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Wenn die Frage schon die Antwort ist
Von Joachim Lange / Fotos © Semperoper Dresden / Ludwig Olah "Frau Gräfin, das Souper ist serviert." Mit dieser banalen Mitteilung zur Tagesordnung im Schloss ruft der Haushofmeister die Hausherrin aus ihrem melancholischen Sinnieren über den Gang der Zeiten und die Winkelzüge der Liebe sozusagen zurück ins Leben. Und sie geht weit nach hinten ab, da wo sich das Rondell der Bühne geöffnet hat und es optisch kühl und winterlich in den Dresdner Frühling hinein weht. Nach langer Live-Abstinenz müssen die nur im Halbdutzend geladenen Zuschauer im (akustisch vorzüglichen) zweiten Rang erst einmal durchatmen, um nach einem wahrlichen Strauss-Hochamt wieder zur Besinnung zu kommen. Von dem Coup, den die Sächsische Staatsregierung als Dessert zu diesem Souper noch in petto hatte, ahnte in diesem Moment noch niemand etwas. Chefdirigent Christian Thielemann und der Intendant Peter Theiler (in dem Falle eine Reihenfolge, die dem kulturpolitisch realen Gewicht der Personalien entspricht) werden ab 2024 nicht mehr auf ihrem Posten sein …) Der Streit um den Vorrang von Wort oder Musik währt ewig bis ins Rentenalter (Daniel Behle, Georg Zeppenfeld, Nikolay Borchev)
Doch zunächst zur Kunst: Ganz gleich, was ab Pfingsten aus der Semperoper heraus-, vor allem aber auf den heimischen Bildschirmen ankommt - der individuelle Wohnzimmervorbehalt und das landesweite Digitalisierungsdilemma spielen bis auf weiteres bei jedem Opernstream mit. Die zugrunde liegende Aufführung in der Semperoper jedenfalls war eine Strauss-Sternstunde! Sie bot auch unter den herrschenden Ausnahmebedingungen genau das, was man von diesem Haus zu Recht erwarten darf: einen Richard Strauss auf Weltniveau. Nach diesen berauschenden mehr als zwei Opernstunden mit direktem Blick auf Bühne und in den Graben weiß man wieder, warum die Sächsische Staatskapelle nicht nur mit Blick auf ihre Geschichte, sondern auch gegenwärtig als das Strauss-Orchester schlechthin gelten darf. Und auch, warum Christian Thielemann nach wie vor genau der richtige Sachwalter dieser so spätromantisch opulenten wie auch delikat transparenten Klangwelten ist. Die Schauspielerin und der Graf hinter den Kulissen (Christa Mayer, Nikolay Borchev)
Die Dresdner Musiker saßen in der angemessenen Kopfstärke, ausreichend getestet und jeder mit eigenem Pult versehen für ihre Zaubereien, beieinander und waren ganz bei sich selbst und ihrem Komponistenhausgeist aus dem vorigen Jahrhundert. Sie spielten in der entrückten Perfektion, wegen der man gerne nach Dresden fährt. Dazu ein Ensemble, das man gegenwärtig höchstens anders, aber kaum besser zusammenbringen könnte. Von der Gräfin und ihrem Bruder an der Spitze bis zum Haushofmeister und der Dienerschaft am anderen Ende der gesellschaftlichen Pyramide. Camilla Nylund braucht nur etwas Anlauf, um in die geradezu entrückte Hochform zu kommen, mit der sie dann im wahrsten Wortsinn im Mittelpunkt des Finales steht. Ganz so, als wäre ihre Figur eine legitime Nachfahrin der melancholisch philosophierenden Feldmarschallin aus dem Rosenkavalier. Theater im Schloss ….. (Camilla Nylund, Christa Mayer, mit Musikern und Tänzern)
Das Libretto für dieses Konversationsstück geht noch auf eine Anregung von Stefan Zweig zurück, verfasst haben es Clemens Krauss und der Komponist höchstselbst. Mitten im Krieg, 1942 war Capriccio das Schlusswort des alten Richard Strauss in Sachen Oper. Dass er darin von dem Dichter Olivier (nobel geschmeidig: Nikolay Borchev) und dem Musiker Flamand (Daniel Behle mit hinreisendem lyrisch kraftvollem Tenorschmelz) mit Inbrunst die alte Frage erörtern lässt, ob die Musik oder das Wort für die Oper wichtiger sei, kann man in seiner eigensinnigen Abwendung von den Zeitläuften durchaus als Statement auffassen. Der theoretische Diskurs ist mit dem Ringen der beiden Männer um die Gunst der kunstliebenden Gräfin verwoben und trägt sich in der Vorlage 1775 auf einem Schloss in der Nähe von Paris zu. Am Ende bleiben sowohl das Entweder-Oder in den Herzensangelegenheiten der Gräfin, als auch jenes für die Theorie zur Oper schwebend offen. Der öffentliche Teil freilich bietet eine Steilvorlage für das leidenschaftliche Verteidigungsplädoyer des Theaterdirektors La Roche. Für solche Exkurse ist Georg Zeppenfeld genau der Richtige. Offenbar war der Gurnemanz im Wiener Parsifal vor kurzem genau die passende Aufwärmübung für dieses eloquente Bekenntnis zum lebendigen Gesamtkunstwerk; eins, das kein bisschen angestaubt wirkt. Die praktische Seite des Theaters hat noch eine zweite Anwältin - bei dieser Luxusbesetzung darf sogar der persönliche Geschmack mitspielen: Die Semperoper hat mit Christa Mayer eine der besten Mezzostimmen überhaupt im Ensemble, sie macht aus jedem Ton der Schauspielerin Clairon ein Extravergnügen. Sie liefert sozusagen das Sahnehäubchen, obwohl sich auch Christoph Pohl als Graf oder der quicklebendige Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Monsieur Taube, noch Tuuli Takala und Beomjin Kim als italienisches Sängerpaar nicht verstecken müssen. Wie unangestrengt bei der Sache und uneitel aufs Ganze bedacht sie allesamt sind, bewährt sich in den großen Ensembleszenen, bei denen niemand unterzugehen droht. Hier scheint tatsächlich jeder auf den anderen zu hören. LSR: Drei Buchstaben Zeitgeist an der Wand hinter Daniel Behle, Nikolay Borchev, Camilla Nylund, Georg Zeppenfeld, Christa Mayer, Christoph Pohl, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Wenn also die Frage nach dem Primat von Musik oder Wort schwebend offen bleibt, ist die Frage nach dem Vorrang von musikalischer Seite und Inszenierung diesmal ziemlich eindeutig zu beantworten. Und zwar über das Maß hinaus, das an szenischer Schlüssigkeit bei musikalischer Referenzqualität möglich wäre. Während Musik und Gesang geradezu explodieren, ist bei der intellektuellen Substanz der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog das Gegenteil der Fall. Wobei der Rahmen, den Mathis Neidhardt mit seinem beweglichen Bühnenrund und Sibylle Gädeke vor allem mit ihren Kostümen für die Gräfin einige Akzente setzen. Wenn das Bühnenrund geschlossen ist und die Musik sozusagen kammermusikalisch plaudernd ihre Gedanken sammelt, sieht man, wie sich drei Rentner aus der uns nahen Vergangenheit zum Plausch auf einer Bank treffen, um einen offensichtlich Jahrzehnte währenden Streit weiter zu pflegen. Hinter einem einsamen Fenster (eine Kopie der Sixtinischen Madonna von Raffael ist erkennbar) kann man die Fernsehübertragung einer Oper vermuten. Wenn sich diese Wand öffnet, sind wir in einer anderen Epoche: üppig holzgetäfelter Salonwohlstand innen; die drei Buchstaben LSR und ein Pfeil in Richtung des Luftschutzraumes außen. Damit hat es sich dann aber auch schon mit einer Thematisierung der Entstehungszeit, die gerade bei dieser Oper eher geboten scheint als bei andern. Dass die Schauspieler wie Flüchtlinge mit den obligaten Koffern daherkommen und die Gräfin am Ende in einem fiktiven Spiegel sich selbst als alter Frau begegnet, lenkt jedenfalls kaum vom puren Genuss der Musik ab.
Thielemann, seine Staatskapelle und die Protagonisten liefern einen Strauss der Extraklasse. Die szenische Umsetzung enttäuscht in ihrer Unverbindlichkeit. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Die Gräfin
Der Graf, ihr Bruder
Flamand, ein Musiker
Olivier, ein Dichter
La Roche, der Theaterdirektor
Die Schauspielerin Clairon
Monsieur Taupe
Eine italienische Sängerin
Ein italienischer Sänger
Der Haushofmeister
Eine Tänzerin
Die alte Gräfin
Acht Diener
Drei Musiker
Tanzensemble
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