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Gelungener Wiedereinstieg mit Operetteneinakter von Offenbach Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöß Sieben Monate ist es her, dass der letzte Vorhang im Aalto-Theater Essen gefallen ist, und Intendant Hein Mulders gesteht vor der ersten Premiere nach dieser Zeit, dass er es kaum glauben könne, dass es doch noch gelungen sei, den Spielbetrieb vor der Sommerpause mit Publikum wieder aufzunehmen. Zwar ist die Corona-Pandemie noch lange nicht überwunden, und man ist noch weit entfernt von dem, was noch vor zwei Jahren möglich war. Das Platzkontingent ist immer noch stark reduziert. Während der gesamten Vorstellung herrscht Maskenpflicht auch auf den Plätzen, und Zutritt zur Vorstellung erhält man nur mit einem negativen Corona-Test, als Geimpfter oder Genesener, was beim Einlass auch sorgfältig kontrolliert wird. Aber auch diese Auflagen halten das theaterhungrige Publikum nicht von einem Besuch ab, und man spürt die Freude im Saal, endlich wieder eine Veranstaltung live und nicht nur als Video-Stream erleben zu können. In Essen hat man sich für diesen letzten Monat vor der Sommerpause auch noch einiges vorgenommen. So gibt es neben zwei Premieren der Oper und der Ballettsparte mit einigen Folgeveranstaltungen auch noch zahlreiche Konzerte in der Philharmonie. Den Auftakt macht ein Operetteneinakter vom "Schöpfer der Operette": Jacques Offenbach. Herr Blumenkohl (Karl-Heinz Lehner, Mitte) ist von der Beziehung seiner Tochter Helga (Giulia Montanari) zu dem Geiger Hans-André (Dmitry Ivanchey, rechts) nicht begeistert. Offenbach ist heutzutage hauptsächlich noch bekannt durch seine Operetten Orphée aux enfers, La belle Hélène und La Grande-Duchesse de Gérolstein und natürlich Les contes d'Hoffmann, die große Oper, deren Premiere er zu seinen Lebzeiten nicht mehr erleben durfte. Für sein 1855 in Paris eröffnete Théâtre des Bouffes-Parisiens hat er aber auch über 50 komische Einakter komponiert, die er größtenteils vor seinen abendfüllenden Werken schrieb. Am Aalto-Theater hat man sich jetzt für ein Werk entschieden, das 1861, drei Jahre nach seinem weltweiten Erfolg mit Orphée aux enfers, entstand und zunächst in einer privaten Soirée am 31. Mai 1861 in den Salons des Innenministeriums und in Anwesenheit von Napoléon III. gezeigt wurde, bevor es am 14. September mit großem Erfolg im Bouffes-Parisiens Premiere feierte: Monsieur Choufleuri restera chez lui le ... Im deutschsprachigen Raum erlangte das Stück vor allem unter dem Titel Salon Pitzelberger einen gewissen Bekanntheitsgrad. Mönchengladbach hat übrigens im Mai ebenfalls mit diesem Stück den Spielbetrieb vor Publikum wieder aufgenommen. Während man dort aber auf die Wiener Fassung zurückgreift, hat Regisseur Bruno Klimek eine eigene Textfassung erstellt und musikalische Einlagen von Gioachino Rossini und Wolfgang Amadeus Mozart eingefügt. So heißt der Abend hier Auf Ihr Wohl, Herr Blumenkohl!, wobei der Titel zumindest den französischen Namen der Hauptperson (Choufleuri) aufgreift. Rudi Finsterling (Carl Bruchhäuser, links vorne) hat keine große Chance, bei Herrn Blumenkohl (Karl-Heinz Lehner, rechts) Geld einzutreiben (von links nach rechts dazwischen: Hans-Günther (Rainer-Maria Röhr), Helga (Giulia Montanari) und Hans-André (Dmitry Ivanchey)). Während im französischen Original Choufleuri eine Operngala organisiert hat, um die Pariser Gesellschaft zu beeindrucken, ist in der Essener Fassung Blumenkohl nicht zuletzt durch den aufwendigen Lebensstil seiner Tochter Helga (im Original Ernestine) pleite und hofft mit dem Engagement drei namhafter italienischer Opernstars, die hier nach drei renommierten Automarken benannt sind, wieder flüssig zu werden. Mittlerweile rückt ihm ein gewisser Rudi Finsterling (Diese Figur existiert in der französischen Fassung nicht.) als "wandelndes Inkasso-Büro" auf die Pelle, der obendrein auch noch gerne als Sänger bei der Gala auftreten möchte. Wie im französischen Original tauchen die Opernstars nicht auf, und Blumenkohl steht vor der Problem, wie er die abendliche Opernsoiree noch retten soll. Da hat Helga die rettende Idee. Sie schlägt vor, selbst mit ihrem Vater und ihrem heimlichen Verehrer Hans-André, der nicht nur ein mittelloser Geiger, sondern auch noch ein begnadeter Tenor ist, in die Rollen der italienischen Opernstars zu schlüpfen. Dass alle drei kein Italienisch sprechen, soll kein Hindernis darstellen, da die als Sponsoren geladenen Gäste den italienischen Belcanto-Gesang sowieso nicht verstehen. Man müsse halt nur ein bisschen improvisieren. Während im Original die Gäste darauf hereinfallen und Babylas (Hans-André) Choufleuri droht, den Schwindel auffliegen zu lassen, wenn er nicht die Hand Ernestines erhält, durchschauen in Essen die Gäste, allen voran die Opernkenner Herr und Frau Protz-Obersau, das Spiel, so dass sich Blumenkohl, Helga und Hans-André kurzerhand in das Trio "Pasta fresca" verwandeln. So wird der Opernabend doch noch zu einem Erfolg, und als Hans-André sich durch einen Lottogewinn auch noch als alles andere als ein armer Schlucker entpuppt, steht einer Verbindung zwischen ihm und Helga auch von Seiten Blumenkohls nicht mehr im Wege. Improvisation einer italienischen Operngala (vorne von links nach rechts: Helga (Giulia Montanari), Herr Blumenkohl (Karl-Heinz Lehner) und Hans-André (Dmitry Ivanchey), hinten von links nach rechts: Fräulein Schmächtig (Natacha Valladares), Herr Schmächtig (Andreas Baronner), Frau Protz-Obersau (Christina Clark), Herr Protz-Obersau (Albrecht Kludszuweit) und Witwe Ruck (Sabina Wehlte)) Musikalisch haben die Nummern einen für Offenbach typischen Ohrwurmcharakter. Friedrich Haider zaubert mit den Essener Philharmonikern einen frischen und leicht frechen Klang aus dem Graben. Das gilt sowohl für das kecke Auftrittslied der Helga, bei dem Giulia Montanari mit leuchtenden Koloraturen glänzt, als auch das schwungvolle Finale, das auch nach der Vorstellung noch im Ohr bleibt. Interessant ist, dass beide Nummern wahrscheinlich gar nicht von Offenbach selbst, sondern von seinem Librettisten Charles de Morny komponiert worden sind, der im Zusammenhang mit seinen künstlerischen Tätigkeiten immer das Synonym Monsieur de Saint-Rémy verwendete. Dmitry Ivanchey punktet als Helgas Geliebter Hans-André mit tenoralem Schmelz in den Spitzentönen. Da passt es auch, wenn er plötzlich Lehárs "Dein ist mein ganzes Herz" aus dem Land des Lächelns anstimmt. Den großen Opernstar nimmt man ihm im Spiel durchaus ab. Karl-Heinz Lehner gestaltet die Titelfigur Blumenkohl mit großem Spielwitz und dunklem Bass, den er vor allem in der berühmten Arie des Basilio aus Rossinis Il barbiere di Siviglia, "La calunnia è un venticello" zur Geltung bringen kann, wenn er sich bei seinem Diener Hans-Günther über die zahlreichen Absagen der geladenen Sponsoren und der drei Opernstars beschwert und alles auf eine Verleumdungs-Kampagne zurückführt. Wieso er während der Ouvertüre allerdings immer wieder anordnet, den Vorhang zu schließen, weil er gerade im Begriff ist, sich anzukleiden und stets ohne Hose durch das Zimmer läuft, erschließt sich nicht wirklich. Auch die Figur des Rudi Finsterling (Carl Bruchhäuser) hätte man eigentlich nicht gebraucht, da Bruchhäusers Wechselspiel zwischen teils bedrohlichem Mafiosi und verkanntem Künstler ein wenig albern wirkt. Rainer-Maria Röhr gestaltet Blumenkohls eifrigen Diener Hans-Günther mit viel Mitleids-Potenzial. So schmachtet er Helga zwar ständig an, wird von ihr aber immer barsch zurückgewiesen. Auch Blumenkohl scheint, seinen unermüdlichen Einsatz nicht wirklich zu würdigen. Christina Clark und Albrecht Kludszuweit statten das arrogante Ehepaar Protz-Obersau mit großem Spielwitz aus. Die übrigen Figuren, Witwe Ruck, Herr und Fräulein Schmächtig, bleiben hingegen eher blass. Große Komik entfalten Lehner, Montanari und Ivanchey, wenn sie Italienisch improvisieren und ein witziges Kauderwelsch entsteht. Jens Kilian hat einen großen Raum im Stil der 50er Jahre des 20 Jahrhunderts entworfen, das von einem abstrakten Mobile an der Decke dominiert wird. Dass der Raum als Guckkastenbühne angelegt ist, führt bei den weiter am Rand liegenden Plätzen allerdings zu einigen Sichteinschränkungen, was den positiven Gesamtgenuss der Aufführung aber kaum beeinträchtigen kann. So gibt es am Ende für alle Beteiligten großen Applaus, in dem wahrscheinlich auch die Freude mitschwingt, endlich wieder Live-Veranstaltungen im Theater erleben zu dürfen. FAZIT Offenbachs Einakter ist in der Essener Fassung ein unterhaltsames und kurzweiliges Stück, das nicht nur unter Pandemie-Bedingungen gut funktioniert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
Inszenierung Bühne Kostüme Dramaturgie
Essener Philharmoniker
Solisten
Herr Blumenkohl
Helga Hans-André Hans-Günther Rudi Finsterling Herr
Protz-Obersau Frau
Protz-Obersau Witwe Ruck, geb. Ritz Herr Schmächtig Fräulein Schmächtig
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