Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Musikalische Magie in abstrakten BildernVon Thomas Molke / Fotos von Falk von TraubenbergHändels Zauberoper Alcina zählt zu den größten Opernerfolgen des Hallenser Komponisten und stellt ein letztes Aufbäumen gegen das sinkende Interesse des Londoner Publikums an der Gattung dar, was Händel schließlich veranlasste, mit seinen Oratorien neue Wege einzuschlagen. Vielleicht lag es an dem großen Konkurrenzdruck durch die Opera of the Nobility, die in der Spielzeit 1734/1735 keinen geringeren als den Starkastraten Farinelli neben den ehemaligen Händel-Stars Francesca Cuzzoni und Senesino aufbieten konnte und damit Händel zu neuen Höchstleistungen antrieb. Jedenfalls konnte Händel nach der erfolgreichen Premiere von Ariodante am 8. Januar 1735 im Covent Garden Theater mit seiner neuen Zauberoper drei Monate später das Londoner Publikum noch einmal so im Sturm erobern, wie es ihm bereits 1710 mit seinem Rinaldo gelungen war. Wie Ariodante greift auch Alcina eine Episode aus Ludovico Ariostos großem Ritterroman Orlando furioso auf, in dem Karl der Große zum Sieger über die ungläubigen Sarazenen hochstilisiert wird. Pikant ist, dass Händel als Vorlage eine Vertonung des Stoffes durch Riccardo Broschi verwendete, seinen damaligen Widersacher an der Opera of the Nobility, der es in der Spielzeit zuvor gewagt hatte, Händels Oper Ottone ohne Zustimmung oder Beteiligung Händels mit abgeänderten Arien für Farinelli auf den Spielplan zu stellen. Für die Internationalen Händel-Festspiele in Karlsruhe bedeutet die Neuinszenierung von Händels Alcina eine Reminiszenz an die ersten Händel-Festspiele 1978, die mit diesem Werk eröffnet wurden. Damals wurde die Oper allerdings noch mit zahlreichen Kürzungen in deutscher Sprache und in transponierter Fassung für einen Tenor gespielt. Nun kann man die Oper mit den Deutschen Händel-Solisten auf historischen Instrumenten zumindest musikalisch in ihrer Originalgestalt erleben. Ruggiero (David Hansen) hat sich in die schöne Zauberin Alcina (Layla Claire, mit der Statisterie) verliebt und seine Verlobte Bradamante vergessen. Die Oper handelt von der Zauberin Alcina, die auf ihrer Insel Männer verführt und sie anschließend in Blumen, Tiere oder Steine verwandelt. Auch der Kreuzritter Ruggiero wird auf ihre Insel gelockt und vergisst darüber nicht nur seinen eigentlichen Auftrag, sondern auch seine Verlobte Bradamante, die sich hingegen mit seinem Erzieher Melisso aufgemacht hat, um den verschollenen Geliebten zu suchen. Als die beiden ebenfalls auf der Zauberinsel stranden, gibt sich Bradamante als ihr eigener Bruder Ricciardo aus. Ruggiero erkennt sie nicht, macht ihr aber klar, dass er seine ehemalige Verlobte vergessen habe und bei Alcina bleiben wolle. Zu allem Unglück verliebt sich auch noch Alcinas Schwester Morgana in die verkleidete Bradamante, was wiederum die Eifersucht Orontes hervorruft, der als Heerführer Alcinas mit Morgana liiert ist. Schließlich gibt sich Melisso Ruggiero zu erkennen und überzeugt ihn, dass er die Insel verlassen muss. Alcina versucht verzweifelt, den Geliebten zu halten, und stellt erschrocken fest, dass sie mit ihrer Liebe zu Ruggiero zugleich auch ihre Macht über die Insel verloren hat. So muss sie tatenlos zusehen, wie Ruggiero im Moment seiner Abreise die Zauberinsel zerstört und ihr Reich untergeht. Die zurückverwandelten Menschen preisen den Wandel zum Guten. Ruggiero (David Hansen) versucht, sich von dem Zauber zu befreien, doch Alcinas (Layla Claire) Macht scheint allgegenwärtig zu sein. Das Regie-Team um James Darrah stellt die Magie der Insel in einem sehr abstrakt gehaltenen Bühnenbild von Macmoc Design - dahinter verbergen sich die beiden Bühnenbild- und Lichtkünstler Emily MacDonald und Cameron Mock - von Anfang an in Frage. Der Lack ist gewissermaßen ab auf den hohen kahlen Wänden, die die Bühne einrahmen. Dezent gehaltene Projektionen und einzelne Goldreste deuten den ehemaligen Glanz noch an. Dabei gelingen Adam Larsen beeindruckende Video-Einspielungen, wenn er Alcina als Femme fatale auf die weiße Wand projiziert oder schemenhafte Tiere über die Wand laufen lässt, die wohl die verwandelten Männer in Alcinas Reich darstellen. Zwischen den hohen Wänden befinden sich herabhängende weiße Ranken, die den Weg in eine geheimnisvolle Grotte andeuten. Von hier treten Alcina und ihre Schwester in der Regel auf. Die Titelfigur als schwangere Frau zu zeichnen, ist sicherlich diskutabel. Zwar geht Alcina letztendlich an der nicht erwiderten Liebe Ruggieros zugrunde. Ob sie jedoch in ihren Gefühlen für den Ritter so weit geht, dass sie ein Kind von ihm möchte, ist Ansichtssache. Unklar bleibt auch, wieso im dritten Akt Bradamantes Zwillingsbruder Ricciardo wirklich auftaucht und sich dem Kampf gegen Alcina anschließt. Ansonsten gelingt es Darrah, die Charaktere in einer durchdachten Personenregie glaubhaft herauszuarbeiten. Gebrochen und schwanger: Alcina (Layla Claire), nachdem Ruggiero sie verlassen hat Wenn Alcina erkennt, dass sie von ihrem Geliebten Ruggiero hintergangen wird, geht ein Riss durch Alcinas Zauberreich, indem eine schwarze Wand durch die weißen Ranken gezogen wird. Auf dieser schwarzen Wand erkennt man schemenhaft ebenfalls die verzauberten Wesen der Insel. Folgerichtig wird diese Wand im dritten Akt von Ruggiero, Bradamante und Melisso zerstört und lässt die zahlreichen verzauberten Menschen frei, die im Schlusschor ihre Befreiung feiern. Auf einem Gestell in der Wand befindet sich ein Projektor, der Alcina auf die Rückwand projiziert und sie von einer schönen jungen Frau zu einer alten Greisin mutieren lässt. Dieses Bild ist jedoch nicht konsistent. Alcina scheint immer noch die Kraft zu besitzen, sich wieder in eine schöne Frau zurückzuverwandeln. Ein glückliches Ende ist Alcinas Schwester Morgana und ihrem Geliebten Oronte nicht bestimmt. Nachdem sich die beiden zunächst im dritten Akt wieder versöhnt haben, stößt Oronte Morgana am Ende, wenn alle die Bühne bzw. die Insel verlassen, erneut von sich. Alcina tritt nun hochschwanger in einem schwarzen Kleid noch einmal auf und betrachtet sich in der Videoeinspielung, die sich dann jedoch auflöst. Das Zauberreich scheint nun endgültig zerstört zu sein. Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf sehr hohem Niveau. Layla Claire, die bereits vor zwei Jahren in Karlsruhe als Tusnelda in Händels Arminio begeisterte, punktet in der Titelpartie mit dramatischem Ausdruck und kräftigen Höhen. Stimmlich beweist sie eine große Wandlungsfähigkeit von puren Glücksmomenten in ihrer weich angesetzten Auftrittsarie "Di, cor mio", in der sie als liebende Frau ihre Gefühle für Ruggiero besingt, über dramatisches Leiden in der schmerzerfüllte Klage des zweiten Aktes, "Ah, mio cor", wenn sie erkennt, dass sie von Ruggiero betrogen worden ist, bis hin zu unheimlicher Besessenheit in der folgenden Dämonenbeschwörung "Ombre pallide". Im dritten Akt gestaltet sie die große Rachearie "Ma quando tornerai" mit scharf angesetzten Koloraturen und rührt dann wiederum mit ihrer letzten Arie "Mi restano le lagrime" als gebrochene Frau zu Tränen. David Hansen glänzt als Ruggiero mit sauber geführtem Counter, der in den Höhen über enorme Strahlkraft verfügt. Seine große Arie "Sta nell'Ircana" im dritten Akt, in der er sich als entschlossener Ritter im Kampf gegen das Zauberreich zeigt, avanciert mit den halsbrecherischen Koloraturen zu einem Höhepunkt des Abends. Wenn er am Ende des zweiten Aktes in der Arie "Verdi prati" noch einmal die Schönheit der Natur auf der Zauberinsel preist, findet Hansen sehr weiche, lyrisch anmutende Töne. Benedetta Mazzucato verfügt als Bradamante über einen dunkel timbrierten Mezzo, der unterstreicht, dass man sie auch für ihren Zwillingsbruder Ricciardo halten kann. In ihrer großen Rachearie "Vorrei vendicarmi" im zweiten Akt begeistert Mazzucato durch bewegliche Koloraturen. Ein weiterer Glanzpunkt des Abends ist Aleksandra Kubas-Kruk als Alcinas Schwester Morgana. Mit leuchtendem Sopran und glasklaren Koloraturen gestaltet sie die Verspieltheit der jungen Frau, die sich Hals über Kopf in den vermeintlichen Ricciardo verliebt und dafür ihrem langjährigen Geliebten Oronte den Laufpass gibt. Großartig gelingen ihr die Arie "Ama, sospira" im zweiten Akt, wenn sie Alcina davon abhält, Bradamante / Ricciardo in ein wildes Tier zu verwandeln, und ihr herzergreifendes "Credete al mio dolore" im dritten Akt, mit dem sie Oronte um Vergebung für ihren Treuebruch bittet. Bei so einem lieblichen Gesang muss jeder Mann schwach werden, auch Alexey Neklyudov, der den Oronte mit flexiblem Tenor gestaltet. Mit hellem Sopran lässt auch Carina Schmieger als Oberto aufhorchen, der als junger Mann auf der Suche nach seinem Vater ist, der ebenfalls von Alcina verzaubert worden ist. Händel soll diese Partie kurz vor der Premiere für den 15-jährigen William Savage eingefügt haben, weil er von dessen Stimme so begeistert gewesen sei. Nicholas Brownlee rundet das Solisten-Ensemble als Melisso mit solidem Bass ab. Andreas Spering zaubert mit den Deutschen Händel-Solisten aus dem Orchestergraben einen präzisen und filigranen Klang, so dass es am Ende des Abends großen Jubel für alle Beteiligten gibt.
James Darrah findet in seiner Inszenierung der Zauberoper abstrakte Bilder mit überwiegend bewegenden Momenten. Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf "magischem" Niveau. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne und Licht Kostüme Video Chorleitung
Dramaturgie
Deutsche Händel-Solisten Händel-Festspielchor SolistenAlcina, eine Zauberin
Ruggiero, ein Ritter Morgana,
Alcinas Schwester
Bradamante, Ruggieros Braut Oronte,
Heerführer Alcinas und Geliebter Morganas
Oberto, Sohn des
Paladins Astolfo Melisso,
Bradamantes Vertrauter Gefolge
Alcinas
|
© 2018 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de
- Fine -