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Im Anfang war das Bild
Von Bernd Stopka / Fotos von Wilfried Hösl und Ruth Walz Es hat immer einen ganz besonderen Reiz, wenn ein namhafter bildender Künstler ein Bühnenwerk mit seiner individuellen Handschrift und seiner ganz persönlichen Ästhetik ausstattet und sich damit bestenfalls in die Sphären von Marc Chagalls Zauberflöte oder Ernst Fuchs‘ Parsifal begibt, um zwei wundervolle Beispiele aus der Vergangenheit zu nennen. Zuweilen entstehen dabei aufwändige Konstruktionen, die auch allein dastehen könnten, wie es bei Joep van Lieshouts geschlossenem Alkoholkreislauf im Bayreuther Tannhäuser 2011 der Fall war. Die Münchner Neuproduktion von Wagners Parsifal, die als erste Premiere der Opernfestspiele 2018 besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht, stellt einen bildenden Künstler ebenso in den Vordergrund wie der neue Bayreuther Lohengrin, wobei dort sogar ein anderer Regisseur als ursprünglich geplant in die bereits feststehenden Bühnenbilder von Neo Rauch wechselte. Dazu in einem Monat mehr. Christian Gerhaher (Amfortas), Gralsritter (Chor) © Ruth Walz In München vereint der 80-jährige Georg Baselitz die Quintessenz seines künstlerischen Schaffens quasi wie ein Vermächtnis in der Ausstattung des Bühnenweihfestspiels, in dem er nicht nur ganz eindeutig seine Handschrift erkennen lässt, sondern auch immer wieder Assoziationen an frühere Werke und Selbstzitate integriert – ganz deutlich mit drei Vorhängen, die als seine Bilder allein dastehen könnten und subtiler, andeutungsweise im räumlichen Bühnenbild. Die Themen Verletzung, Zerstörung, die Infragestellung von Ordnungen und die Dekonstruktion von Helden-Vorstellungen durchziehen mannigfaltig seine Bilder, die er seit den 1970er Jahren vorzugsweise auf den Kopf stellt. Sie durchziehen sein gesamtes Oeuvre und so scheint er geradezu prädestiniert zu sein, die Bühnenbilder zu Wagners Parsifal zu gestalten, der das Motto der Münchner Saison 17/18, „Zeig mir Deine Wunde“, in besonders vielfältiger Weise repräsentiert. Im Parsifal wimmelt es nur so von Wunden, körperlichen und seelischen. Gesund ist da keiner. Ein düsteres Werk, dem sich Baselitz mit der Düsternis seiner Schwarzen Serie nähert und es in schwarz-weißen Bildern als „eine Meditation über das Mysterium des Todes“ präsentiert, wie es der Regisseur der Produktion Pierre Audi ausdrückt. In einem Interview beschreibt Audi die Entstehungsweise und die Absichten dieser ganz besonderen Produktion, die vom Bühnenbild her entstanden ist, in dem er sich als Regisseur einen eher untergeordneten Weg sucht, um das Werk mit psychoanalytischen Mitteln zu hinterfragen und mit minimalistischer Personenregie in einer zeitlosen, ja irrealen Märchen- oder Traumwelt zu erzählen. Auch Audi visualisiert das Thema der Verwundung und Verletzlichkeit in vielfältiger Weise, nicht zuletzt durch die Nacktheit der Gralsritter am Ende des ersten Aktes und die nackten Blumenmädchen im zweiten Akt, die eher verwelkende Herbstastern als verführerisch duftende Frühlingsblumen assoziieren lassen und damit umso mehr Mitleid erregen. Zumindest optisch, denn singen können sie traumhaft schön. Aber auch diese Nacktheit trägt Baselitz‘ Handschrift, sind doch die Trikots der Männer und Frauen seinen typischen, weniger ästhetisch als ausdrucksstark gestalteten Menschendarstellungen nachempfunden. Räumlich, ja lebendig gewordene Bilder. Zum Raum wird hier nicht nur die Zeit, sondern auch das Bild. Wolfgang Koch (Klingsor), Nina Stemme (Kundry) © Wilfried Hösl Der erste Akt zeigt stilisierte
schwarze
Tannen vor
einem
grauschimmernden
Hintergrund.
Vorn links
sitzt
Gurnemanz vor
einem echten
Feuer, das aus
starken
schwarzen
Holzbalken
lodert. Aus
dem gleichen
Material sind
eckige Balken
zu einer Art
Zeltgerüst
aufgestellt
und oben
notdürftig
zusammengebunden.
Kundry haust
auf der
rechten
Bühnenseite im
Skelett eines
Pferdes,
dessen
Brustkorb ihr
Schutz und
Deckung bietet.
von diesem
Bild des
Vergänglichen
aus unternimmt
„die wilde
Reiterin“ ihre
Reisen durch
Zeiten und
Räume. Im gleichen Bühnenbild spielt auch die Gralstempelszene, zu deren Beginn lediglich drei hell bestrahlte schwarze, nicht näher definierbare Zeichnungen auf weißem Grund gezeigt und wieder entfernt werden. Amfortas schleicht wie ein Bettler unter den liegenden Gralsrittern umher und bietet seine schlichte Gralskönigskrone an, die ihm, wie sich später zeigt, ebenso viel zu groß ist, wie das Amt, das er erbbedingt auszuüben hat. Die zeltartig aufgeschichteten Holzbalken beherbergen offensichtlich den Gral, der aber so geheimnisvoll ist, dass weder der Gral, noch das Geheimnis enthüllt wird und der Kelch somit für den Zuschauer unsichtbar bleibt. Sichtbar wird nur seine Kraft bezüglich Amfortas, der seine Hand mit frischem Blut den Gralsrittern präsentiert, die daraufhin ihre Mäntel (eine schwarze, fantasievolle, archaisch anmutende Mischung aus Kimono mit Obi und großem Marschgepäck) ablegen und in der oben schon beschriebenen Nacktheit den Gral umwandern. Die Bäume knicken ein und sinken in sich zusammen. Jonas Kaufmann (Parsifal), Blumenmädchen (Ensemble und Chor) © Ruth Walz Nachdem auf dem Vorhang vor dem ersten Akt vier liegende menschliche Figuren zu sehen waren, stehen nun vier (zwei gespiegelte) auf dem Kopf. Baselitz ist in den Siebziger Jahren angekommen. Klingsor, wild gestylt mit Schmerbauch – Essen statt Sex –, kriecht rechts unter dem Vorhang hervor, Kundry links. Und dann singen sie sich an. Nicht mehr und nicht weniger. Das Bühnenbild des zweiten Aktes ist erfreulicherweise heller. Eine stilisierte Mauer aus schwarzverfugten weißen Steinen, von denen einige auf dem Bühnenboden verstreut liegen. Zunächst ist sie zusammengebrochen, in der Mitte zerschlagen, „verwundet“, lang und schmal (man möge assoziieren oder nicht). In der Mitte steht Parsifal, während sie sich wieder aufrichtet, um dann am Ende des Aktes wieder zusammenzusinken. Das Zweitgenannte ist logisch, das Erstgenannte wirft Fragen auf. Die oben schon beschriebenen Blumenmädchen bringen Farbtupfer ins Bild, vorzugsweise durch grellrote Punkte an den geschlechtsspezifischen Stellen. Wenn sie ihre Umhänge – Zwischenformen von durchsichtigem Schlafrock und Regenjacke – ablegen und ihre groteske, erbärmliche Hässlichkeit zeigen, bekommt die Szene mit dem Kommentar ihrer Konkurrentinnen „Sie schmückten heimlich sich“ einen komischen Anteil, für den Parsifals „Noch nie sah ich solch zieres Geschlecht“ kurz vorher den Samen gelegt hat. Sie ziehen Parsifal den Mantel und den Sixpack-Brustpanzer aus und dann steht er da in heutigem schwarzen Hemd und Hose und wird von Kundry im ebenso heutigen schwarzen Abendkleid angesungen. Er steht links, sie rechts, dann wechseln sie die Seiten und das war es dann auch schon fast. Der Kuss bewirkt ein grell helles Erstrahlen der Mauer und Klingsor lässt sich ein den Speer ersetzendes Requisit problemlos abnehmen. Hierbei handelt es sich um einen schmalen, mittellangen Metallstab, den am nach oben gehaltenen Ende ein Kreuz abschließt, das auch der Griff eines Schwertes sein könnte. Die Religion als Waffe? Was auch immer, man freut sich auf die Pause, denn dieser zweite Akt ist sowohl vom Bühnenbild als auch von der Personenregie enttäuschend und langweilig. Nina Stemme (Kundry), Jonas Kaufmann (Parsifal), Wolfgang Koch (Klingsor) © Wilfried Hösl Der Vorhang für den dritten Akt
zeigt wiederum
zwei
gespiegelte
Personen auf
dem Kopf und
auch das
Bühnenbild des
ersten Aktes
ist (ohne das
Skelett)
identisch –
aber auf den
Kopf gestellt
und hängt vom
Schnürboden
herab.
Baselitz at
his best. Kein
„winterlich
rauhes Gedörn“
verdeckt die
offen in der
Bühnenmitte
liegende
Kundry, die
der links
stehende
Gurnemanz
entdeckt, den
rechts
liegenden
Parsifal in
stilisierter
Ritterrüstung
aber
übersieht.
Wenn der seine
Rüstung
ablegt, werden
Knieschützer
und ein
gewaltiges
Suspensorium
sichtbar, was
die Frage
aufwirft, wie
er damit so
lange und so
weit
umherlaufen
konnte… Nun
wieder das
Spiel mit dem
Weglassen oder
Zeigen: Keine
Labung, aber
eine
Fußwaschung,
keine Taufe,
aber eine
Salbung zum
Gralskönig.
Fast möchte
man
Rätselraten,
was gezeigt
wird und was
nicht – damit
könnte man
sich auch dem
öden,
bestenfalls
bedrückenden
Pathos dieses
Aktes
entziehen. Die
stärkste Szene
entsteht, wenn
Amfortas und
die
Gralsritter
aus einer
schrägen
Versenkung
langsam von
hinten auf die
Bühne
schreiten,
fast wie
Untote, sehr
bedrohlich
wirkend. In
zwei Gruppen
sitzen dann
die beiden
(eigentlich
tragenden)
Rittergruppen
am Bühnenrand
und hören dem
jammernden
Amfortas zu,
der sich
(wiederum eher
komisch als
berührend)
seine moderne
Gehhilfe in
die Wunde
rammt. Da, wo
sich sonst der
Souffleurkasten
befindet,
sieht man ein
frisches Grab.
Amfortas‘
Souffleur,
sein Vater
Titurel, ist
tot und auch
er will nicht
mehr leben und
legt die ihm
eh viel zu
große Krone,
das „wehvolle
Erbe“, auf den
Grabhügel.
Parsifal heilt
= tötet ihn
mit dem
speerersetzenden
Requisit.
Warum darf es
denn nicht der
Speer sein,
der allein nur
die Wunde
schließen
kann, die er
geschlagen
hat? Mit
dieser
Verweigerung
wird der ganze
tiefenpsychologische
Hintergrund
ausgehebelt
und ob das die
schon
beschriebene
Regieidee der
Verweigerung
auffangen
kann, bleibt
gerade hier
höchst
fraglich. Die
Gralsritter
und ihr neuer
König halten
sich synchron
die Augen zu
Parsifal
selbst muss
nun den
Kreuzstab
(er)tragen und
schaut
verzweifelt
suchend und
bittend gen
Himmel. Sehnt
er sich nach
der Kraft aus
der Höhe, dem
Segen von
oben, den
himmlischen
Weihen? Die
müsste er dann
aber aus der
Erde bekommen,
denn im
umgekehrten
Bühnenbild ist
oben ja
unten... Christian Gerhaher (Amfortas), Chor © Ruth Walz Dem oft schwer zu ertragenden Pathos auf der Bühne steht eine ganz andere musikalische Interpretation entgegen. Kirill Petrenko verweigert bei seinem ersten Parsifal-Dirigat jedes weihevolle Pathos. Dass er dabei aber auch die geheimnisvollen, hintergründigen und ans Transzendente grenzenden Elemente der Musik verweigert, ist höchst bedauerlich, denn „dann hat er die Teile in seiner Hand, Fehlt, leider! nur das geistige Band“ (Faust). Sein Dirigat klingt sachlich, das Vorspiel zerfällt in eine Aneinanderreihung von Statements, zu denen auch ein kühl klingendes Dresdner Amen gehört. Kurzzeitigen dynamischen Extremen – insbesondere in den Verwandlungsmusiken, zu denen die Gralsglockenklänge von den Bayreuther Steingraebers kommen, die darin ja seit 1882 Erfahrung haben – steht eine unauffällige, sängerfreundliche Begleitung gegenüber, die vielleicht mehr Details herausarbeitet, als man in Reihe 17 (einem exzellenten Platz) hören kann. Im dritten Akt tönt es dann doch auch immer mal wieder mehrdimensionaler, was zeigt, wie Petrenkos Parsifal-Dirigat auch klingen könnte. Vielleicht ließe sich das Orchester dann auch zu einem konzentrierteren Spiel anregen. In der Premiere klapperte ungewöhnlich viel, innerhalb des Orchesters, aber auch zwischen Bühne und Graben. Nina Stemme hat als Wagnersängerin und auch im gesamten hochdramatischen Fach so viel Erfahrung, dass sie die Kundry nicht als „Höllenrose“ anlegt, sondern als vielschichtige Frauengestalt, die im zweiten Akt mehr Überzeugungsarbeiterin als Verführerin ist. Ihr Sopran mit dem unverwechselbaren Timbre klingt in der Mittellage wunderschön und hat auch in der Tiefe Überzeugungskraft, während die Spitzentöne zuweilen recht speziell klingen. René Pape (Gurnemanz) ist einer der führenden Bässe unserer Zeit mit wohlklingendem Timbre und einer hochkultivierten Stimmtechnik, wenngleich er keine satte, vollklingende Tiefe hören lässt und am Premierentag auch nicht in allerbester Form war. Was Christian Gerhaher dazu treibt, den Amfortas mehr zu deklamieren als zu singen, hinterlässt ein großes Fragezeichen ob solcher Manierismen. Vielleicht liegt diesem ausgezeichneten Bariton mit höchsten Liedgesangsqualitäten diese Partie einfach nicht, vielleicht lässt er sich auch zu einer Überinterpretation hinreißen, aber Wagner will nunmal auch und vor allem gesungen sein. Auch Wolfgang Koch hat mit dem Klingsor nicht seine Idealpartie erwischt und sollte sich auf seine großen Wagnergesangsqualitäten in anderen Partien konzentrieren. Weniger Applaus als für ihn üblich bekam Jonas Kaufmann, der ja eigentlich einer der großen Lieblinge in München ist. Das ist nachvollziehbar, denn sein immer dunkler werdendes Timbre mit immer wieder eng klingenden Tönen ist nicht ideal für den reinen Toren. Wunderschön singt er das „Dies Alles – hab ich nun geträumt?“ sehr lyrisch halb im Liegen. Aber gerade beim Parsifal möchte man doch auch helle, offen strahlende Töne hören, insbesondere im Finale. Bálint Szabó singt den Titurel mit vollem sattem Bass und mit der kurzen Verheißung aus der Höhe kann Rachael Wilson besten Eindruck hinterlassen. Die Chöre und Blumenmädchen klingen wohleinstudiert und die Gralsritter können insbesondere mit fast schon im Mezzavoce gesungenen Passagen beeindrucken. FAZIT In den altersweisen Bühnenbildern und Kostümanregungen von Georg Baselitz schwankt Regisseur Pierre Audi zwischen Zurückhaltung, geistreichen Ideen, bedeutungsschwangeren Eigenwilligkeiten und ödem Pathos. Selbiges vermeidet Kirill Petrenko und interpretiert die Partitur eher sachlich und geheimnislos. Die Sängerbesetzung weist große Namen auf, die gerade bei einer Münchner Festspielpremiere allergrößte Erwartungen wecken, die sie aber nicht durchweg erfüllen können. Es ist eine Produktion mit überwiegend ordentlichen Sängerleistungen, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Weitere Rezensionen zu den Münchner Opernfestspielen 2018
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Bühne
Mitarbeit Bühne Kostüme Mitarbeit Kostüme Licht Chor und Extrachor Kinderchor Dramaturgie
Chor, Extrachor und Kinderchor Bayerisches Staatsorchester Statisterie der Bayerischen Staatsoper
SolistenAmfortas Titurel Gurnemanz Parsifal Klingsor Kundry 1. Gralsritter 2. Gralsritter Vier Knappen Klingsors Zaubermädchen Stimme aus der Höhe
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