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Streifzug durch die Operette mit Rahmenhandlung Von
Thomas Molke /
Fotos: © Sarah Jonek "Ja, das Studium der Weiber ist schwer": von links: Ollendorf (Frank Dolphin Wong), Balduin (Daniel Pataky), Camille (Lorin Wey) und Henri (Caio Monteiro) Der Titel greift eine sehr bekannte Zeile aus Danilos Auftrittslied in Franz Lehárs Die lustige Witwe auf, welche man heute eher in der umgangssprachlichen Fassung "Dann geh' ich ins Maxim" kennt. Hinter Maxim verbirgt sich der Name eines berühmten Restaurants in der Rue Royale in Paris, das 1893 von dem Kellner Maxime Gaillard eröffnet wurde und viele Jahrzehnte Kultstatus besaß. Heute ist es teilweise ein Museum. Regisseur Nick Westbrock nutzt dieses Etablissement als Rahmen für eine Collage und lässt dort zahlreiche Operettenfiguren auftreten, die dem Kellner Maxim ihr Herz in Liebesdingen ausschütten und dabei einen Streifzug quer durch die Wiener Operette von Carl Millöcker über Richard Heuberger und Johann Strauss (Sohn) bis hin zu Franz Lehár machen. Da trifft man auf die lebenslustige Valencienne (Cornelie Isenbürger), die sich in ihrer Ehe mit dem um Jahre älteren Baron Mirko Zeta langweilt und daher mit dem jugendlichen Tenor Camille de Rossillon (Lorin Wey) flirtet. Hortense (Veronika Lee), die vorwitzige Kammerzofe aus Heubergers Der Opernball, lockt hier den von ihr geliebten Marinekadett Henri (Caio Monteiro) ins "Chambre séparée". Gabriele (Dušica Bijelić) und ihr Gatte Balduin Graf Zedlau machen für die Probleme in ihrer Ehe das Wiener Blut verantwortlich, und Oberst Ollendorf (Frank Dolphin Wong) beklagt seine barsche Zurückweisung durch die schöne Laura, die er doch "nur auf die Schulter geküsst" habe. Maxim (Simon Heinle) kommentiert die ganzen Probleme mit Texten, die der Regisseur Nick Westbrock, die Dramaturgin Anne Christine Oppermann und der musikalische Leiter Gregor Rot geschrieben haben und aus der eigentlichen Operetten-Revue eine Collage unter dem Motto "Novellen der Liebe" machen. Maxim (Simon Heinle, im Hintergrund) lauscht dem Liebesleid seiner Gäste (hier: Daniel Pataky). Maxim (Simon Heinle) tritt dabei als androgyne Mischung aus Faun und Liebesgott Amor auf, der mit den anderen Figuren allerdings nicht in direkten Kontakt tritt - schließlich befinden wir uns ja in einer Pandemie, in der auch die Kneipen und Restaurants geschlossen sind -, sondern sie eher wie Marionetten von einer musikalischen Nummer zur nächsten führt. Dabei kommentiert er die verschiedenen Probleme der Liebe und zeigt, dass die gute Operette gar nicht so "altbacken" ist, wie ihr immer vorgeworfen wird. So lässt sich schon damals in den verschiedenen Paarkonstellationen nicht eindeutig zuordnen, wer im Liebesspiel die Katze und wer die Maus ist. Unterstützt werden seine Kommentare und die erzählten Geschichten von Projektionen, für die Sabrina Anastasia Treptow verantwortlich zeichnet, deren Entwicklungen aber bei einer Live-Aufführung sicherlich noch präsenter gewesen wären, da die Kameraeinstellungen nicht immer in der Totale bleiben und somit der Bezug zwischen der Projektion und dem Geschehen auf der Bühne verloren geht. Ausstatterin Ann-Sophie Paar hat mehrere Bilderrahmen konzipiert, denen die einzelnen Figuren in klassischen Operettenkostümen gewissermaßen entsteigen. Die Bielefelder Philharmoniker unter der musikalischen Leitung von Gregor Rot sind auf der Bühne hinter den Sänger*innen positioniert, was wahrscheinlich größere Abstände als im Orchestergraben ermöglicht. Valencienne (Cornelie Isenbürger) fragt: "Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?" Die Sängerinnen und Sänger bekommen zwar einen Namen aus einer Operette zugeteilt, singen allerdings nicht nur Stücke der jeweiligen Rolle. Besonders gut gelingt die Charakterzeichnung bei Cornelie Isenbürger, die als einzige der drei Sängerinnen auch Hosen trägt, um anzudeuten, wer in dieser Beziehung das Heft in der Hand hat. Bei ihrem ersten Auftritt kommt sie als Valencienne gemeinsam mit Lorin Wey als Camille scheinbar aus dem "Chambre séparée", wo sich die beiden vergnügt und ihrer Kleider entledigt haben, um dem Verehrer dann leicht kokett zu verkünden, dass sie doch eine anständige Frau sei. Sehr selbstbewusst schließt sie dann eine Frage an, die nicht aus Lehárs Operette, sondern aus Oscar Straus Eine Frau weiß, was sie will stammt: "Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?" Diese Frage würde man auch Valencienne aus der lustigen Witwe abnehmen. Isenbürger überzeugt mit selbstbewusstem Spiel und großer Textverständlichkeit. Sehr gut schließt sich hier Frank Dolphin Wong als Oberst Ollendorf an, der sich darüber aufregt, dass sein Werben brüsk zurückgewiesen worden und er dabei regelrecht blamiert worden ist. Die Projektionen von Treptow zeigen dabei einen Mann mit einem Mäusekopf und eine Frau, deren Efeuranken im Haar sich wie Schlangen bewegen. Seine Laura könnte hier ebenfalls Valencienne sein. Gabriele (Dušica Bijelić) ist verliebt. In anderen Szenen sind die Zuordnungen der Personen allerdings nicht so eindeutig nachvollziehbar. Während Veronika Lee als Hortense im Konzertwalzer op. 410 von Johann Strauss (Sohn) noch "Frühlingsstimmen" hört, die sie vielleicht dazu verleiten, ihren Henri später ins "Chambre séparée" von Heubergers Opernball einzuladen, wird nicht klar, wieso Caio Monteiro (Henri) im Anschluss mit Aktenordnern als Danilo zu Maxim gehen will. Auch bei Gabrieles (Dušica Bijelić) Experimenten in Liebesdingen bleibt fraglich, ob sie wirklich zu der Figur passen, die schließlich zum berühmten "Wiener Blut" wieder zu ihrem Gatten Balduin Graf Zedlau (Daniel Pataky) zurückfindet, nachdem er ihr "Dein ist mein ganzes Herz" bekannt hat. Ist Gabriele wirklich so feurig, dass sie wie Giuditta bekennt: "Meine Lippen, die küssen so heiß" und sich dabei ihres Reifrocks entledigt, um dann gemeinsam mit Ollendorf zu Danilos und Hanna Glawaris "Lippen schweigen" in Sehnsucht zu schwelgen? Stimmlich jedenfalls überzeugt Bijelić mit leuchtendem Sopran. Auch Pataky begeistert bei "Dein ist mein ganzes Herz" mit strahlendem Tenor. Bei Lee würde man sich bei den "Frühlingsstimmen" etwas mehr Textverständlichkeit wünschen, ansonsten lässt ihr heller Sopran keine Wünsche offen. Stimmlich runden Wey, Monteiro und Wong die Ensemble-Leistung sehr rund ab. Auch die Bielefelder Philharmoniker schwelgen unter der Leitung von Gregor Rot in opulenter Operettenseligkeit. Wie es sich für eine "ordentliche" Operette gehört, dürfen natürlich auch die aktuellen Bezüge nicht fehlen. Die präsentiert Heinle als Maxim mit dem mit neuem Text versehenen Couplet "Schwamm drüber" von Oberst Ollendorf aus dem dritten Akt aus Millöckers Bettelstudent. Während es bei Ollendorf in der Operette die Polen sind, von denen man sich nicht unterkriegen lassen darf, ist es jetzt die Corona-Pandemie, die mit immer neuen Einschränkungen die Geduld der Menschen an ihre Grenzen treibt. Aber Heinles "Schwamm drüber" betrachtet die gesamte Situation mit einem gewissen Augenzwinkern. Die letzte Strophe, in der er die schleppende Impfkampagne aufs Korn nimmt, liest er vom Blatt ab, scheinbar um zu unterstreichen, dass diese Meldung gerade erst hereingekommen ist. Den Abschluss macht dann ein Lied von Emmerich Kálmán aus Die Csárdásfürstin, das schon damals in einer schweren Lage Mut machen sollte, auch wenn der Erste Weltkrieg sicherlich nicht mit der derzeitigen Pandemie vergleichbar ist: "Jai, Mamám, Bruderherz, ich kauf' mir die Welt". Hier treten noch einmal alle Akteure auf. Wieso der Abend damit nicht endet, erschließt sich nicht. Es wäre eigentlich ein fulminanter Schluss gewesen, der durch den anschließenden unbekannten "Csárdás" aus Johann Strauss' (Sohn) Ritter Pásmán ein bisschen an Schwung verliert. FAZIT Das Bielefelder Ensemble beweist große Spielfreude bei
einem Abend, der durch die wunderbare Welt der Operette führt, und macht
deutlich, was wir im Moment besonders vermissen. |
Produktionsteam Musikalische Leitung Inszenierung Ausstattung Video Licht Dramaturgie
Bielefelder Philharmoniker
SolistenMaxim Gabriele Hortense Balduin Graf Zedlau, Camille Ollendorf Henri
Weitere Informationen |
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http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de
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