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Musiktheater
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Avenue Q

Musical
Buch von Jeff Whitty, Übersetzung von Dominik Flaschka (Dialoge) und Roman Riklin (Songtexte)
Musik und Songtexte von Robert Lopez und Jeff Marx

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h (keine Pause)

Kooperation mit dem Landestheater Niederbayern

Digitale Premiere im MiR am 23.05.2021
(rezensierte Aufführung: 30.05.2021)

Homepage

Musiktheater im Revier
(Homepage)

Puppenspiel für Erwachsene

Von Thomas Molke / Fotos:© Björn Hickmann

Noch immer beeinträchtigt die Corona-Pandemie das Kulturleben in erheblichem Maße. Während in einigen Städten die Inzidenzwerte mittlerweile so niedrig sind, dass erstmals seit Anfang November 2020 wieder ein eingeschränkter Spielbetrieb unter strengen Hygiene-Vorschriften vor reduziertem Publikum möglich ist, greift man am Musiktheater im Revier noch auf den Video-Stream zurück und hat von den zahlreichen Produktionen, die der Pandemie zum Opfer gefallen sind, jetzt zumindest das Musical Avenue Q auf die Bühne gebracht, das ursprünglich am 18. April 2021 im Kleinen Haus Premiere feiern sollte, als man noch gehofft hatte, die Pandemie bis dahin überwunden zu haben. Wie im Theater Bielefeld versucht man auch in Gelsenkirchen, die digitale Aufführung einem Live-Erlebnis vergleichbar zu machen, und bietet einen Live-Stream an, der nur in der Zeit der Aufführung abrufbar ist. Diese volle Konzentration auf einen Theaterabend ist man aus dem heimischen Wohnzimmer gar nicht mehr gewohnt. Ein wenig überraschend in Gelsenkirchen ist, dass nach den einzelnen musikalischen Nummern applaudiert wird, wahrscheinlich von Mitarbeiter*innen des Hauses, denn Besucher*innen gibt es ja nicht. So hat man das Gefühl, dass auch die Solist*innen etwas vom Publikum spüren und nicht nur für eine Kamera agieren. Bei der Auswahl des Stückes setzt man mit dem 2003 am Broadway uraufgeführten Musical nicht nur auf ein modernes Genre, sondern verknüpft mit Puppen, die stark an die Sesamstraße oder die Muppet Show erinnern, auf unterhaltsame Art sehr moderne und aktuelle Themen wie Sexualität, Rassismus und Selbstfindung, die nicht nur die Generation zwischen 25 und 40 Jahren beschäftigen. Um ein Kinderstück handelt es sich trotz der niedlich anzusehenden Puppen allerdings nicht.

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Princeton (gespielt von Nicolai Schwab) trifft in der Avenue Q auf Kate Monster (gespielt von Charlotte Katzer).

Ursprünglich hatten der Komponist Robert Lopez und der Jurist Jeff Marx 1999 eine Fernsehserie als eine Art Sesamstraße für Erwachsene geplant. Doch niemand interessierte sich für ihr Projekt, bis die Macher des Musicals Rent auf die Idee aufmerksam wurden, und so entstand ein Werk, das vier Jahre später am Broadway Kult-Charakter bekommen sollte und mit drei Tony Awards (Bestes Musical, Bestes Buch zu einem Musical und Beste Kompositionen) ausgezeichnet wurde. Muppets-Darsteller Rick Lyon kreierte die Puppen, die mit Ausnahme von drei Menschen die Hauptdarsteller des Stückes sind. Die Geschichte spielt in der fiktiven Avenue Q in einem äußeren Bezirk von New York City, in dem sich auch die ärmere Bevölkerung der Stadt ein Zimmer leisten kann. Hier trifft der junge College-Absolvent Princeton auf die naive Praktikantin Kate Monster, die auf der Suche nach einem Mann fürs Leben ist und gerne eine Schule für Monster eröffnen will. Auch der arbeitslose Brian, der als Comedian Karriere machen möchte, dem dazu aber leider die zündenden Pointen fehlen, lebt hier mit seiner Freundin Christmas Eve, einer asiatischen Migrantin, die als Therapeutin verzweifelt auf der Suche nach Klienten ist, deren Kunden aber in der Regel nach einem Besuch nicht wiederkommen. Weitere Bewohner sind die Freunde Rod und Nicky, die ständig Streit miteinander haben, weil Nicky ein absoluter Chaot ist. Dabei ist Rod heimlich in Nicky verliebt, hat allerdings Probleme, sich zu seiner Homosexualität zu bekennen. All diese Figuren sind auf der Suche nach der Erfüllung ihrer Träume und kommen im Finale einem Moment des Glücks ein Stückchen näher.

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Macaulay Culkin (Merten Schroedter) träumt in der Avenue Q von einem besseren Leben.

Neben Brian und Christmas Eve ist auch der Hausmeister in der Avenue Q ein Mensch. Während es sich im US-amerikanischen Original um den ehemaligen Kinderstar Gary Coleman handelt, einen kleinwüchsigen 2010 verstorbenen Afroamerikaner, der in den USA in diversen Comedy-Serien der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrtausends Erfolge feierte, hat man sich bei der deutschen Erstaufführung in Mannheim für den ehemaligen DSDS-Teilnehmer und mittlerweile ebenfalls verstorbenen Daniel Küblböck entschieden. Bei der Produktion in Hagen 2015 wurde aus dieser Figur die ehemalige Abba-Sängerin Agneta, die ihrer längst vergangenen Karriere nachtrauert, was aber bei der anstehenden Re-Union der schwedischen Pop-Gruppe für Regisseur Carsten Kirchmeier ebenfalls nicht geeignet erschien. So kehrt man in der Gelsenkirchener Produktion zu einem US-amerikanischen Kinderstar zurück und lässt die Figur als Macaulay Culkin auftreten, der als "Kevin - Allein zu Haus" große Erfolge feierte. Merten Schroedter verkörpert den ehemaligen Kinderstar, der nach seinen Erfolgen mit Drogenproblemen zu kämpfen hatte, als desillusionierten Mann, der es leid ist, immer mit seinem "Kevin"-Image assoziiert zu werden.

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Rod (gespielt von Nicolai Schwab) sucht Rat bei Christmas Eve (Lanie Sumalinog).

Die restlichen Figuren dieser Straße werden von Puppen verkörpert, wobei die Puppenspieler anders als in der Sesamstraße oder der Muppet Show durchaus auf der Bühne zu sehen sind und dabei mit ihrer Figur zu einer Person verschmelzen. Wie in der Originalversion vorgesehen werden auch in Gelsenkirchen mehrere Puppen von jeweils einer Person gespielt. So übernimmt Nicolai Schwab, der schon 2015 in Hagen als Princeton zu erleben war, erneut diese Figur und spielt gleichzeitig noch den verklemmten Rod, der stark an Bert aus der Sesamstraße erinnert. Dabei gelingt es Schwab, bei beiden Figuren sehr unterschiedliche Akzente setzen, so dass es gar nicht auffällt, dass beide Puppen von dem gleichen Darsteller gespielt werden. Gleiches gilt für Charlotte Katzer, die die gegensätzlichen Rollen Kate Monster und Lucy die Schlampe spielt. Während sie Kate mit einer herrlich verträumten Naivität gestaltet, die von einer besseren Welt mit einer Schule für Monster träumt, zeichnet sie Lucy als verruchte und laszive Frau, der die Männer reihenweise zu Füßen liegen und deren Charme auch Princeton erliegt. Witzig gelingt vor allem die Läuterung am Ende der Figur, wenn sie, von Princetons Glücksmünze auf den Kopf getroffen ihre Bestimmung im Glauben findet. Daniel Jeroma verleiht dem chaotischen Nicky, der stark an Ernie aus der Sesamstraße erinnert, einen zauberhaften Charme und stellt das unkonventionelle Trekkie Monster sehr cool dar. Beide Figuren spielt er zusammen mit Marharyta Pshenitsyna bzw. Seth Tietze, wobei die Darsteller*innen beim gemeinsamen Führen der jeweiligen Puppe mit Mund-Nasen-Bedeckung auftreten, da hierbei ja im Gegensatz zum sonstigen Spiel die Abstände nicht eingehalten werden können. Lanie Sumalinog als Christmas Eve, Sebastian Schiller als Brian und Merten Schroedter als Macaulay Culkin agieren mit diesen Puppen völlig normal, so dass man die übrigen Darsteller*innen kaum bemerkt, sondern wirklich auf die Puppen konzentriert ist.

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Rod (links) ist verliebt in seinen Mitbewohner Nicky (rechts).

Beata Kornatowska hat eine trist wirkende, leicht heruntergekommene Häuserfront entworfen, die dem Charakter der Avenue Q gut entspricht. Einzelne Wände lassen sich hochfahren und gewähren Einblick in Kates bescheiden eingerichtete Wohnung. Ansonsten agieren die Puppen und Darsteller*innen auch häufig an den einzelnen Fenstern der Häuserfront. Im Hintergrund sieht man in dunklem Schwarz eine Skyline, die den Traum der Figuren von New York widerspiegelt. Hier oben befindet sich auch Kate, wenn sie auf dem Empire State Building auf Princeton wartet und dann völlig desillusioniert Princetons Münze herabwirft, die Lucy dann am Kopf trifft und auf die Intensivstation bringt. Auf der linken Seite lässt sich ein alter Schuppen in die Bar verwandeln, in der die Bewohner der Avenue Q dem glamourösen Auftritt Lucys zujubeln. Der Blick in Nickys und Rods Schlafzimmer, das sich hinter einer weiteren Wand befindet, erfolgt aus der Vogelperspektive.

Musikalisch sind die Nummern recht eingängig und amüsant, wobei sie teilweise auch kritische Themen aufgreifen. Doch durch den Puppenmund wirkt es sogar lustig, wenn sich die einzelnen Figuren gegenseitig beschuldigen, ein bisschen rassistisch zu sein. Wenn die Figuren zu Beginn erklären, wie sehr sie ihr Leben in der Avenue Q "ankotzt", dürften sie vielen Menschen in der Pandemie wirklich aus der Seele sprechen. Dagegen gibt es aber ebenfalls sehr warmherzige Songs, wenn beispielsweise Nicky Rod erklärt, dass er auch dann gerne mit ihm befreundet sein möchte, wenn Rod schwul ist, auch wenn Rod diese Vermutung zu diesem Zeitpunkt noch entsetzt von sich weist. Ein musikalischer Höhepunkt des Abends gebührt dem unkonventionellen Trekkie Monster mit seinem Song "Internet is for Porn", wobei die Übersetzung mit dem zweisilbigen "Porno" der Aussage fast ein bisschen die Schlagkraft nimmt. Aber so wird das Publikum in diesem Moment eben genau wie Kate der Illusion beraubt, dass die meisten Menschen das Internet zur Informationsbeschaffung nutzen. So vergehen die zwei Stunden wie im Flug und man hat bei diesem Stream beinahe das Gefühl, doch selbst im Theater zu sitzen.

FAZIT

Diese lustige, freche Inszenierung hilft ein wenig, über den "Corona-Blues" hinwegzukommen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Heribert Feckler

Regie
Carsten Kirchmeier

Choreographie
Frank Wöhrmann

Ausstattung
Beata Kornatowska

Puppen
Birger Laube

Licht
Patrick Fuchs

Dramaturgie
Anna Chernomordik

 

Mitglieder der
Neuen Philharmonie Westfalen

MiR Puppentheater

 

Solisten

*rezensierte Aufführung

Princeton / Rod
Nicolai Schwab

Kate Monster / Lucy die Schlampe
Charlotte Katzer

Brian
Sebastian Schiller

Christmas Eve
Lanie Sumalinog

Macaulay Culkin
Robin Reitsma /
*Merten Schroedter

Lavinia Semmelmöse / Bullshitbär /
Puppenspiel für Lucy die Schlampe
Gloria Iberl-Thieme

Puppenspiel für Kate Monster, Lucy die Schlampe, Nicky und weitere Rollen
Tina Podstawa /
*Marharyta Pshenitsyna

Nicky / Trekkie Monster / Bullshitbär
Daniel Jeroma

Neuankömmling / Puppenspiel für Princeton, Rod, Trekkie Monster und weitere Rollen
Seth Tietze

 

 


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