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Spitzentanz mit Maske Von Thomas Molke / Fotos: © Bettina Stöß Als das Programm der Ballettsparte in Essen für die Spielzeit 2020/2021 veröffentlicht wurde, war Ballettintendant Ben Van Cauwenbergh und allen Beteiligten schon klar, dass diese Spielzeit keine gewöhnliche sein werde. Von daher war für die Vorweihnachtszeit kein Handlungsballettklassiker angesetzt worden, sondern eine Ballettgala in der Hoffnung, diese mit den herrschenden Corona-Regeln leichter umsetzen zu können, da man hierbei auf Petitessen mit kleinerer Besetzung zurückgreifen konnte. Dass auch dieses Vorhaben zunächst nicht realisiert werden durfte und der Spielbetrieb für ganze sieben Monate ab November lahmgelegt wurde, hatte da wohl noch niemand geahnt. Seit Anfang Juni hat das Aalto-Theater nun für einen eingeschränkten Spielbetrieb die Pforten geöffnet, und so kann mit sieben Monaten Verspätung die Ballettgala Tütü mit Schuss doch noch in dieser Spielzeit Premiere feiern. Ein wenig erinnert der Aufbau an den Jubiläumsabend 10 By Ben, der anlässlich Van Cauwenberghs 10-jährigem Jubiläum am Aalto-Theater zur Aufführung kam. Ensemble im großen Finale So gibt es neben neuen Choreographien, die größtenteils alle vom Intendanten höchstpersönlich stammen, auch ein Wiedersehen mit liebgewonnenen Stücken der Vergangenheit. Da darf natürlich ein Auszug aus der "Soirée française" La vie en rose, mit der Van Cauwenbergh als neuer Chef der Ballettsparte 2008 das Essener Publikum im Sturm eroberte, genauso wenig fehlen wie die berühmte Balkonszene aus Romeo und Julia, einem Ballettabend, den Van Cauwenbergh 2014 auf die Musik von Sergej Prokofjew kreierte, und der berühmte Blumenwalzer aus Tschaikowskis Der Nussknacker, der ein Jahr später in einer märchenhaften Choreographie folgte. Wie damals schlüpft Denis Untila in die Rolle des Gilbert Bécaud und macht sich in dem ironischen Chanson "Les bourgeois" von Jacques Brel in schlaksigen Bewegungen über die spießige Gesellschaft lustig. Neu ist dabei, dass der Text des Chansons in einer deutschen Fassung von Klaus Hoffmann eingespielt wird. In der Balkonszene bezaubern Elisa Fraschetti und Ige Cornelis als Julia und Romeo mit betörendem Spitzentanz, und beim Blumenwalzer treten die Tänzerinnen mit Maske auf. Nur so können bei den Ensembles wohl die derzeit gültigen Corona-Regeln umgesetzt werden, und so fremd ist einem (leider) nach über einem Jahr Corona dieser Anblick ja nicht mehr. Butler James (Denis Untila) schlüpft in die Rolle des Gilbert Bécaud. Anders als in einer "normalen" Ballettgala", in der die einzelnen Stücke ohne Zusammenhang aneinandergereiht werden, führt Van Cauwenbergh hier eine Art Rahmenhandlung ein und lässt Denis Untila als Butler James aus dem berühmten Sketch Dinner For One auftreten, an dem die einzelnen Ballettszenen quasi wie Erinnerungsfetzen vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen. Auf der linken Bühnenseite befindet sich eine kleine heimelige Ecke mit einem Sessel und einem riesigen Grammophon, in der James an längst vergangene Zeiten denkt. Davon zeugen einzelne Bilder an der Rückwand, die James wahrscheinlich in jungen Jahren als großen Balletttänzer zeigen. Auch das Fell mit dem großen Tierkopf, über den James mit großer Regelmäßigkeit stolpert, darf nicht fehlen. Miss Sophie tritt allerdings nicht auf. Stattdessen ist der Butler in Diensten des Ballettintendanten, der ihm für diese verspätete Gala der besonderen Art "the same procedure" wie jedes Mal aufgetragen hat. Und so nimmt das Stück seinen Lauf. Wataru Shimizu mit der "etwas anderen Primaballerina" (Moisés León Noriega) in Pas comique Die Gala beginnt mit dem berühmten Walzer aus Aram Chatschaturjans Bühnenmusik zu Maskerade. Bei diesem klassischen Spitzentanz hätte man sich ein bisschen mehr Synchronität im Ensemble gewünscht. Keine Wünsche offen lassen im Anschluss Moisés León Noriega und Mika Yoneyama im Pas de Deux aus Adolphe Adams Le corsaire. Als Sklavin Médora, die von dem Korsaren Conrad, heftig umworben wird, begeistert Yoneyama mit filigranem Tanz, während Noriega mit kraftvollen Sprüngen punktet. Diese klassische Nummer wird im Anschluss mit zwei komischen Nummern gebrochen. Zunächst verwandelt sich Untila als James in Bécaud und macht sich über die spießigen Mitmenschen lustig, bevor er am Ende in den herabgefahrenen Orchestergraben fällt und dann von vier Tänzern in Engelskostümen zu Bobby McFerrins "Don't Worry, Be Happy" wieder emporgetragen wird. Auch auf den zweiten klassischen Block folgen zwei komische Elemente. In Pas comique beweist Moisés León Noriega, dass eine Primaballerina auch ein kräftiger Tänzer sein kann. Da er auch noch wesentlich größer als Wataru Shimizu ist, geben die beiden schon ein sehr witziges Bild ab. Gleiches gilt für Larissa Machado und Dale Rhodes im folgenden Entrechat Suisse. Hier wird ein junges Paar auf der Alm beim Melken einer Kuh gezeigt. Neben der Kuh auf der Bühne gibt es im Hintergrund noch drei Alphörner, die "Auf der Rossweid" anstimmen. Adeline Pastor und Davit Jeyranyan beim Pas de Deux aus Don Quichotte In der Choreographie Percussion, an der neben Van Cauwenbergh auch noch Armen Hakobyan beteiligt ist, werden musikalisch und tänzerisch wesentlich modernere Töne angeschlagen. Die Bühnenelemente mit den eingerahmten Scheiben erinnern an den Ballettabend Moving Colours, den Hakobyan gemeinsam mit Denis Untila 2018 für das Aalto-Ballett auf Musik von Dirk Haubrich kreiert hat. Hier überzeugt das Ensemble mit kraftvollen Sprüngen und zeigt, dass es neben dem klassischen Spitzentanz auch den modernen Ausdruck beherrscht. Es folgt Eine kleine Beschwerde. Hierbei setzt sich Butler James zu Leroy Andersons berühmtem Lied "The Typewriter" an die Schreibmaschine und weckt mit seinem komödiantischem Stil Erinnerungen an den legendären Jerry Lewis. Den Abschluss bilden Adeline Pastor und Davit Jeyranyan mit einem bezaubernden Pas de Deux aus Ludwig Minkus' Ballett Don Quichotte, das Cauwenbergh 2016 in Essen präsentiert hat. Pastor begeistert mit atemberaubenden Pirouetten und akkuratem Spitzentanz und hat in Jeyranyan einen kongenialen Partner. Gewissermaßen als Zugabe präsentiert sich das komplette Ensemble zu "Always Look On the Bright Side of Life", was neben diesem unterhaltsamen Abend einen Funken Hoffnung gibt, dass demnächst auch wieder vor vollem Saal gespielt werden kann. FAZIT Bei dieser Gala dürften vor allem Anhänger des klassischen Spitzentanzes auf ihre Kosten kommen. Die einzelnen Szenen machen einfach nur Spaß. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
*Rezensierte AufführungDinner For One
Choreographie
Musik Besetzung Denis Untila
Choreographie
Musik Besetzung Tänzerinnen und Tänzer des Aalto Ballett Essen
Choreographie
Musik Besetzung
Mika Yoneyama
Choreographie
Musik Besetzung Denis Untila
Choreographie
Musik Besetzung
Matheus Barboza de Jesus
Choreographie
Musik Besetzung
Elisa Fraschetti
Choreographie
Musik Besetzung
Mariya Tyurina
Pas comique
Choreographie
Musik Besetzung
Moisés León Noriega
Choreographie
Musik Besetzung
Larissa Machado
Alphorn
Choreographie
Musik Besetzung Tänzerinnen und Tänzer des Aalto Ballett Essen
Choreographie
Musik Besetzung Denis Untila
Choreographie
Musik Besetzung
Adeline Pastor
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