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Volkreiches Rheingold
Von Christoph Wurzel / Fotos: Bernd Uhlig Nun wissen wir, warum
Wotan zu Beginn des 2. Akts der Walküre (siehe unsere Rezension) aus
dem Souffleurkasten auf die Bühne steigt, denn im Rheingold klettert er am Schluss in
eben denselben hinein - nämlich um die Spur Erdas zu verfolgen, die zu
ihrem Auftritt in der letzten Szene in Gestalt der Souffleuse aus ihrer
engen Behausung heraus die Bühne betreten hat. Das ist nur einer der
zahlreichen Einfälle, mit denen Stefan Herheim auch an diesem Vorabend
seiner Ring-Inszenierung das
Publikum unterhält. Die allwissende Erda als mit der Opernhandlung
bestens vertraute Souffleuse - ein Kniff, auf den man erst einmal
kommen muss.
Wie diese Klammer, so
lösen
sich auch die anderen Rätsel auf, welche die pandemiebedingt
vorgezogene Walküre im
letzten Herbst dem Publikum aufgab. Wegen Corona war der Deutschen Oper
ja die richtige Reihenfolge der Ring-Tetralogie
durcheinadner gekommen. Wer sich seit der imponierenden Walküren-Premiere im Oktober
Interesse und Neugier bewahrt hatte, wurde nun mit einem ebenso großartigen Rheingold belohnt.
Was sich bereits andeutete, bestätigte sich nun: Herheims Ring ist auf dem Weg zu einem Zyklus voll assoziationsreicher Bilder, gespickt gleichermaßen mit Witz wie tieferem Sinn. Kein bedeutungsschwangeres Großkonzept liegt hier zugrunde, dafür immerhin eine theatralisch effektvolle Inszenierung, die im besten Sinne unterhaltsam ist und dazu noch vielerlei Anstöße gibt, auch Querverweise zu Autor und Werk.
Mime etwa erscheint hier
in Rheingold als kleiner
Wagner-Clon mit Backenbart und Samtbarett. Er plagt sich gewaltig mit
seiner Schmiedearbeit, schleppt aber gleichzeitig die Partitur mit sich
herum. Eine hell glänzende Trompete wird zum Symbol des Goldes in der
Tiefe des Rheins, wenn im Orchester der strahlende Ton dieses
Instruments das Aufleuchten des Schatzes verkündet.
Brillant klingt das
Trompeten-Solo an dieser Stelle, ansonsten hat das Orchester an diesem
Abend aber nicht seinen besten Tag, es scheint musikalisch etwas
entwöhnt nach dem achtmonatigen Entzug von Liveauftritten. Donald
Runnicles, mittlerweile zum Sir geadelt, pflegt hier im Rheingold eher den plakativen
Stil. In der Walküre klang
alles differenzierter und tiefenschärfer. Dem symphonischen Rheingold hätte Gleiches auch gut
getan. Etwas stockend beginnt das magische Vorspiel und kommt erst mit
den wogenden Achteln der tiefen Streicher in Fluss. An anderen Stellen
setzt der Dirigent eher auf grelle Effekte als auf einen erfüllten
Klang, wie beim Auftritt der Riesen, deren musikalisches Motiv
übermäßig grob dahertrampelt.
Den Beginn der Oper, damit
der ganzen Tetralogie, gestaltet die Regie hier überraschend profan,
wenngleich konsequent. Herheims Ansatz ist die Erfindung von
Bühnenwirklichkeit als künstliches, kunstvolles Spiel auf der Bühne,
womit er den Komponisten auf seiner Seite hat. So fängt der Abend nicht
unmittelbar mit der Musik an, sondern die zahlreichen Menschen mit
Koffern, über die man sich in der Walküre so mancherlei Fragen stellte,
kommen von hinten langsam auf die nackte Bühne, die nur mit einem
Konzertflügel möbliert ist. Einer von ihnen schlägt auf dem Instrument
einen Ton an und erst jetzt beginnt (bei noch hell erleuchtetem
Zuschauersaal) mit dem aus der Tiefe wachsenden Es-Dur des Wagnerschen
Naturmotivs die musikalische Erschaffung der Opern-Welt dieses Rings. Die Menschen stellen in der
ersten Szene dann gleichsam das Volk eines Urzustands dar, sie
entkleiden sich bis auf die Unterwäsche, verlieren so ihre
kulturbedingte Scheu, bewegen sich wie in Trance, berühren sich in
völliger Freiheit, deuten Liebesspiele an, verkörpern das Reine,
Unschuldige. Aus ihrer Mitte schälen sich nach und nach die
Rheintöchter heraus, bevor mit dem Raub des Goldes der verhängnisvolle
Kreislauf von Betrug, Verrat, Mord und Totschlag durch den Besitz des
goldenen, Macht verleihenden Rings beginnt.
"Ein Tand ist's, zum Reife geschmiedet verhilft es zur höchsten Macht":
Andrew Harris (Fasolt), Thomas Blondelle (Loge), Tobias Kehrer (Fafner), Annika Schlicht (Fricka), Jacquelyn Stucker (Freia), Derek Welton (Wotan), Thomas Lehman (Donner) (von links) Das Personal dieses
Vorspiels in mythischen Zeiten zeigt Herheim durchaus sehr heutig: in
Alberich als brutalen Gewaltmenschen, der mit der magischen Macht des
Rings sein Volk tyrannisch beherrscht und es martialisch mit erhobenem
Arm aufmarschieren lässt. In der Gestalt der Götter zeigt er es als
selbst verliebte, teils naive, teils zynische Gesellschaft, denen
Besitzgier und Hedonismus zu Kopf gestiegen sind. Zu Wotans
wahnwitzigen Machtphantasien wird begeistert geklatscht.
Wotan ist hier ein Mann
ohne Eigenschaften, geleitet allein vom Wunsch seine Bedürfnisse zu
erfüllen. Derek Walton verfügt dafür über keine große Stimme, aber im
Spiel und mit flexibler Stimmfärbung gibt er ein überzeugendes
Rollenportrait. Alberich ist mit Markus Brück exzellent besetzt. Die
Regie fordert ihm viel ab, darstellerisch und gesanglich geht er aufs
Ganze, verheddert sich vielleicht deswegen mitunter etwas im Text.
Neben ihm ist Thomas Blondelle als Loge der zweite Glanzpunkt dieser
Produktion. Schon äußerlich (weiß geschminktes Gesicht, knallroter
Mund, schwarze Kappe und Federn am Kopf- ein Kostümzitat aus
Gründgens Faust) gibt er
einen Meister des Lug und Trug in mephistophelischem Format. Perlend
eloquent und im Spiel gefährlich agil ist Blondelles Loge der absolute
Mittelpunkt der Handlung.
Entmythologisiert ist auch
der Bühnenaufbau. Lediglich weiße Tücher bilden die Kulisse,
wechselweise geschickt beleuchtet als Wellen des Rheins, schneebedeckte
Berge oder ein Garten mit Apfelbäumen. Dass allerdings die
Bühnentechnik noch nicht ausgereift ist, zeigte am Schluss ein arg
wackliger Regenbogen, über den die Götter nur zögernd gen Walhall zogen
- eher eine unfreiwillige Vorahnung ihres kommenden Unglücks. Die
vielen Menschen des Anfangs werden nun zu staunenden Augenzeugen
solchen Geschehens.
"Dort das Gewirk, wirf auf den Hort":
Andrew Harris (Fasolt) und Jacquelyn Stucker (Freia) Eine Stärke dieser
Produktion liegt in der subtilen Personenführung, die allen Figuren
markantes Profil gibt. Fricka (präsent dargestellt und gesungen von
Annika Schlicht) ist ebenso zänkisch wie sie scharf auf das Gold ist,
Freia (Jacquelyn Stucker mit jungem, hellen Sopran), permanent in Angst
und Nöten, muss sich schließlich im Korpus des Klaviers mit dem Gold
bedecken lassen. Donner (Thomas Lehman) fuchtelt hilflos mit Pistolen
herum, während Froh (Matthew Newlin) sich einfach nur in Schönheit
gefällt. Judit Kutasi gibt eine ruhige und sachlich gelassene Erda.
FAZIT Dieses Rheingold macht nach der Walküre des letzten Jahres Lust darauf, welch kreative Ideen Stefan Herheim noch so für die beiden folgenden Teile entwickeln wird. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühne Bühne Kostüme Licht Video-Design Dramaturgie
SolistenWotan
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E-Mail: oper@omm.de