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Die Frau ohne Schatten

Oper in drei Akten
Dichtung von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss

in deutscher Sprache (mit Übertiteln)

Aufführungsdauer: 4 Stunden, 40 Minuten (2 Pausen)

Eine Koproduktion des Teatro alla Scala di Milano und des Royal Opera House Covent Garden London

Premiere an der Staatsoper im Schillertheater am 9. April 2017
im Rahmen der Festtage 2017

 

 

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Staatsoper Berlin
(Homepage)
Wahnvisionen einer psychotischen Kaiserin

Von Bernd Stopka /  Fotos: © Hans Jörg Michel

Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss schufen mit Die Frau ohne Schatten ein Kunstmärchen für die Opernbühne, das inhaltlich, sprachlich und musikalisch die Vielschichtigkeiten der menschlichen Seele mit ihren elementaren Fragen, Wünschen, Erwartungen und Ängsten aufzeigt, die sich für eine psychoanalytische Hinterfragung geradezu aufdrängen. Diesem Drängen ist Regisseur Claus Guth mit seinem Ausstatter Christian Schmidt ausgiebig nachgegangen und hat das Werk als Traumgesicht der psychotisch erkrankten Kaiserin inszeniert. Die Koproduktion mit der Mailänder Scala (2012) und dem Royal Opera House Covent Garden in London (2014) ist nun – mit der Premiere im Rahmen der Festtage – an der Staatsoper Berlin im Schillertheater zu erleben. Nicht bei jeder Koproduktion in der weiten Theaterlandschaft sieht man die Notwendigkeit, sie vielen Menschen an vielen Orten zu zeigen, aber dieses ganz besondere Erlebnis möchte man einmal um die ganze Welt schicken.

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Iréne Theorin (Baraks Frau), Camilla Nylund (Die Kaiserin) und Wolfgang Koch (Barak)

Als Einheitsbühnenbild mit beweglichen Elementen dient ein halbrunder, mahagoniholzvertäfelter Raum mit zwei Türen an den Seiten, die auch der Drehbühne zum Hinein- und Hinausfahren von Personen und Gegenständen dienen. Im Hintergrund eine große Öffnung, die ein anderes Segment der Drehbühne verschließt – mit verschiedenen Wänden, die unterschiedliche Fenster haben (hohe herrschaftliche für das Kaiserpaar und kleine hochliegende Kellerfenster für Baraks Behausung), einer geradezu archetypischen Steinformation und am Ende einem Gerichtssaal. Besonders eindrucksvoll gerät der Beginn des dritten Aktes, in dem Barak und seine Frau durch zwei konkave Wände getrennt sind, die sich in der Mitte treffen und quasi optisch auf die Kaiserin zulaufen, die an den Enden der Wände  zwischen den beiden steht. Hier wird man darauf hingewiesen, dass die Kaiserin einerseits der Grund für die Eskalation der Ehekrise ist und gleichzeitig diese Eskalation die beiden in der Versöhnung enger aneinanderbindet als je zuvor. Ein Beispiel für viele einfach wirkende Bilder und Konstellationen, deren Bedeutung sich aber durchaus erschließt. Wenn die Kaiserin und die Färberin in einen schwarz-weißen und einen weiß-schwarzen Mantel Seite an Seite, aber in verschiedene Richtungen blickend nebeneinanderstehen, assoziiert man zwei Seiten der gleichen Medaille. Die Kaiserin („Alles ist meine Schuld“) identifiziert sich in ihren Wahnbildern aber nicht nur mit der Färberin, sondern mit jeder Figur.

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Sarah Grether (Weiße Gazelle), Camilla Nylund (Die Kaiserin) und Michaela Schuster (Die Amme)

Auch mit der Amme, die das dämonischste Wesen dieser Oper ist, der angstmachenste Persönlichkeitsteil der psychisch dekompensierten Kaiserin – und so wird sie auch gezeichnet. Gleichfalls böse und besorgte Oberschwester, am Rande des Legalen hingebungsvolle Dienerin mit Eigennutzmotivation, vor allem aber ein mephistophelischer Galgenvogel mit schwarzen Flügeln, der der Färberin den Schatten per Vorvertrag und Vertrag abluchst. Es gibt aber auch den Moment, in dem deutlich wird, dass die Amme die Kaiserin wie eine Marionette in der Hand hat. Ihre Gestik ist überdeutlich theatralisch und unnatürlich, sie ist kein Wesen von dieser Welt. Ihre Schergen sind gleichfalls schwarzgeflügelte Totengräber, die im Schattenspiel noch bedrohlicher wirken als in natura. Immer wieder gibt es diese Schattenspiele, die zuweilen an Murnaus Nosferatu-Verfilmung erinnern. Hier spielt der Regisseur mit dem Symbol des Schattens, der der Oper nicht nur den Namen gibt, sondern auch den elementaren Inhalt. Der Schatten symbolisiert einerseits den Kinderwunsch, hat aber auch bedrohliche, angstmachende Elemente.

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Narine Yeghiyan (Die Stimme des Falken), Burkhard Fritz (Der Kaiser), Camilla Nylund (Die Kaiserin) und Paul Lorenger (Schwarze Gazelle / Keikobad)

Dem eh schon reichen Vorrat an Symbolen und Metaphern fügt der Regisseur einige weitere hinzu und obwohl das Bühnenbild recht aufwendig ist und die Theatertechnik ausgiebig bemüht, wirkt die Inszenierung so stark auf das Wesentliche reduziert und damit konzentriert, dass jede Bewegung, jede Konstellation in der Personenregie bedeutungsvoll wirkt und das wohl auch ist. Und wie in einem Traum gibt es ganz realistische Bilder, die sich mit abstrakten, phantastischen Traumwirklichkeiten mischen. So sieht man tatsächlich einen Kahn, mit dem die Amme die Kaiserin von den Menschen wegrudern möchte, der Falke bringt der Kaiserin den verlorenen Talisman zurück und Baraks Brüder sind sehr realistisch mit ihren Behinderungen als Einarmiger, Einäugiger und Buckliger gestaltet. Tierwesen mit großartigen Masken und Kostümen beherrschen die meisten Bilder. Zum Beispiel der (graue, nicht rote) Falke, eine schwarze Gazelle und die weiße Gazelle, in deren Gestalt die Kaiserin in die Menschenwelt geraten und vom Kaiser mit Pfeil und Bogen (hier mit einem Speer, der Wotan und Parsifal alle Ehre machen könnte) angeschossen wurde. Wenn der Kaiser seine vermeintlich untreue Gattin töten will, imitiert er die Handhabung seiner verschiedenen Waffen so intensiv, dass man glaubt, er hätte sie wirklich in der Hand. Stilisierte zuckende Fischschwärme, die an den biologischen Beginn des Lebens erinnern, eine gewaltige, hereinbrechende Sturmflut und eine bühnenbreite Feuersbrunst zeigen, wie genial Projektionen eingesetzt werden können, wenn sie dienend und nicht eigenwillig eingesetzt werden (Videos: Andi A. Müller). Als graue Eminenz und stiller Beobachter schreitet immer wieder ein alter Herr mit Gehrock, Stock und Gazellenbockmaske über die Bühne, der sich später als Keikobad herausstellt. Projektionen zeigen zwischendurch (s)eine Hand, die die Stirn der weißen Gazelle streichelt.

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Alfredo Daza (Der Einäugige), Michaela Schuster (Die Amme), Iréne Theorin (Baraks Frau) und Grigory Shkarupa (Der Einarmige)

Die Schuldgefühle der Kaiserin gipfeln in der Aussage der Färberin „Trifft mich sein Lieben nicht, treffe mich das Gericht“. Das – und vieles mehr – nimmt der Regisseur ganz wörtlich und stellt die beiden Paare vor einen stummen Richter, der den gleichen Gehstock benutzt wie Keikobad, dem sich die Kaiserin als Tochter nicht nur sehnsüchtig verpflichtet fühlt, sondern den sie auch als ihren höchsten Richter ansieht. Im Zuschauerraum des Gesichtssaals sitzen alle Figuren der Oper. Am Ende wird abgerechnet und zwar mit jedem, mit jedem, in dem sich die Kaiserin wiederfindet und jeder, der in irgendeiner Weise betroffen ist, ist Zeuge. Jubelnd verteidigen sich die Paare, Keikobad stirbt, die Kaiserin tanzt sich Elektra-gleich in Trance und legt sich (zum Sterben?) ins Bett, bevor Gazellenkinder die Liebenden in ihr neu definiertes Leben rudern (eine Parallele zur rudernden Amme, die aber eine andere Welt im Auge hatte). 
Der Bote Keikobads und der Arzt, der im stummen Vorspiel den Tod der Kaiserin erklärt, ist die gleiche Person. Aber am Ende der Oper steigt die Kaiserin, nachdem „Oberschwester Amme“ sie sanft gestreichelt hat, aus dem Bett und schwebt lebendig, befreit, fast engelsgleich über die Bühne. Ist es die Leichtigkeit kurz vor dem Sterben, die auch Violetta spürt? Ist es die Befreiung aus der Psychose durch die Verarbeitung des Konflikts im Traum? Eine Denkaufgabe an das Publikum, das der Regisseur so ernst nimmt, dass er ihm trotz dieser sehr individuellen Inszenierung noch Luft für eigene Gedanken und Assoziationen lässt.

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Paul Lorenger (Schwarze Gazelle | Keikobad), Camilla Nylund (Die Kaiserin) und Michaela Schuster (Die Amme)

Am Pult des Schillertheaters, in dem die Staatsoper ihre – planmäßig… – letzte Umbauspielzeit verbringt, steht Zubin Mehta, ein Garant für Zuverlässigkeit und Sängerfreundlichkeit. Sein Dirigat klingt exakt und geradlinig, aber auch ziemlich direkt. Mehta bildet einen satttönenden Klangteppich, über den er die Sänger auf Händen trägt. Aber zuweilen vermisst man doch das metaphysisch Sphärische, das geheimnisvoll Dämonische. Die Staatskapelle zeigt sich in bester Form und folgt ihrem Ehrendirigenten hochkonzentriert von mächtig auftrumpfend bis zart schwebend.

Iréne Theorin gestaltet die Färberin mit üppiger, kultivierter Stimmsubstanz und einer reichen Palette von Stimmfarben und Ausdrucksvarianten von Wut und Verzweiflung bis zur liebevollen Besorgnis um ihren Mann, dessen Qualitäten sie spät, aber nicht zu spät erkennt. Diese Wandlung darzustellen gelingt ihr schauspielerisch wie stimmlich höchst eindrucksvoll. Lediglich im dritten Akt geraten ein paar Spitzentöne etwas scharf. Michaela Schuster gestaltet die Amme, die sie auch schon in Mailand und London gesungen hat, stimmgewaltig mit einer Mischung aus Hinterlist und Dämonie, singt ausgesprochen wortverständlich und lässt immer mal wieder dem deutlichen Ausdruck den Vorrang vor dem exakt gesungenen Ton. Burkhard Fritz verleiht dem Kaiser vor allem mit seiner ohrenschmeichelnd warm klingenden Mittelage liebenswert Menschliches, hat aber Probleme in der Höhe, die oft angestrengt klingt und nicht immer blütenrein intoniert wird. Als Barak kann Wolfgang Koch restlos mit satt- und vollklingendem, sauber geführtem Bariton begeistern und mit herzzerreißender Sehnsucht anrühren. Die sich in den letzten Jahren zuweilen eingeschlichene gewisse Nonchalance hat er hier gänzlich abgelegt und beweist erneut, dass er zu Recht in die allererste Riege seines Stimmfachs gehört. Auch die kleineren Partien sind bestens bis luxuriös besetzt, als Beispiel für Letztgenanntes seien Roman Trekel als Geisterbote und Jun-Sang Han als Erscheinung des Jünglings genannt.
Camilla Nylund gibt ihr Rollendebüt als Kaiserin und krönt den Abend mit einer Gestaltung, die ihresgleichen sucht. Ihr in allen Lagen gleichmäßig durchgeformter, ausgesprochen warm und innig klingender Sopran verbindet technische Perfektion mit intensivster Ausdruckskraft. Aufstrebende Gesangslinien gipfeln in Spitzentönen voller Perlenglanz, samtweich und doch klar. Und die Szene am Wasser des Lebens…: zum Steinerweichen. Ein Traum (im allerbesten Sinne, das sollte man im Rahmen dieser Inszenierung betonen) und eine Offenbarung. Man kann die Kaiserin anders singen, aber nicht besser.

 

FAZIT

Claus Guth inszeniert Die Frau ohne Schatten als ein psychoanalytisch hinterfragtes theatralisches Märchen und gibt dabei dem Theater, was des Theaters ist, gewährt der Musik immer den Vortritt und nimmt sein Publikum so ernst, dass er ihm Freiräume für eigene Gedanken und Assoziationen lässt. Eine Sternstunde – szenisch wie musikalisch -, in der Camilla Nylund ein phänomenales Rollendebüt als Kaiserin gibt. Zum Niederknien mit Gänsehaut.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Zubin Mehta

Inszenierung
Claus Guth

Szenische Einstudierung
Julia Burbach

Bühne und Kostüme
Christian Schmidt

Licht
Olaf Winter

Video
Andi A. Müller

Chor
Martin Wright

Dramaturgie
Ronny Dietrich

 

Staatskapelle Berlin

Staatsopernchor

 

Solisten

Der Kaiser
Burkhard Fritz

Die Kaiserin
Camilla Nylund

Die Amme
Michaela Schuster

Barak, der Färber
Wolfgang Koch

Färberin, seine Frau
Iréne Theorin

Der Geisterbote
Roman Trekel

Hüter der Schwelle des Tempels
Evelin Novak

Erscheinung eines Jünglings
Jun-Sang Han

Stimme des Falken
Narine Yeghiyan

Eine Stimme von oben
Anja Schlosser

Der Einäugige
Alfredo Daza

Der Einarmige
Grigory Shkarupa

Der Bucklige
Karl-Michael Ebner

Drei Dienerinnen/
Stimmen der Ungeborenen

Sónia Grané
Evelin Novak
Natalia Skrycka

Stimmen der Wächter
David Oštrek
Gyula Orendt
Dominic Barberi

Kinderstimmen
Sónia Grané
Evelin Novak
Natalia Skrycka
Anna Charim
Verena Allertz
Konstanze Löwe

Schwarze Gazelle / Keikobad
Paul Lorengar

Weiße Gazelle
Sarah Grether

Falke
Victoria McConnell

Männer in Schwarz
Uri Burger
Floris Dahlgrün
Alexander Fend
Nikos Fragkou
Oren Lazovski


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Berlin
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