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Wahnvisionen
einer psychotischen Kaiserin Von Bernd Stopka / Fotos: © Hans Jörg Michel Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss schufen mit Die Frau ohne Schatten ein Kunstmärchen für die Opernbühne, das inhaltlich, sprachlich und musikalisch die Vielschichtigkeiten der menschlichen Seele mit ihren elementaren Fragen, Wünschen, Erwartungen und Ängsten aufzeigt, die sich für eine psychoanalytische Hinterfragung geradezu aufdrängen. Diesem Drängen ist Regisseur Claus Guth mit seinem Ausstatter Christian Schmidt ausgiebig nachgegangen und hat das Werk als Traumgesicht der psychotisch erkrankten Kaiserin inszeniert. Die Koproduktion mit der Mailänder Scala (2012) und dem Royal Opera House Covent Garden in London (2014) ist nun – mit der Premiere im Rahmen der Festtage – an der Staatsoper Berlin im Schillertheater zu erleben. Nicht bei jeder Koproduktion in der weiten Theaterlandschaft sieht man die Notwendigkeit, sie vielen Menschen an vielen Orten zu zeigen, aber dieses ganz besondere Erlebnis möchte man einmal um die ganze Welt schicken. Iréne Theorin (Baraks Frau), Camilla Nylund (Die Kaiserin) und Wolfgang Koch (Barak) Als Einheitsbühnenbild mit beweglichen Elementen dient ein halbrunder, mahagoniholzvertäfelter Raum mit zwei Türen an den Seiten, die auch der Drehbühne zum Hinein- und Hinausfahren von Personen und Gegenständen dienen. Im Hintergrund eine große Öffnung, die ein anderes Segment der Drehbühne verschließt – mit verschiedenen Wänden, die unterschiedliche Fenster haben (hohe herrschaftliche für das Kaiserpaar und kleine hochliegende Kellerfenster für Baraks Behausung), einer geradezu archetypischen Steinformation und am Ende einem Gerichtssaal. Besonders eindrucksvoll gerät der Beginn des dritten Aktes, in dem Barak und seine Frau durch zwei konkave Wände getrennt sind, die sich in der Mitte treffen und quasi optisch auf die Kaiserin zulaufen, die an den Enden der Wände zwischen den beiden steht. Hier wird man darauf hingewiesen, dass die Kaiserin einerseits der Grund für die Eskalation der Ehekrise ist und gleichzeitig diese Eskalation die beiden in der Versöhnung enger aneinanderbindet als je zuvor. Ein Beispiel für viele einfach wirkende Bilder und Konstellationen, deren Bedeutung sich aber durchaus erschließt. Wenn die Kaiserin und die Färberin in einen schwarz-weißen und einen weiß-schwarzen Mantel Seite an Seite, aber in verschiedene Richtungen blickend nebeneinanderstehen, assoziiert man zwei Seiten der gleichen Medaille. Die Kaiserin („Alles ist meine Schuld“) identifiziert sich in ihren Wahnbildern aber nicht nur mit der Färberin, sondern mit jeder Figur. Sarah Grether (Weiße Gazelle), Camilla Nylund (Die Kaiserin) und Michaela Schuster (Die Amme) Auch mit der Amme, die das dämonischste Wesen dieser Oper ist, der angstmachenste Persönlichkeitsteil der psychisch dekompensierten Kaiserin – und so wird sie auch gezeichnet. Gleichfalls böse und besorgte Oberschwester, am Rande des Legalen hingebungsvolle Dienerin mit Eigennutzmotivation, vor allem aber ein mephistophelischer Galgenvogel mit schwarzen Flügeln, der der Färberin den Schatten per Vorvertrag und Vertrag abluchst. Es gibt aber auch den Moment, in dem deutlich wird, dass die Amme die Kaiserin wie eine Marionette in der Hand hat. Ihre Gestik ist überdeutlich theatralisch und unnatürlich, sie ist kein Wesen von dieser Welt. Ihre Schergen sind gleichfalls schwarzgeflügelte Totengräber, die im Schattenspiel noch bedrohlicher wirken als in natura. Immer wieder gibt es diese Schattenspiele, die zuweilen an Murnaus Nosferatu-Verfilmung erinnern. Hier spielt der Regisseur mit dem Symbol des Schattens, der der Oper nicht nur den Namen gibt, sondern auch den elementaren Inhalt. Der Schatten symbolisiert einerseits den Kinderwunsch, hat aber auch bedrohliche, angstmachende Elemente. Narine Yeghiyan (Die Stimme des Falken), Burkhard Fritz (Der Kaiser), Camilla Nylund (Die Kaiserin) und Paul Lorenger (Schwarze Gazelle / Keikobad) Dem eh schon reichen Vorrat an Symbolen und Metaphern fügt der Regisseur einige weitere hinzu und obwohl das Bühnenbild recht aufwendig ist und die Theatertechnik ausgiebig bemüht, wirkt die Inszenierung so stark auf das Wesentliche reduziert und damit konzentriert, dass jede Bewegung, jede Konstellation in der Personenregie bedeutungsvoll wirkt und das wohl auch ist. Und wie in einem Traum gibt es ganz realistische Bilder, die sich mit abstrakten, phantastischen Traumwirklichkeiten mischen. So sieht man tatsächlich einen Kahn, mit dem die Amme die Kaiserin von den Menschen wegrudern möchte, der Falke bringt der Kaiserin den verlorenen Talisman zurück und Baraks Brüder sind sehr realistisch mit ihren Behinderungen als Einarmiger, Einäugiger und Buckliger gestaltet. Tierwesen mit großartigen Masken und Kostümen beherrschen die meisten Bilder. Zum Beispiel der (graue, nicht rote) Falke, eine schwarze Gazelle und die weiße Gazelle, in deren Gestalt die Kaiserin in die Menschenwelt geraten und vom Kaiser mit Pfeil und Bogen (hier mit einem Speer, der Wotan und Parsifal alle Ehre machen könnte) angeschossen wurde. Wenn der Kaiser seine vermeintlich untreue Gattin töten will, imitiert er die Handhabung seiner verschiedenen Waffen so intensiv, dass man glaubt, er hätte sie wirklich in der Hand. Stilisierte zuckende Fischschwärme, die an den biologischen Beginn des Lebens erinnern, eine gewaltige, hereinbrechende Sturmflut und eine bühnenbreite Feuersbrunst zeigen, wie genial Projektionen eingesetzt werden können, wenn sie dienend und nicht eigenwillig eingesetzt werden (Videos: Andi A. Müller). Als graue Eminenz und stiller Beobachter schreitet immer wieder ein alter Herr mit Gehrock, Stock und Gazellenbockmaske über die Bühne, der sich später als Keikobad herausstellt. Projektionen zeigen zwischendurch (s)eine Hand, die die Stirn der weißen Gazelle streichelt. Alfredo Daza (Der Einäugige), Michaela Schuster (Die Amme), Iréne Theorin (Baraks Frau) und Grigory Shkarupa (Der Einarmige)
Die
Schuldgefühle der Kaiserin gipfeln in der Aussage
der Färberin „Trifft mich sein Lieben nicht,
treffe mich das Gericht“. Das – und vieles mehr –
nimmt der Regisseur ganz wörtlich und stellt die
beiden Paare vor einen stummen Richter, der den
gleichen Gehstock benutzt wie Keikobad, dem sich
die Kaiserin als Tochter nicht nur sehnsüchtig
verpflichtet fühlt, sondern den sie auch als ihren
höchsten Richter ansieht. Im Zuschauerraum des
Gesichtssaals sitzen alle Figuren der Oper. Am
Ende wird abgerechnet und zwar mit jedem, mit
jedem, in dem sich die Kaiserin wiederfindet und
jeder, der in irgendeiner Weise betroffen ist, ist
Zeuge. Jubelnd verteidigen sich die Paare,
Keikobad stirbt, die Kaiserin tanzt sich
Elektra-gleich in Trance und legt sich (zum
Sterben?) ins Bett, bevor Gazellenkinder die
Liebenden in ihr neu definiertes Leben rudern
(eine Parallele zur rudernden Amme, die aber eine
andere Welt im Auge hatte). Paul Lorenger (Schwarze Gazelle | Keikobad), Camilla Nylund (Die Kaiserin) und Michaela Schuster (Die Amme) Am Pult des Schillertheaters, in dem die Staatsoper ihre – planmäßig… – letzte Umbauspielzeit verbringt, steht Zubin Mehta, ein Garant für Zuverlässigkeit und Sängerfreundlichkeit. Sein Dirigat klingt exakt und geradlinig, aber auch ziemlich direkt. Mehta bildet einen satttönenden Klangteppich, über den er die Sänger auf Händen trägt. Aber zuweilen vermisst man doch das metaphysisch Sphärische, das geheimnisvoll Dämonische. Die Staatskapelle zeigt sich in bester Form und folgt ihrem Ehrendirigenten hochkonzentriert von mächtig auftrumpfend bis zart schwebend.
Iréne
Theorin gestaltet die Färberin mit üppiger,
kultivierter Stimmsubstanz und einer reichen Palette
von Stimmfarben und Ausdrucksvarianten von Wut und
Verzweiflung bis zur liebevollen Besorgnis um ihren
Mann, dessen Qualitäten sie spät, aber nicht zu spät
erkennt. Diese Wandlung darzustellen gelingt ihr
schauspielerisch wie stimmlich höchst eindrucksvoll.
Lediglich im dritten Akt geraten ein paar
Spitzentöne etwas scharf. Michaela Schuster
gestaltet die Amme, die sie auch schon in Mailand
und London gesungen hat, stimmgewaltig mit einer
Mischung aus Hinterlist und Dämonie, singt
ausgesprochen wortverständlich und lässt immer mal
wieder dem deutlichen Ausdruck den Vorrang vor dem
exakt gesungenen Ton. Burkhard Fritz verleiht dem
Kaiser vor allem mit seiner ohrenschmeichelnd warm
klingenden Mittelage liebenswert Menschliches, hat
aber Probleme in der Höhe, die oft angestrengt
klingt und nicht immer blütenrein intoniert wird.
Als Barak kann Wolfgang Koch restlos mit satt- und
vollklingendem, sauber geführtem Bariton begeistern
und mit herzzerreißender Sehnsucht anrühren. Die
sich in den letzten Jahren zuweilen eingeschlichene
gewisse Nonchalance hat er hier gänzlich abgelegt
und beweist erneut, dass er zu Recht in die
allererste Riege seines Stimmfachs gehört. Auch die
kleineren Partien sind bestens bis luxuriös besetzt,
als Beispiel für Letztgenanntes seien Roman Trekel
als Geisterbote und Jun-Sang Han als Erscheinung des
Jünglings genannt.
FAZIT
Claus
Guth inszeniert Die Frau ohne Schatten als
ein psychoanalytisch hinterfragtes
theatralisches Märchen und gibt dabei dem
Theater, was des Theaters ist, gewährt der Musik
immer den Vortritt und nimmt sein Publikum so
ernst, dass er ihm Freiräume für eigene Gedanken
und Assoziationen lässt. Eine Sternstunde –
szenisch wie musikalisch -, in der Camilla
Nylund ein phänomenales Rollendebüt als Kaiserin
gibt. Zum Niederknien mit Gänsehaut. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Szenische Einstudierung Bühne und Kostüme Licht Video Chor Dramaturgie
Staatskapelle Berlin Staatsopernchor
Solisten Der Kaiser Die Kaiserin Die Amme Barak, der Färber Färberin, seine Frau Der Geisterbote Hüter der Schwelle des Tempels Erscheinung eines Jünglings Stimme des Falken Eine Stimme von oben Der Einäugige Der Einarmige Der Bucklige Drei Dienerinnen/ Stimmen der Wächter Kinderstimmen Schwarze Gazelle /
Keikobad Weiße Gazelle Falke Männer in
Schwarz
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