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Die Leiche im Keller
Von Joachim Lange /
Fotos von
Wilfried Hösl
Rossinis Semiramide heißt zwar opera seria, ist aber nicht nur im sprichwörtlichen Sinne große Oper. Sie wird jetzt in München auch großformatig ins Szene gesetzt. Vier Stunden "Rossini satt". Immer wiedererkennbar mit dem anschwellenden Orchester, den Koloraturkunststücken, dem Melodienschwelgen. Aber ohne den Jubiliereffekt mit Suchtfaktor, den sein Barbier oder seine Cenerentola allemal hervorrufen, die vor allem den Schwan von Pesaro im Gedächtnis der Nachwelt wach halten.
Jeder Zoll (und jeder Ton) eine Königin: Joyce DiDonato als Semiramide
Der Genussmensch par excellence hat sich nicht nur im leichten Fach Lorbeeren verdient (bei ihm könnten das durchaus das Gewürz für eine leckere Speise sein), sondern er hatte auch Ehrgeiz beim großen Historienschinken. Im Falle der 1823 im La Fenice uraufgeführten Semiramide geht das Libretto von Gaetano Rossi sogar auf Voltaire zurück. Der Schauplatz ist das antike Babylon mit dem entsprechenden Multikulti-Personal. Wenn sie nicht alle italienisch singen würden, wäre das Sprachengewirr wahrhaft babylonisch. Das Regime der regierenden Königin-Witwe Semiramide hat die prominenteste Leiche im Keller, die man sich nur denken kann. Das hat Elektra-Format. Zusammen mit ihrem Lover hat die Königin ihren Mann vergiftet und den blutjungen Thronfolger gleich mit beseitigt. Denkt sie jedenfalls. In diesem Babylon funktioniert der Herrscherkult allerdings besser als der Geheimdienst. Dass der Sohn überlebt und es unter falschem Namen zu Feldherrenruhm gebracht hat, wissen sie am Hofe nicht. Und so verliebt sich die Königin prompt in diesen jungen Mann, will ihn sogar zum König an ihrer Seite machen. Da der Zuschauer das längst ahnt, auf jeden Fall aber weiß, dass der in eine andere verliebt ist und Semiramide und er konsequent aneinander vorbei reden, wenn es um Liebe und Dankbarkeit geht, wartet man nur darauf, wann es denn endlich knallt. Bei einer Spieldauer von vier Stunden brutto nimmt sich der Fluss der Handlung dafür jede Zeit der Welt. In diesem Babylon feiert der Personenkult Urstände! Musikalisch ist das ein Fest. Ganz für sich genommen, aber auch mit den - von heute aus erkennbaren - Verweisen vor allem auf Verdis Macbeth oder die Gand Opera a la Berlioz oder Meyerbeer. Michele Mariotti dirigiert Rossini mit Schwung und Liebe zum Detail, aber auch mit dem Willen mitzureißen. Dabei trägt er die Sänger auf Händen - von denen muss keiner gegen das Orchester ansingen. Der Geist des ermordeten Königs macht dem Mörder zu schaffen. Regie hat David Alden geführt, der unter Sir Peter Jonas einen Teil der Barock-Inszenierungen in München verantwortete, aber auch nach Herbert Wernickes Tod die Vollendung des von ihm begonnenen Nibelungen-Ringes übernahm. Paul Steinberg (Bühne) und Buki Shiff (Kostüme) bedienen die Vorlage, indem sie die Inszenierung der Macht opulent zelebrieren und dabei eine Brücke zwischen den Zeitaltern schlagen. Mit Schleiern vor Frauengesichtern, Turbanen auf den Köpfen der Baal-Priester, Prunkroben für die diversen Thronaspiranten. Im Palast-Ambiente mit einem Denkmal des ermordeten Königs im Kim-Format und der unvermeidlichen, in die Zukunft weisenden Geste der rechten Hand und Herrscherbildern vor Bilderbuchlandschaften wie sie die östlichen und sonstigen Autokraten so lieben. Die Wände sind allesamt verschiebbar und liefern die Orte, die gebraucht werden. Die Tableaus mit aufmarschierenden Massen wirken dabei keineswegs nur als Verlegenheitslösung, um den Chor auf der Bühne unterzubringen. Assur, der Mordkomplize der Königin von einst und mit Herrschaftsambitionen jetzt, ist der Finsterling im Stück, dem man den Dunkelmann vom ersten Augenblick an ansieht. Seine Truppen sehen aus wie eine merkwürdige Mischung aus Fremdenlegion und bärtiger Garde mit Schlachterschürzen. Bewaffnet mit Äxten sind sie zur Kenntlichkeit entstellt. Alex Expositio läuft neben seiner markanten stimmlichen Präsenz auch darstellerisch zur Hochform auf. Besonders, wenn er vom Geist des toten Königs gepeinigt wird und der plötzlich aus seinem Riesenwandbild verschwindet und offenbar als (für uns) unsichtbarer Geist seinen Mörder durch die Gegend wirbelt. Die Königin verkündet, wer der neue König sein soll - das passt nicht allen. Diese Fallhöhe von den ausgestellten Gesten der Staatsraison zu einem vom Gewissen und der bösen Tat gepeinigten Opfer ist auch der Königin selbst vergönnt. Joyce DiDonato schlägt diesen Bogen in der Rolle, die Rossini einst seiner Frau Isabella Colbran auf den Leib bzw. in die Kehle geschrieben hat. In München hat man den Eindruck, dass er dabei die fabelhafte Mezzosopranistin im Sinne gehabt haben könnte. Was die bietet, ist schlichtweg atemberaubend. Sie ist von Beginn an das Zentrum der Aufführung, obwohl auch das übrige Ensemble keine Schwachstellen hat. Jeder Zoll eine Königin. Jeder Melodiebogen von sinnlicher Kraft, jede Koloratur leichthin geträllert, jedes Duett und jedes Ensemble von direkter Eloquenz. DiDonato liefert hier durchweg für diese - allerdings auch dankbar ausgestattete - Rolle Referenzniveau. Zu einer ihrer Arien sieht man auf dem Landschaftskitsch-Gemälde hinter ihr einen Wasserfall in die Tiefe stürzen. Und wenn sie zu den Koloraturen anhebt, flattern dort sogar Schmetterlinge. Ihr Charisma ist so stark, dass man das gerne als Augenzwinkern der Regie durchgehen lässt und nicht als Ausrutscher. Da schlägt eher ein läppisches Zitat aus Chaplins Großem Diktator zu Buche, wenn Assur auf seinen Schreibtisch steigt und mit einem kleinen Globus spielt. Mit kraftvollem Mezzo wirft sich Daniela Barcellona in die Rolle des Arsace, der als erfolgreicher Feldherr startet, der hofft, die Hand der von ihm geliebten Azema zu bekommen, plötzlich jedoch die Königin heiraten soll und damit fertig werden muss, dass er eigentlich sowieso der legitime Thronerbe ist, der nun auch noch (wie Hamlet) den Mord an seinem Vater rächen soll und dabei am Ende aus Versehen seine Mutter ersticht. Ganz schön viel für eine Hosenrolle. Barcellona meistert das auch darstellerisch mit wachsender Glaubwürdigkeit zu ihrer warmen und markanten Eloquenz. Das übrige Ensemble und der fabelhafte Chor sind auf Augenhöhe mit diesen herausragenden Protagonisten und liefern ein Fest der Stimmen. FAZITIn München wird Rossinis Semiramide zu einem Triumph für die Sänger, vor allem für Joyce DiDonato. Auch die Inszenierung von David Alden ist dem Format des Werkes angemessen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Choreographie
Licht
Chor
Mitarbeit Regie
Dramaturgie
Solisten
Semiramide
Assur
Arsace
Idreno
Azema
Oroe
Mitrane
L'ombra di Nino
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E-Mail: oper@omm.de