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Ein Operetten-Feldzug
Von Roberto Becker / Fotos von Monika Rittershaus
Über die akustischen Folgen, die die Verlegung des Orchesters der Komischen Oper in die Tiefe der Hinterbühne hatte, lässt sich trefflich streiten. Das Gute an dieser ersten Premiere mit Publikum im Haus an der Behrenstraße nach dem jüngsten Lockdown ist aber, dass es sich überprüfen lässt. Man ist nicht mehr auf die Qualität der heimischen Empfangstechnik angewiesen, wie bei den Online-Premieren der letzten Monate. In der Mitte des zweiten Rangs jedenfalls kamen die Stimmen durchweg gut hörbar an, wenn auch nicht immer mit der besten Textverständlichkeit. Das fiel mehr ins Gewicht als sonst, da man diesmal auf Untertitlungsanlage des Hauses verzichtet hatte.
Ein spritziges Operetten-Feuerwerk mit dem besonderen Glamour- und Federboaeffekt, wie es sonst an dem Haus seit Barrie Kosky hier das Sagen hat, geboten wird, war im Falle von Johann Strauss' Zigeunerbaron ohnehin nicht das Hauptziel des Abends. Darauf deutete schon der Eingriff in den Titel hin. Der war so, wie er aus der Erbmasse des 19. Jahrhunderts auf uns gekommen ist, mit titelinternen Anführungszeichen versehen: Der "Zigeuner"baron. Die Aktivisten der großen Sprachkorrektur würden das Wort "Zigeuner" ja am liebsten gänzlich aus unserem Wortschatz verbannen; aus Operettentiteln und einzelnen Nummern, als Teil des Schnitzels von den Speisekarten und überall da, wo er sonst noch auftaucht. Sinti-und-Roma Schnitzel geht aber genauso wenig wie sich ein Sinti-und-Roma-Baron mit dem bürgerlichen (bzw. kaiserlich-königlichen) Operettennamen Sándor Barinkay in Einklang bringen lässt. An der Lage der real in den Innenstädten gestrandeten Sinti und Roma aus Rumänien oder Bulgarien und an den Problemen, die sich daraus mit den Bewohnern der Städte ergeben, ändert der Sprachkorrektureifer genau so wenig wie das Gendern an den Defiziten in der Gleichberechtigung der Geschlechter. In der jüngsten Inszenierung der Gräfin Mariza, mit der online die schmuck aufgemöbelte Musikalische Komödie in Leipzig wieder eröffnet wurde, machte man aus dem berühmten "Komm, Zigan, spiel mir ein Lied" einfach den "Freund", der fideln sollte. Womit auch noch der positive Teil des Klischees beseitigt wurde …
Im Programmheft zu der auf seinen Wunsch zustande gekommenen Berliner Inszenierung bekennt sich Regisseur Tobias Kratzer klar dazu, nicht am Vokabular fiktionaler Gestalten herumzu erbieten. Natürlich muss man sich dazu verhalten und damit auseinandersetzen, wenn es historisch belastet ist. Der Dramaturg verheddert sich allerdings im Programmheft dann aber doch, wenn er beim Blick auf die historische Situation der Völkerschaften in der k.u.k. Monarchie zwar von Einwohner*innen, Rumän*innen, Serb*innen, Ungar*innen, Roma*Romanija, Juden*Jüdinnen spricht, die Deutschen aber ganz altmodisch und verständlich als Plural des Deutschen als die Deutschen vorkommen lässt. Und eben nicht als die Deutsch*innen. Wenn man das ernst nähme, dann wären besagte Deutsche etwas Besonderes, die Ausnahme. Oder einfach nur der Beleg dafür, dass sich da Sprachkorrektur schon längst verrannt hat?
Kratzer wäre aber nicht Kratzer, wenn ihm nicht etwas Gescheites für den Umgang mit dem Titel eingefallen wäre, das über diverse Straffungen und die Gänsefüßchenzugabe beim "Zigeuner"baron hinausginge. Der Regisseur macht in dem insgesamt keineswegs nur reaktionären Plot den bekennenden Reaktionär, den Grafen Peter Homonay, zu einem Spielführer, der zum Schein mit dem Publikum zu paktieren versucht. Gleich zu Beginn bestellt der lässig souveräne Dominik Köninger in derangierter Husarenuniform sich demonstrativ ein Zigeunerschnitzel und mokiert sich darüber, dass man ihm das nehmen wolle. Daraus, dass er den negativen Teil der Klischees über die im Stück "Zigeuner" genannten Fremden verinnerlicht hat, macht Homonay keinen Hehl. Zu der Offenheit, die der aus der Fremde auf seine heruntergekommenen Güter heimkehrende Sándor Barinkay (als langhaariger Draufgänger mit vokaler Verve: Thomas Blondelle) gegenüber den Fremden, die da auf seinen Ländereien campieren, an den Tag legt, geht er offen auf Distanz. Und selbst als alle Kriegsheimkehrer davon berichten, dass die Zigeuner die tapfersten Kämpfer für Kaiser und Reich waren, bleibt er bei seinen Vorbehalten. Der Blick dieses Ewiggestrigen ist sozusagen die Impfung, die das Immunsystem der Zuschauer zuverlässiger mobilisiert, als irgendwelche Gänsefüßchen. Er öffnet den Blick dafür, wer bei Strauss und seinem Librettisten Ignaz Schnitzer die "Guten" sind. Hinzu kommt, dass Saffi (mit durchschlagskräftig opernhaftem Zugriff: Mirka Wagner) selbst die abwertenden Vorbehalte der Mehrheitsgesellschaft gegen diese Fremden zur Sprache bringt und damit sozusagen in den Rahmen des Diskurses setzt. Für ihn sei das Ganze eine "Diskursoperette" sagt Kratzer im Programmheftinterview. Und genau da setzt seine Deutung an. Der überbaute Orchestergraben und die coronakompatible Platzierung des Orchesters unter dem operettenerfahrenen Stefan Soltész am Pult in der Weite der Hinterbühne waren bereits Teil des Ursprungskonzeptes gewesen, hatte Barrie Kosky zu Beginn gesagt. Nur dass die ersten Reihen im Parkett jetzt frei blieben, das ist ein Zugeständnis an die aktuellen Bedingungen. Reserviert waren die eigentlich für die von David Cavelius einstudierten Chöre, die nunmehr gleichsam aus dem Off zu singen hatten und nur zum Schlussapplaus zu sehen waren. Die Spielfläche geht mit einer breiten Freitreppe in den Zuschauerraum über. Auf der Bühne hat Ausstatter Rainer Sellmaier ein architektonisches Zitat aus dem Zuschauerraum der Komischen Oper als Trennwand zum Orchester platziert. In diesem Ambiente zelebriert Kratzer die Geschichte aus der Vergangenheit der k.u.k.-Monarchie. Um den Schweinezüchter Kálmán Zsupán (so kultiviert, dass man ihm den Fleischgroßproduzenten, aber nicht den Analphabeten abnimmt: Philipp Meierhöfer) samt Tochter Arsena (Alma Sadé) und Erzieherin Mirabelle (ganz die souveräne Gouvernante: Helene Schneidermann) und deren Sohn Ottokar (Julian Habermann), um den Heimkehrer Barinkay und um Saffi und deren Mutter Czipra (Katharina von Bülow).
Die neben der Fledermaus und der Nacht in Venedig populärste der Strauss-Operetten wurde 1885 zwar im Theater an der Wien uraufgeführt, war aber zeitweise für die Hofoper konzipiert. Was man ihr durchaus noch anmerkt. Kratzer nimmt sie jedenfalls fast als Oper. Daher wirkt die Ernsthaftigkeit, mit der Probleme von Ausgrenzung und Integration ebenso behandelt werden wie die Traumata, die der Krieg bei den Soldaten hinterlässt, keineswegs aufgesetzt, sondern durchaus stringent und im Schulterschluss mit der Musik entwickelt. So ziehen nicht nur die Protagonisten allesamt in den Krieg, sondern auch das Orchester und sein Dirigent ziehen Uniformen über und verschwinden. Auch die Art, wie sie ihre Uniform nach ihrer Rückkehr vom Feldzug wieder ausziehen und wegwerfen, ist ein Statement. So wie Zsupáns Bericht von seinen Kriegserlebnissen zu einer packenden antimilitaristischen Szene wird. Das Eindampfen der Vorlage auf knapp zwei pausenlose Stunden und die Konzentration auf die Beziehungskonstellationen der Protagonisten kommen Soltesz und Kratzer einer sozusagen höheren Wahrheit im Stück deutlich näher, als es einem Ausstattungsevent mit Folkloretreibsatz wohl möglich gewesen wäre.
Mit diesem neuen "Zigeuner"baron gibt es endlich wieder Operette an der Komischen Oper - aber anders als mancher erwartet hat, vor allem als Plädoyer für den Diskursgehalt einer nicht unproblematischen Geschichte. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Videodesign
Licht
Chöre
Dramaturgie
Solisten
Graf Peter Homonay
Sándor Barinkay
Kálmán Zsupán, ein reicher Schweinezüchter
Arsena, seine Tochter
Mirabella, ihre Erzieherin
Ottokar, ihr Sohn
Saffi
Czipra
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