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Psychogramm eines traurigen Ritters
Von Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then
Ist das nicht die falsche Musik? Dieser Abend, der den ersten Aufzug von Tristan und Isolde ankündigt, beginnt mit dem Vorspiel zum dritten Akt, nur ein paar Takten allerdings, dann erklingt vom Englischhorn (großartig: Andreas Boege) die "alte Weise", das ausgedehnte Solo vom Beginn dieses dritten Aufzugs, mit dem Wagner musikalisch genial die frühkindlichen Traumata seines Helden chiffriert: Verlust von Vater und Mutter (und dann aufgewachsen in einer Welt mit den Idealen des Ritter- und Heldentums, weniger der Liebe). Eberhard Kloke, der die musikalische Bearbeitung der Oper verantwortet, möchte einen Rahmen schaffen, in den er diesen ersten, isoliert gespielten Aufzug des Werkes stellt, denn das war eine der Vorgaben der Rheinoper, als diese im Mai 2020 diese Fassung in Auftrag gab: Nur ein Akt pro Abend, der Pandemie wegen, die keine Veranstaltungen mit Pause in Aussicht stellte. Nun ist Kloke, in der Rhein-Ruhr-Region ja noch bestens bekannt als wagemutiger und entdeckungsfreudiger Chefdirigent der Bochumer Sinfoniker (1988 - 94), nicht einfach ein Arrangeur, der aus der Not heraus den Orchesterapparat auf hygienekonzepttaugliche Größe reduziert. Er hat etwas ganz Eigenes geschaffen, eine selbstbewusste Interpretation der Partitur. Dazu gehört das akustische Signal des Beginns: Man soll diesen Tristan vor dem Hintergrund der "alten Weise" hören, im Wissen um die Vergangenheit. Den Mythos befragen? Tristan (Michael Weinius) vor dem Vorhang
Plausibel ist der Gedanke schon, gleichzeitig auch ein Schwachpunkt, denn Kloke bringt sich und das Publikum dadurch um den magischen Moment des aus dem Nichts aufklingenden Vorspiels, diese ungeheure, unlösbare Fragechiffre, die fast sofort in den berühmten "Tristan-Akkord" mündet. Aber davon abgesehen ist ihm eine Großtat gelungen. Er stellt dem Orchester ein Quintett gegenüber, Streichquartett plus Englischhorn, auf der Bühne sitzend, und dieses Quintett steht für Tristans Vergangenheit (dem Programmheft ist zu entnehmen, dass die Rolle von Aufzug zu Aufzug variierend ist). Ganz pragmatisch ist das eine gezielte Erweiterung des Klangraums, und auch wenn beim ersten Hören nicht immer klar wird, welche dramaturgische Funktion die Aufsplittung des Klangs gerade hat: Die Wirkung ist faszinierend, zumal das verkleinerte Hauptorchester keineswegs wie eine Notlösung klingt, sondern mit Transparenz, aber auch Wucht einen schlanken, dramatisch-lebendigen Tristan ermöglicht. Und GMD Axel Kober am Pult der guten Düsseldorfer Symphoniker erzeugt vom ersten Moment an eine sehnsüchtig träumende, vibrierende Atmosphäre, spannungsgeladen und im großen Bogen gedacht. Nein, man vermisst nichts in dieser Version, und man gewinnt vieles, wenn man sich auf das Konzept einlässt. In Wartestellung: Isolde (Linda Watson, rechts) und Brangäne (Sarah Ferede)
Wenn die Musik die Handlung derart offen tiefenpsychologisch deutet, hat das natürlich Konsequenzen für die Inszenierung, und sei es nur, dass diese mit dem Quintett auf der Bühne umgehen muss, ein eigener Protagonist sozusagen. Regisseur Dorian Dreher war in die Konzeption einbezogen, und er stellt, soweit das nach einem Aufzug zu erkennen ist, den Mythos und dessen psychologische Funktion ins Zentrum. Eine unsichtbare Stimme rezitiert zu Beginn aus der Orestie des Aischylos, die Wörter "Mythos" und "Drama" werden auf den Vorhang projiziert. Wichtiger ist freilich, dass Dreher zwar mit den modernen Anzügen von Tristan und Kurwenal (Kostüme: Ronja Reinhardt) und der Andeutung eines modernen Schiffes (Bühne: Heike Scheele) auf die Gegenwart verweist, die Geschichte ansonsten aber detailgetreu erzählt: Isolde und Brangäne sind Prinzessin und Begleiterin aus "sagenhafter" Zeit, es gibt einen mit Gold und Edelsteinen verzierten Schmuckkasten für die Gifttränke und einen Pokal, aus dem der Liebestrank getrunken wird. Und nach etlichen Tristan-Inszenierungen auf hochmodernen Kreuzfahrt- oder Frachtschiffen oder Yachten wirkt dieser fast altmodische Ansatz beinahe befreiend. Tristan und Isolde im Begriff, den vermeintlichen Todestrank zu sich zu nehmen. Brangäne schaut von oben zu.
Die Rheinoper hat sich entschlossen, die Titelpartien mit Linda Watson und Michael Weinius zu besetzen, also sehr erfahrenen Wagner-Sängern. Weinius brilliert mit kraftvollem, strahlendem Tenor, glanzvoll in den Ausbrüchen. Eine gewisse Kurzatmigkeit zeigen ja fast alle Tristan-Darsteller im ersten Aufzug, da macht Weinius keine Ausnahme. Linda Watson, inzwischen 61 Jahre alt, imponiert mit einer durch und durch souveränen Isolde, hochdramatisch und präsent, aber auch in den leisen Passagen von leuchtender Intensität - auf mich wirkt sie dabei um einiges jugendlicher als bei ihrer Brünnhilde im letzten Düsseldorfer Ring. Vokal also ein hochkarätiges Solistenpaar. Für das musikalisch-szenische Konzept wäre es freilich spannend, die Partien anders zu besetzen, mit einem spielfreudigeren, vielleicht auch etwas leichteren Stimmen. Die gerade bei diesen beiden sehr pauschale und kaum ausdifferenzierte Personenregie (mehr als ein paar Standardgesten, die man in jeder Produktion unterbringen kann, sieht man von Watson und Weinius eigentlich nicht) ist sicher ein Schwachpunkt des Abends. Die attraktive, viel jüngere Sarah Ferede (optisch wäre sie, zumal wie eine fremdländische Prinzessin gekleidet, die ideale Isolde) als beachtlich singende Brangäne, die noch ein wenig in die Partie hineinwachsen muss, und der trompetenhaft schlagkräftige Richard Sveda als Kurwenal passen besser ins Konzept. Der Vollständigkeit halber: Andrés Sulbarán singt ganz ordentlich den jungen Seemann, und der Herrenchor der Deutschen Oper am Rhein bewältigt seinen Part zuverlässig. Die königlichen Fanfaren erklingen von der Bühne: Ankunft bei König Marke
Am Ende dann Ovationen für alle Beteiligten: Es ist, obwohl nur knapp ein Viertel der Plätze besetzt sind, mehr lässt die Pandemie noch nicht zu, fast wie früher nach großen Wagner-Abenden. Keine Frage, die Rheinoper meldet sich auch in Sachen große Oper eindrucksvoll zurück. Nur ist ein Tristan, aufgeteilt auf drei Tage, eben auch eine logistische Herausforderung für die Zuhörer: Drei aufeinander folgende freie Abende hat auch der Verfasser dieser Zeilen nicht, zumal ja auch andere Theater wieder spannende Stücke spielen. Daher setzen wir den Bericht von dieser Produktion im Herbst fort, wenn sie an einem Abend aufgeführt werden soll.
Ein kurzer, aber großartiger Wagner-Abend. Die aufregende Fassung von Eberhard Kloke erweist sich keineswegs als Notlösung, sondern als faszinierende Deutung des Werkes. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Tristan
Isolde
Brangäne
Kurwenal
Ein junger Seemann
Stimme im Entrée
Englischhorn
Streichquartett auf der Bühne
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