert ist und als Mann verkleidet im Palast erscheint, um Tacmas der Untreue zu überführen. Es kommt zu einigen Verwicklungen, und am Ende haben sich mit Tacmas und Zaïre bzw. Ali und Fatime zwei neue Paare gefunden, die voller Freude das Blumenfest feiern. Cherkaoui nutzt die Doppelbesetzungen, um Figuren aus anderen Geschichten wieder einzuführen. So wird der verliebte Tacmas von Cyril Auvity gesungen, und Elise Benoit taucht als Emilie wieder auf, um ihren Geliebten Valère der Untreue zu bezichtigen. Ana Quintans verwandelt sich von Amour in die schöne Zaïre und lässt Anna Prohaska als Fatime die Kleidung Amours annehmen. Das gibt dem Stück zwar keinen tieferen Sinn, stört aber auch nicht weiter. Die Tänzerinnen und Tänzer der Eastman Company, die hier als Mitarbeiter im Museum auftreten, sorgen für einige komische Momente, wenn beispielsweise ein Tänzer zum Flötenspiel versucht, den Besen, mit dem er den Saal fegt, als Flöte zu benutzen. Bemerkenswert ist hier auch, wie die Solisten in die modernen Tanzbewegungen mit einbezogen werden und somit Tanz und Musik auch in der Darstellung zu einer Einheit verschmelzen.

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Flüchtlingsstrom in Les Sauvages: oben rechts: Alvar (François Lis), unten links: Damon (Mathias Vidal), in der Mitte: Tänzerinnen und Tänzer der Eastman Company

In der letzten Geschichte, Les Sauvages, die ebenfalls erst später in die Oper eingefügt worden ist, ist man zwar nicht in Nordamerika, dafür aber in der europäischen Gegenwart angekommen, und zeigt den Chor und die Tänzerinnen und Tänzer als Flüchtlingsstrom, dem vor einem riesigen Tor mit Stacheldrahtzaun Einhalt geboten wird. Nun wird ein großes Zelt auf die Bühne gefahren, in dem die Flüchtlinge anschließend zusammengepfercht werden. Ein Versuch, das Tor gewaltsam zu überqueren, wird mit Maschinengewehren niedergeschlagen. Was das mit den Eingeborenen Nordamerikas zu tun hat, die mit den spanischen und französischen Eroberern Frieden geschlossen haben, erschließt sich nicht wirklich. Vielleicht soll aufgezeigt werden, dass das Zusammenleben in Frieden und Sicherheit eine zahlreiche Flüchtlinge anzieht. Der eigentliche Konflikt der Geschichte, nämlich dass Adario, der Spanier Alvar und der Franzose Damon um die Gunst der schönen Zima werben, geht dabei allerdings völlig unter. Lisette Oropesa schlüpft als Hébé in die Rolle der Zima und wird neben François Lis als Alvar und Mathias Vidal als Damon auch noch von John Moore als Adario umworben, der seinen Gesang mit eleganten Bewegungen auf einem Hoverboard untermalt. Beeindruckend gelingt der "Danse des Sauvages", den Rameau bereits vor der Uraufführung der Oper als Cembalostück anlässlich der Ankunft zweier Urindianer in Paris komponiert hatte. Hier zeigen die Solisten mit den Tänzerinnen und Tänzern zunächst in ausgelassenen Bewegungen, wie das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen mit Hilfe der Musik funktionieren kann, bevor dann Konflikte zwischen den einzelnen Gruppierungen entstehen, die zu kämpferischen Auseinandersetzungen führen. Szenisch ist diese Stelle der gelungenste Regieeinfall an diesem Abend. Am Ende werden alle Bühnenbilder auf die Bühne gefahren, die Schülerinnen und Schüler nehmen wieder auf ihren Bänken Platz, womit der Bogen zum Prolog geschlagen wird.

Während die Inszenierung nicht immer dem Stück gerecht wird, gibt es musikalisch nichts zu beanstanden. Das Münchner Festspielorchester unter der Leitung von Ivor Bolton erweist sich als Meister barocker Klänge und arbeitet die musikalische Vielfalt der Partitur differenziert heraus. Der Balthasar-Neumann-Chor überzeugt darstellerisch und stimmlich genauso wie die Eastman Company mit ihrem modernen Bewegungsvokabular. Auch die hochkarätigen Solisten lassen den Abend musikalisch zu einem Genuss werden, der vom Publikum mit großem Beifall goutiert wird.

FAZIT

Szenisch bietet die Aufführung in München einen ganz anderen Ansatz als die Produktion in Nürnberg, wobei Laura Scozzis Regie in Nürnberg hier der Vorzug zu geben ist. Musikalisch bewegt sich der Abend auf Festspielniveau.

Weitere Rezensionen zu den Münchner Opernfestspielen 2016

 


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ivor Bolton

Inszenierung und Choreographie
Sidi Larbi Cherkaoui

Bühne
Anna Viebrock

Kostüme
Greta Goiris

Licht
Michael Bauer

Chor
Detlef Bratschke

Dramaturgie
Antonio Cuenca Ruiz
Miron Hakenbeck
 

Münchner Festspielorchester

Balthasar-Neumann-Chor,
Freiburg

Kinderstatisterie der
Bayerischen Staatsoper


Solisten

Hébé, Göttin der Jugend
Lisette Oropesa

Bellone, Göttin des Krieges
Goran Juri
ć

L'Amour, Gott der Liebe
Ana Quintans

Emilie
Elsa Benoit

Osman
Tareq Nazmi

Valère
Cyril Auvity

Phani
Anna Prohaska

Carlos
Mathias Vidal

Huascar
François Lis

Tacmas
Cyril Auvity

Ali
Tareq Nazmi

Fatime
Anna Prohaska

Zaïre
Ana Quintans

Alvar
François Lis

Zima
Lisette Oropesa

Adario
John Moore

Damon
Mathias Vidal

Tänzerinnen und Tänzer
Navala "Niku" Chaudhari
Kazutomi "Tsuki" Kozuki
Jason Kittelberger
Denis "Kooné" Kuhnert
Elias Lazaridis
Nicola Leahey
Shintaro Oue
James Vu Anh Pham
Acacia Schachte
Patrick Williams "Twoface" Seebacher
Jennifer White
Ema Yuasa


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



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