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Notre-Dame de Paris

Tanzabend von Giuseppe Spota nach Motiven aus Victor Hugos gleichnamigem Roman
Musik von Atmo (Giulio Donati und Simone Donati)

Aufführungsdauer: ca. 1h 20' (keine Pause)

Premiere im Großen Haus im MiR am 18. Juni 2021

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MiR Dance Company Gelsenkirchen
(Homepage)

Frauen-Power in der Notre-Dame

Von Thomas Molke / Fotos:© Bettina Stöß

Victor Hugos Roman Notre-Dame de Paris, in der deutschen Übersetzung Der Glöckner von Notre-Dame, zählt zu den großen Klassikern des 19. Jahrhunderts und erfreut sich nicht zuletzt durch die legendäre Verfilmung von 1956 mit Anthony Quinn als Quasimodo und Gina Lollobrigida als Esmeralda, durch den erfolgreichen Disney-Trickfilm aus dem Jahr 1996 und die drei Jahre später darauf aufbauende Musical-Version auch heute noch großer Bekanntheit und Beliebtheit. Auch die Tanzsparte hatte diesen Stoff schon früh für sich entdeckt. Unter dem Titel La Esmeralda schufen der italienische Komponist Cesare Pugni und der Choreograph Jules Perrot bereits 1844 ein Ballett, das später von keinem geringeren als Marius Petipa überarbeitet wurde. Nun hat sich auch Ballettdirektor Giuseppe Spota mit diesem Thema auseinandergesetzt und präsentiert den ursprünglich für Januar geplanten Tanzabend noch kurz vor der Sommerpause im Großen Haus.

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Esmeralda (Genevieve O'Keeffe) wird von allen begehrt.

Dabei strebt Spota aber nicht danach, den Roman als großes Handlungsballett auf die Bühne zu bringen, sondern konzentriert sich auf einzelne Motive. Wie schon bei dem Ballettabend Momo in der vergangenen Spielzeit steuert auch hier das Duo Atmo die Musik bei. Hinter Atmo verbergen sich der Tänzer Simone Donati, der in der Produktion auch die Rolle des Quasimodo übernimmt, und sein Bruder Giulio. Die Musik besteht aus sphärischen Klängen, die kaum greifbar sind und mal ruhig, mal hektisch dahinfließen. Eine melodische Linie ist selten zu erkennen, was auf die Dauer ein wenig anstrengend wird. Dafür findet Spota jedoch eindrucksvolle Bilder, die die einzelnen Figuren sehr vielschichtig darstellen. Insgesamt beschränkt sich Spota auf vier Charaktere des Buches: Quasimodo, den deformierten Glöckner von Notre-Dame, die Zigeunerin Esmeralda, den Geistlichen Frollo und Febo, einen Soldaten, der wie Frollo Esmeralda begehrt, im Gegensatz zu Frollo jedoch von ihr erhört wird, was beinahe zu seinem Tod führt.

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Frollo (Brecht Bovijn, vorne) und Febo (Alessio Moonforte, hinten) buhlen um Esmeralda.

Spota findet für jede dieser Figuren eine sehr individuelle Tanzsprache. Alessio Monforte tritt als Soldat Febo mit sehr abgehackten Bewegungen auf, was seine Nähe zum Militär darstellen soll, wo alles mit Drill und Disziplin abläuft. Er trägt ein golden glänzendes Kostüm, was deutlich macht, wie attraktiv er für Esmeralda ist. Wenn die beiden sich in einem Pas de deux näherkommen, tritt er in einer kurzen schwarzen Hose auf. Mit viel nackter Haut kann so eine Nähe erzeugt werden, die aufgrund der derzeitigen Corona-Bestimmungen anders nicht umsetzbar ist. Wenn er und Esmeralda sich umarmen, haben sie jeweils einen dickeren dunklen Stoff zwischen sich. Brecht Bovijn ist als Würdenträger der Kirche sehr dunkel gekleidet. Seine Ausdrucksform ist eher manipulativ. An der Rampe nimmt er die mit Steinen nachgebaute Ansicht der Notre-Dame auseinander und deutet an, dass er Menschen zerstören kann. Bisweilen thront er auf einem Bühnenelement, das emporgefahren wird und seine Macht demonstriert. Mit großen Schaumstoffplatten versucht er, Quasimodo unterwürfig zu machen. Doch Quasimodo setzt sich zur Wehr und begräbt am Ende Frollo unter diesen Platten.

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Quasimodo (Simone Donati)

Die Deformation Quasimodos wird durch zwei flexible silbrige Röhren ausgedrückt, die sich an Arme oder Beine anschließen können oder einen Körper wie eine Art Schlange in einen Würgegriff nehmen können. Simone Donati tritt als Quasimodo mit diesen beiden riesigen Röhren zunächst an den Armen auf und scheint, sie gar nicht beherrschen zu können, sondern von diesen überlangen Armen selbst beherrscht zu werden. Im weiteren Verlauf wird aber deutlich, dass diese Röhren gar nicht Teil von Quasimodo sind, sondern ihm nur von Frollo auferlegt sind. So sieht Quasimodo in seinem silbernen Kostüm genauso "perfekt" wie Febo aus, wenn er aus einem Turm das Liebesspiel zwischen Esmeralda und Febo von oben beobachtet. Eine Röhre wird im Anschluss von Frollo benutzt, um seinen Rivalen Febo auszuschalten. Er stülpt ihm das Röhre über den Kopf, und Monforte begeistert mit einem verzweifelten Kampf, um sich von dieser Last zu befreien. Als es ihm gelingt, ist ihm klar, dass er für diesen Preis nicht bei Esmeralda bleiben will. Doch Quasimodo ist da anders. Er stellt sich den Röhren, nimmt sie als Teil seines Körpers an, vernichtet Frollo, und windet die Röhren am Ende schützend um Esmeralda.

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Quasimodo (Simone Donati) schützt Esmeralda (Genevieve O'Keeffe).

Esmeralda ist die zentrale Figur in Spotas Deutung. Genevieve O'Keeffe zeichnet die freiheitsliebende und emanzipierte Zigeunerin mit großem Selbstbewusstsein. Zwar zeigt sie weibliche Schwäche, wenn sie Febos Charme erliegt, zerbricht aber nicht an der Tatsache, dass er sie im Anschluss verlässt. Sie akzeptiert Quasimodo von Anfang an so, wie er ist, und findet am Ende Schutz in seinen verlängerten Armen. Ihr zur Seite hat Spota vier Speech-Girls gestellt, die mal das Geschehen kommentieren, mal mit den anderen Figuren agieren oder zu Teilen des Bühnenbilds werden. So stellen sie beispielsweise in einer Szene die Wasserspeier auf den Zinnen der Kathedrale dar. Konstantina Chatzistavrou, Marie-Louise Hertog, Emily Anne Nicolaou und Eunji Yang unterstützen O'Keeffe mit gewaltiger Frauenpower, auch wenn die von ihnen gesprochenen Texte leider meist schlecht verständlich bleiben. Hier wären Übertitel vielleicht hilfreich gewesen, wenn man auf den Text großen Wert gelegt hätte. Das Premieren-Publikum belohnt die MiR Dance Company und ihren Direktor mit großem Applaus.

FAZIT

Auch wenn es sich bei Spotas Notre-Dame de Paris nicht, wie vielleicht der Titel erwarten lässt, um ein klassischen Handlungsballett handelt, findet der Gelsenkirchener Ballettdirektor eindrucksvolle Bilder und eine ausdrucksstarke moderne Tanzsprache, um eine packende Geschichte zu erzählen.


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Produktionsteam

Inszenierung, Choreographie,
Bühne und Kostüme
Giuseppe Spota

Mitarbeit Kostüme
Karin Gottschalk

Licht
Patrick Fuchs

Dramaturgie
Olaf Roth

 

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Esmeralda
*Genevieve O'Keeffe /
Eunji Yang

Frollo
*Brecht Bovijn /
Simone Frederick Scacchetti

Febo
Pablo Navarro Muñoz /
*Alessio Monforte

Quasimodo
*Simone Donati /
Yu-Chi Chen

Speech Girls
Konstantina Chatzistavrou
Marie-Louise Hertog
Emily Anne Nicolaou
Chiara Rontini /
*Eunji Yang


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