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"Tot denn alles! Alles tot!"
Von Bernd Stopka / Fotos von Wilfried Hösl Tristan
und Isolde
gehören zu den
berühmtesten
Liebenden der
Welt, doch was
bleibt, wenn
man ihnen die
bezwingende
Leidenschaft
füreinander
entzieht und
ihnen den Mut
nimmt, sich
mit aller
Energie in
ihre
übermächtige
Liebe zu
stürzen, die
zu leben
aussichtslos
erscheint,
ohne die sie
aber nicht
mehr leben
können oder
wollen und
deshalb lieber
im Tod
miteinander
verschmelzen
möchten? Ist
diese
unbedingte
Liebe nicht
das große
Faszinosum,
ihre
Unlebbarkeit
die große
Tragik?
Regisseur Krzysztof Warlikowski inszeniert Wagners genialstes Werk als Festspielpremiere der Münchner Opernfestspiele 2021 und als vorletzte Neuproduktion der Ära Nikolaus Bachler an der Bayerischen Staatsoper, während derer Warlikowski mit den eigenwilligen Sichtweisen seiner Interpretationen ebenso begeistern wie abschrecken konnte. Ein
junger Seemann (Manuel Günther), Brangäne (Okka
von der Damerau)
Er hat auch Tristan und Isolde hinterfragt, wie immer mit persönlichen Assoziationen durchleuchtet und seine Ergebnisse mit vielerlei Projektionen verdeutlicht. Er traut dieser ganzen Liebe nicht und sieht in Tristan und Isolde zwei Todessehnsüchtige, die sich vor allem als solche begegnen. Die aussichtslose Beziehung wird Mittel zum Zweck, Anlass und Grund sich der Gegenwart zu entziehen. Sie tragen den Tod von Anfang an in besonderer Weise in sich. Das ist nachvollziehbar: Tristans Leben wurde durch den Tod seiner Eltern bezahlt („Da er mich zeugt’ und starb, sie sterbend mich gebar.“) und im Zweikampf mit Morold wurde er fast tödlich verwundet. Nur durch Isoldes außergewöhnliche Heilkunst konnte sein Leben gerettet werden. Isolde hatte ihre besondere Begegnung mit dem Tod, als sie den schwerverletzten Krieger, der ihren Verlobten Morold im Kampf erschlug, gesund pflegte und sich in ihn verliebte. Nun begegnet sie ihm wieder, als Mann, der sie, die irische Königstochter, als Friedenspfand Cornwalls König Marke als Braut zuführt. Isolde als rachedurstige, bis zum eigenen Tod verzweifelte Figur ist bis zum Liebestrank kein neuer, aber ein guter Gedanke. Tristan als unsicheren, schüchternen und von Selbstzweifeln geplagten Verlierer kann man sich in der obskuren Anfangssituation auch noch vorstellen. Aber der Trank, der beide enthemmt, weil sie glauben, dass sie ohnehin gleich an diesem vermeintlichen Todestrank sterben und der sie dann alle Kontrolle verlieren lässt, stürzt sie doch zunächst in eine maßlose, unkontrollierte Liebesleidenschaft. In dieser Inszenierung bietet Brangäne ihnen verschiedene Tränke an. So lange es nicht der Todestrank ist, ist es egal, was sie da trinken, die Enthemmung ist ausschlaggebend, wie Thomas Mann es schon überzeugend ausgeführt hat. Wichtig ist, dass sie etwas trinken – und das tun sie mit Inbrunst. Wenig überzeugend ist dagegen Warlikowskis Konzept, die Todessehnsucht nicht als Folge, sondern als Ursache darzustellen. Da fehlt das Substanzielle, das Besondere, das fesselnd Zerreißende, das wirklich Tragische. Und nebenbei bemerkt: ein Tristan „ohne Anfassen oder mit Anfassen“ ist ein Jahrzehnte altes Inszenierungsunterscheidungsmerkmal fleißiger Opernbesucher. Der Krieg, eher eine Nachkriegszeit, ist ein weiteres Element, das die Regie betont wissen möchte, indem sie Brangäne zwischendurch zur Rotkreuzschwester werden lässt, die dem jungen Seemann die verletzten Augen neu verbindet. Der erscheint wie eine seltsame, gekrönte Mischung aus verschiedenen Kämpferfiguren.
Eine
intensiv
gearbeitete,
auf die Musik
bezogene
Personenregie
fesselt im
ersten Akt bis
zur
Trank-Szene,
danach bedient
sie das
Konzept
verdeutlichend,
auch wenn
dieses als
solches nicht
überzeugen
kann.
Spannend, wie
Isolde Tristan
vor dem Trank
drängt, ihr in
den
Königsmantel
zu helfen und
ihr eine Kette
umzulegen.
Faszinierend,
wie nach dem
Trinken eine
zunächst
farblose
Tapetenprojektion
farbig und
plastisch wird
und der Raum
von unten mit
Wasser
überflutet zu
werden
scheint.
Widerlich, wie
Marke, der
schon am Ende
des ersten
Aktes
auftritt, sich
zunächst von
seinem alten
Faktotum oder
Kammerdiener
oder Butler
oder sonst
einer
unnötigen
Figur die
Mannschaft
vorstellen
lässt und dann
erst Isolde
eine
Sektschale
reicht, seine
Braut heimlich
mustert und
Tristan kaum
beachtet.
Zusätzlich fügt die Regie zwei weitere Handlungsebenen ein: Während Isolde im zweiten Akt auf Tristan wartet und kindisch mit dem Lichtschalter spielt, wird im Hintergrund die gleiche Situation an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit projiziert: Isolde durchschreitet im Trenchcoat einen geradezu endlosen Hotelflur, betritt ein Zimmer und wartet angezogen auf dem Bett liegend auf ihre Verabredung. Während Tristan und Isolde auf der Bühne ihr Liebesduett auf zwei schweren (englischen) Chesterfield Sesseln sitzend singen – jeder für sich, ohne den anderen weiter zu beachten, nur in einem Moment die Hände vergeblich zueinander ausstreckend – kommt Tristan erst sehr spät ins Hotel, weiß nicht, was er will und soll, und traut sich nicht, die Socken vor Isolde auszuziehen… Angezogen sitzen sie auf dem Bett, fast ohne Berührung, dann legen sie sich Händchen haltend auf Abstand hin. Eine andere Kameraeinstellung gibt den Blick auf zwei Tablettenröllchen (tödliche Dosis) zwischen ihnen frei und das Bett wird von aufsteigendem Wasser überflutet. Auf der Bühne haben sich Tristan und Isolde indes die Ärmel hochgekrempelt und bereiten Injektionen vor (sicher tödliche), die Markes Faktotum ihnen abnimmt. Kurz bevor sich Tristan in Melots Schwert stürzt, gibt es die einzige, kurze, aber innige Umarmung und einen zarten Kuss, den Tristan auf Isoldes Stirn setzt. Tristan (Jonas Kaufmann, vorn), Kurwenal (Wolfgang Koch), Statist
Die
dritte Ebene
ist eine nicht
wirklich
nachvollziehbare.
Schon während
des Vorspiels
trat ein Paar
seltsam
puppenartiger
Gestalten mit
künstlichen
Köpfen und
toten (!)
Augen auf. Am
Ende des
zweiten Aktes
reichen sie
Tristan und
Melot die
Schwerter, im
dritten liegt
einer auf der
Liege, während
ein anderer
der
Englischhornistin
das Pultlicht
anschaltet und
neun andere,
eher Kinder,
mit Tristan an
einem langen
Tisch sitzen.
Eine Szene,
die an
Leonardos
Abendmahl
erinnert. Alle
tragen die
gleichen
blauen
Seidenumhänge
wie der junge
Seemann/Krieger
im ersten Akt.
Tristans Wunde
blutet im
Laufe des
Aktes sehr
effektvoll
weiter – sein
weißes Hemd
immer stärker
tränkend. Dann
legt sich
Tristan auf
die Liege und
der andere
setzt sich an
den Tisch,
dann wechseln
sie wieder,
während sich
Kurwenal auf
einem der
Sessel fläzt
und irgendwen
ansingt… Die
Regie im
dritten Akt
driftet ins
Groteske ab.
Am Ende sitzen
die
Nebendarsteller
auf Stühlen,
stehen zum
Singen auf und
brechen dann
verkrampft
sterbend
zusammen.
Marke legt auf
Tristan und
Isolde je eine
Calla (die
klassische
Totenblume).
Dann wird die
Projektionsfläche
heruntergelassen
und Isolde
singt ihren
Liebestod
allein neben
dem toten
Tristan
zunächst
spektakulär
ohne
Projektion,
doch dann
taucht das
Bett mit den
zunächst
wächsern
wirkenden
Toten auf, die
nun aber
wieder farbig
und lebendig
werden und
sich, wenn
auch auf
Abstand, selig
anlächeln. Ein
Bild, das
vieles sagen
und bedeuten
kann. Wie und
was auch
immer.
Für Bühnenbild und (aktuelle, üppige) Kostüme zeichnet Małgorzata Szczęśniak verantwortlich. Das Einheitsbühnenbild zeigte einen holzvertäfelten Raum mit je zwei großen Öffnungen rechts, links und hinten. In den hinteren hängt je eine Rehtrophäe. Die Schädel schauen dezent zärtlich zueinander und versinnbildlichen das Schicksal Tristans und Isoldens, zwei Jagdopfer, zwei Tote (!). Vorn links steht eine Glasvitrine, die Gift und Mutterns Tränke enthält, vorn rechts ein chaiselongueartiges Ruhebett mit einem teppichähnlichen Überhang, der als Reminiszenz an Wagners Regieanweisung zu Isoldes Schiffsgemach dienen kann: „reich mit Teppichen behangen“. Der Raum ist die Kopie eines Pariser Ausstellungsraumes aus den 1920er Jahren, der Warlikowski erklärtermaßen an die Lobby der Titanic erinnert. Deren Luxuspassagiere hätten sich über diese Dürftigkeit wohl aber mindestens gewundert. Nun, zumindest ist damit das Schiff angedeutet, auf dem wir uns im ersten Akt befinden sollten, eine Assoziation zu etwas Gigantischem. Die Projektion, in der das Bett der beiden überflutet wird, ist ein Zitat aus dem „Titanic“-Film aus dem Jahr 1997, der einerseits eine unmögliche Liebesgeschichte untergehen lässt und andererseits das Schicksal von Isidor und Ida Straus in die Assoziationskiste wirft, die lieber zusammen sterben wollten, als getrennt zu werden und dort – allerdings eng umarmt – auf ihrem Bett in den Fluten des Atlantiks untergehen. Ob man Kinofilme in dieser Weise in Opernproduktionen einbindet, ist wohl eine Geschmackssache. hinten: Ein Hirte (Dean
Power), Statist, Kurwenal
(Wolfgang Koch), Marke (Mika
Kares), Brangäne (Okka von der
Damerau), Melot (Sean Michael
Plumb); vorn: Tristan (Jonas
Kaufmann), Isolde (Anja
Harteros)
Die
Leidenschaften,
die die Regie
verweigert,
lässt Kirill
Petrenko mit
dem
Bayerischen
Staatsorchester
umso heftiger
toben. Der
ehemalige
Münchner GMD
wird vom
Publikum heiß
und innig
geliebt. Und
das mit allem
Recht, was
dieser Abend
wieder einmal
beweist. FAZIT Beachtliche, aber noch ausbaufähige Rollendebüts in den Titelpartien, eine hinreißende Brangäne und ein Dirigat zum Niederknien. Die Regie betont den Tod und vernachlässigt die Liebe, was zu einem Ungleichgewicht führt, das auch auf Kosten der Vielschichtigkeit, des Geheimnisvollen, des Faszinierenden, des Leidenschaftlichen – des Überirdischen dieses Werkes geht.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung
Chor der Bayerischen Staatsoper
Solisten Tristan König Marke Isolde Kurwenal Melot Brangäne Ein Hirte Ein Steuermann Ein junger Seemann
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