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Dunkles Paradies im Internet Von Thomas Molke / Foto: © Leszek Januszewski
Für einen Zeitraum von drei Jahren hatte der Dortmunder Ballettdirektor Xin Peng Wang gemeinsam mit seinem Chefdramaturgen Christian Baier ein Projekt geplant, das wohl als einzigartig in der Tanzwelt beschrieben werden kann: Dante Alighieris Versepos Divina Commedia als Tanzabend in drei Teilen. Dieses Werk gilt als die bedeutendste Dichtung der italienischen Literatur und hat gleichzeitig die italienische Sprache als Schriftsprache begründet. In drei Büchern beschreibt Dante darin in insgesamt 100 Gesängen all das, was die westliche Vorstellung des Jenseits nachhaltig geprägt hat. Nachdem Wang und Baier 2018 in die Feuerschlünde des Inferno hinabgestiegen sind (siehe auch unsere Rezension) und im November 2019 die Anhöhe des zweiten Teils, Purgatorio, erklommen haben (siehe auch unsere Rezension), sollte in diesem Jahr, dem 700. Todesjahr Dantes, schließlich der Blick ins Paradiso geworfen werden. Doch die anhaltenden Einschränkungen für die Kultur durch die immer noch wütende Covid-19-Pandemie, durchkreuzten die hehren Pläne der Dortmunder Ballettsparte, die zumindest im Oktober 2020 noch mit dem Live-Abend Abstand auftrumpfen konnte (siehe auch unsere Rezension). So hat man sich entschieden, die Uraufführung in dieser Spielzeit zumindest digital herauszubringen. In der übernächsten Spielzeit, in der Wang sein 20-jähriges Jubiläum am Theater Dortmund feiert, sollen dann alle drei Teile zu einem großen Abend mit zwei Pausen vereint werden. Dante (Javier Cacheiro Alemán) und Beatrice (Daria Suzi) auf dem Weg ins Paradiso Dantes Paradiso besteht aus 33 Gesängen, in denen Beatrice Dante, nachdem er das Fegefeuer überwunden hat, durch die neun himmlischen Sphären des Paradieses führt, bis er schließlich vor dem dreieinigen christlichen Gott steht. In einem Erkenntnisblitz versteht er das Geheimnis der Menschwerdung Gottes und wird von göttlicher Liebe erfüllt. Die himmlischen Sphären, die er dabei durchschreitet, sind konzentrisch wie im aristotelischen und ptolemäischen Weltbild aufgebaut und stellen den Mond, Merkur, Venus, die Sonne, Mars, Jupiter, Saturn, die Fixsterne und das Primum Mobile dar. Während bei den ersten drei Stationen noch Schwächen bei der Tapferkeit, Gerechtigkeit und Mäßigung zu erkennen sind, geht es über die vierte Kardinaltugend, die Weisheit, zu positiven Beispielen der drei genannten Tugenden bis hin zu den drei theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. Dante trifft auf diesem Weg zahlreiche berühmte Heilige der christlichen Kirche, wie Thomas von Aquin, Petrus und Johannes und unterhält sich mit ihnen. Xin Peng Wang und Christian Baier beschränken sich in ihrer Lesart für den Tanzabend allerdings auf Dante (Javier Cacheiro Alemán) und Beatrice (Daria Suzi). Die anderen Figuren lassen sich im Corps de Ballet nicht zuordnen. Die Musik für diesen Tanzabend stammt von der Formation 48nord, die 1998 von dem Rockmusiker, Komponisten und Elektroniker Ulrich Müller und dem im November 2020 verstorbenen Bassisten, Komponisten und Elektroniker Siegfried Rössert gegründet wurde und sich vor allem durch elektronische Klangräume auszeichnet. Seit 2013 gehört auch der Schlagzeuger und Komponist Patrick Schimanski zu diesem Kollektiv. Müller und Rössert haben für den Ballettabend Klänge zusammengestellt, die in verschiedene akustische Sphären führen sollen. So wird Dantes Weg durch die unterschiedlichen Regionen musikalisch mit abstrakten Klangfarben untermalt, die mal für das Brausen der Sonnenwinde stehen, dann das Rauschen von vorbeiziehenden Kometen andeuten, das Blinken weit entfernter Sterne einfangen oder bisweilen wie ein Herzschlag klingen, der das Weltall in Bewegung hält. Ein anderes Mal glaubt man, ein heftiges, schweres Atmen zu hören oder die Geräusche einer Lungenmaschine auf einer Intensivstation. Der Klang bleibt so abstrakt wie die Bilder, die Wangs Choreographie bietet. Am Anfang sieht man Dante in einem weißen Hemd und einer weißen Hose inmitten von acht Tänzer*innen, die sich zu vier Paaren formen. Die Tänzer*innen sind alle hell gekleidet. Mit den hellen Mustern auf ihren Kostümen erinnern sie teilweise an Figuren aus den "Körperwelten". Dante wirkt inmitten dieser Paare ein wenig verloren, bis plötzlich Beatrice in einem weißen Kleid mit einem weißen Schleier auftritt. Langsam nähern sich die beiden aneinander an, zunächst noch sehr vorsichtig. Dann kann ihre gemeinsame Reise beginnen. Bei den einzelnen Sphären, die nun angedeutet werden, sind vor allem die Lichteffekte von Carlo Cerri hervorzuheben, die mal einen Lichtkreis, dann nur einen Ring auf der Bühne andeuten, später auch die Tänzer*innen wie engelhafte Lichtquellen auf einer nahezu dunklen Bühne erscheinen lassen. Häufig gibt es bei diesem Stream Videoschnitte auf einzelne Personen auf der Bühne. An den Totaleinstellungen merkt man jedoch, dass Wang diesen Abend für ein Live-Publikum und nicht für einen Stream gedacht hat, weil gerade in der Totale die ganz besonders eindrucksvollen Bilder entstehen. Die Nahaufnahmen zerstören da schon beinahe diesen Gesamteindruck. Zwischen einem von der Decke herabfahrenden Ring aus Scheinwerfern, befindet sich eine weitere Projektionsfläche, die mal als Spiegel fungiert und die Tänzer*innen auf der Bühne doppelt, dann in geheimnisvollem Grün einen Hauch von Natur in eine sonst sehr düstere Welt bringt und schließlich wie eine Art göttliches Auge auf Dante herabblickt. Das ist zwar sehr eindrucksvoll, für die Vorstellung von Dantes Paradiso aber vielleicht ein bisschen zu dunkel. In Dantes Epos wird eigentlich hervorgehoben, wie es auf dem Weg immer heller wird, bis Dante schließlich direkt vor dem Schöpfer steht. Auf eine sich langsam steigernde Beleuchtung verzichtet Wang aber an diesem Abend. Nur kurz vor dem Schluss hat man das Gefühl, dass ein Strahl die Bühne erhellt, wenn Dante und Beatrice in einem betörenden Pas de Deux zueinander finden. Nun tauchen die anderen Tänzer*innen ebenfalls mit weißen Schleiern aus und wirken wie die Engel, die in fließenden Bewegungen die Ankunft in der letzte Sphäre manifestieren. Im Hintergrund sieht man Dante und Beatrice. Damit endet der Ballettabend. Javier Cacheiro Alemán zeichnet die Hauptfigur Dante mit starkem Ausdruck und kraftvollen Bewegungen. Daria Suzi wirkt als Beatrice sehr filigran und überzeugt durch grazile Bewegungen auf Spitze. Die übrigen Tänzer*innen unterstreichen das hohe Niveau der Dortmunder Compagnie mit eindrucksvollen kleinen Soli, Duetten und Ensembles. Man darf gespannt sein, ob man diesen Tanzabend in der nächsten Spielzeit vielleicht live im Opernhaus erleben darf und die Bilder noch einmal ganz anders auf sich wirken lassen kann. FAZITXin Peng Wang bringt seine Tanztrilogie eindrucksvoll zu Ende, wenn auch leider nur zunächst digital. Vielleicht ist deshalb das Paradies bei ihm auch ein wenig düster geraten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Inszenierung und Choreographie
Bühnenbild und Videodesign
Kostümdesign
Lichtdesign
Konzept, Szenario und Dramaturgie
Tänzerinnen und Tänzer
Dante
Beatrice
Corps de Ballet
Simone Dalè
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