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Brautkauf auf dem Misthaufen
Von Thomas Molke / Fotos von Wilfried Hösl Bedřich Smetana zählt mit Antonín Dvořák und Leoš Janáček zur Trias der berühmten tschechischen Komponisten. Im Gegensatz zu Dvořák und Janáček allerdings wurde Smetana in seiner Heimat gerade in seinen frühen Werken eine gewisse Deutschtümelei vorgeworfen. So war beispielsweise die Uraufführung seiner Oper Die verkaufte Braut, die am 30. Mai 1866 im tschechischen Interimstheater in Prag unter dem Titel Prodaná nevěsta stattfand, derart schlecht besucht, dass das Stück bereits nach der zweiten Vorstellung vom Spielplan genommen wurde und Smetana sogar auf die für ihn vertraglich vereinbarten Zahlungen für die Folgeaufführungen verzichtete. Erst später trat die Oper, die Smetana eigentlich nur als Gelegenheitswerk betrachtet hatte, einen Siegeszug durch ganz Europa an. In einer Dankesrede anlässlich der 100. Aufführung der verkauften Braut gab Smetana zu, die Oper eigentlich nur aus Trotz komponiert zu haben, um den Vorwurf, ein "Wagnerianer" zu sein, mit einem leichteren Stil zu widerlegen, mit dem sich "nicht einmal Offenbach messen" könne. Zeit seines Lebens hat er darunter gelitten, dass seine Bestrebungen, eine tschechische Nationaloper zu entwickeln, in diesem folkloristischen Werk völlig falsch gewichtet wurden. In München hat man sich entschieden, die Oper in der deutschen Übersetzung von Max Kalbeck aus dem Jahr 1893 zu spielen, die im deutschsprachigen Raum einen großen Anteil an der erfolgreichen Verbreitung des Werkes hatte. Der musikalische Leiter Tomáš Hanus, der selbst aus Tschechien stammt, gibt als Grund für diese Entscheidung im Programmheft an, dass die tschechischsprachige Kultur zum Zeitpunkt der Entstehung der Oper noch in ihren Anfängen gestanden habe und man am ursprünglichen Libretto durchaus merke, dass das Werk noch "deutsch" gedacht sei. Schließlich habe Smetanas Sozialisation im typischen deutsch-böhmisch-österreichisch kulturellen Rahmen stattgefunden. Für Hanus als Tschechen klingt im Originallibretto daher vieles nicht so glatt wie in der deutschsprachigen Übersetzung. Außerdem sei es für das Verständnis des Sprachwitzes für das Publikum viel einfacher, wenn dieser sich direkt und nicht nur aus dem Lesen der Übertitel ergebe. Marie (Selene Zanetti) liebt Hans (Pavol Breslik), soll aber mit Wenzel verheiratet werden. Die Geschichte spielt in einem böhmischen Dorf zum Zeitpunkt der Entstehung der Oper. Die Bauerntochter Marie liebt den Knecht Hans, dessen Herkunft unbekannt ist. Doch ihre Eltern planen, sie mit Hilfe des Heiratsvermittlers Kezal mit Wenzel, dem Sohn des wohlhabenden Grundbesitzers Tobias Micha, zu vermählen. Wenzel wirbt nicht selbst um Marie, da er stottert und ein introvertierter Träumer ist. Marie gelingt es inkognito, den designierten Bräutigam vor der zukünftigen Braut zu warnen, die ihn zu Tode quälen werde, und ihm von einer reizenden Unbekannten vorzuschwärmen, die ihn heimlich liebe, so dass Wenzel all seinen Mut zusammennimmt und seinen Eltern unterbreitet, Marie nicht heiraten zu wollen. Kezal wendet sich nun an Hans, um ihn zu überreden, auf Marie zu verzichten. Schließlich bietet er ihm 300 Gulden, wenn er, Hans, bereit sei, Marie dem Sohn des Tobias Micha zu überlassen. Nun wittert Hans seine Chance, da er selbst ein Sohn des Tobias Micha ist, den Michas zweite Frau Agnes vor vielen Jahren aus dem Haus getrieben hat und von dem alle glauben, dass er mittlerweile gestorben sei. Unter der Bedingung, dass Marie nur einen Sohn des Tobias Micha heiraten dürfe, verkauft er seine Braut für 300 Gulden, was bei der Dorfgemeinschaft großes Entsetzen auslöst. Auch Marie kann nicht glauben, dass Hans sich auf diesen Handel eingelassen hat, zumal er sie auch nicht in seinen Plan einweiht. Erst als Micha in ihm seinen erstgeborenen Sohn erkennt, löst sich alles in Wohlgefallen auf. Kezal fühlt sich verraten, muss aber die 300 Gulden zahlen und wird zum Gespött der Dorfgemeinschaft. Wenzel schließt sich aus Liebe zu der Seiltänzerin Esmeralda einer Zirkustruppe an und begleitet sie in einem Bärenkostüm als tanzender Bär, was ihn nun endgültig für die Dorfgemeinschaft untragbar macht und auch Micha und Agnes dazu bringt, der Hochzeit zwischen Hans und Marie ihren Segen zu geben. Zirkuswelt tritt auf Misthaufen (vorne links: Esmeralda (Anna El-Khashem), rechts oben: Muff (Oğulcan Yılmaz), rechts unten: Springer (Ulrich Reß)). Das Regie-Team um David Bösch fängt die dörfliche Idylle der Geschichte mit einem riesigen Misthaufen ein, der die ganze Bühne dominiert. Nebelschwaden, die an einzelnen Stellen aufsteigen, deuten den Gestank an, der von diesem riesigen Haufen ausgehen dürfte. Die Kostüme von Falko Herold zeigen die Dorfbewohner in einer typisch bäuerlichen Atmosphäre, von der sich Micha als Grundbesitzer und seine Frau Agnes durch feine städtische Kleidung abheben. Hans wird als zupackender Bursche gezeichnet, der sowohl auf dem Fahrrad als auch auf dem Traktor eine gute Figur macht. Marie ist ein einfaches Mädchen vom Lande und wirkt absolut bodenständig. Wenzel wird mit seinem spießigen Pullover und seiner Mütze als krasser Außenseiter in dieser Gesellschaft gezeichnet. Ein Plumpsklo auf der linken Bühnenseite zeigt auf einem großen Pin-Up Poster auf der Innenseite der Tür, als was Frauen in dieser Gesellschaft betrachtet werden, nämlich als Handelsware. Kezal wirkt in seinem weißen Anzug und seinem offenen roten Hemd wie ein schmieriger Vertreter, der neben Versicherungen eben auch Bräute anbietet, wie in großen Werbeprojektionen auf dem Vorhang in allen möglichen Sprachen verkündet wird. Stellenweise wird die derbe Komik auf dem Misthaufen auf die Spitze getrieben, wenn beispielsweise die Bauern beim Dorffest in hohen Fontänen auf den Haufen urinieren. Wenzel (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke) und sein Schwein Willi Die Zirkusszene spielt sich nur in Wenzels Kopf ab und wird sehr phantasievoll umgesetzt. Da stört es auch nicht, dass die Zirkuskapelle mit Totenköpfen auftritt. In einem Auto lässt Bühnenbildner Patrick Bannwart die Truppe auf dem Misthaufen eindrucksvoll vorfahren. Für Wenzel entfachen die Zirkusleute dann eine nahezu großartige Show mit Stelzenläufer, fliegendem Luftballonverkäufer und vor allem einer absolut bezaubernden Seiltänzerin Esmeralda. So schwebt Anna El-Khashem als Tänzerin sehr grazil auf dem Hochseil, macht dabei bezaubernde Sprünge und singt dabei auch noch. Auch Wenzels Schwein Willi, das in die Inszenierung eingebunden ist, vollzieht auf der Bühne Kunststücke, indem es durch einen Reifen läuft, und sorgt beim Publikum für große Belustigung. Man kann gut verstehen, wieso der Einzelgänger Wenzel sich vom Zauber dieser Vorstellung einfangen lässt und letztendlich im Bärenkostüm landet. Ob er damit wirklich der Verlierer bleibt oder vielleicht doch in der Kunst seine wahre Bestimmung findet, lässt die Inszenierung offen. Jedenfalls taucht am Ende die Zirkustruppe mit dem Wagen erneut auf, und Wenzel entschwindet mit ihnen als neuer Tanzbär. Heiratsvermittler Kezal (Günther Groissböck)
Musikalisch bewegt sich der Abend auf hervorragendem Niveau. Da ist zunächst
einmal das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Tomáš
FAZIT
David Böschs Inszenierung bietet, was das Bühnenbild von Patrick Bannwart
betrifft, einiges für die Augen und, was die musikalische Umsetzung betrifft,
einiges für die Ohren.
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Opernfestspielen 2019
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme Licht Chor
Dramaturgie Lukas Leipfinger Chor der Bayerischen Staatsoper Statisterie der Bayerischen Staatsoper Bayerisches Staatsorchester
Solisten
Kruschina, ein Bauer
Kathinka, seine Frau
Marie, beider Tochter
Micha, Grundbesitzer Agnes,
seine Frau Wenzel, beider Sohn Wenzels Schwein Hans, Michas Sohn aus erster Ehe Kezal, Heiratsvermittler Springer, Direktor einer wandernden
Künstlertruppe Esmeralda,Tänzerin Muff, ein als Indianer verkleideter
Komödiant
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