Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Liebeswirren in der BarockoperVon Thomas Molke / Fotos: © Wil van IerselSeit einigen Jahren stellt das Theater Aachen im Rahmen der Reihe "Akzent Barock!" Barockopern auf historischen Instrumenten auf den Spielplan. Nach La Calisto von Francesco Cavalli (siehe auch unsere Rezension) steht nun mit dem gleichen Inszenierungs-Team ein Werk von Antonio Cesti auf dem Programm: L'Orontea. Cesti ist heutzutage vor allem noch durch den gleichnamigen Gesangswettbewerb in Innsbruck ein Begriff, der jährlich im Rahmen der Festwochen der Alten Musik stattfindet und bereits vielen jungen Barockkünstler*innen als Sprungbrett für eine internationale Karriere gedient hat. In der Mitte des 17. Jahrhunderts galt Cesti als führender Opernkomponist Italiens nach Monteverdi, so dass der Erzherzog von Tirol, Ferdinand Karl, ihn Anfang der 1650er Jahre nach Tirol lockte, um in Innsbruck ein Ensemble aufzubauen, das sich mit anderen Fürstenhöfen messen konnte. In dieser Tiroler Zeit gelangte 1656 Cestis L'Orontea zur Uraufführung und avancierte zu einer der beliebtesten Opern des 17. Jahrhunderts, die auf zahlreichen italienischen Bühnen nachgespielt wurde, bis sie schließlich für Jahrhunderte in den Archiven verschwand und erst im Zuge der Monteverdi-Renaissance im 20. Jahrhundert wiederentdeckt wurde. Die erste Aufführung der Neuzeit 1961 an der Piccola Scala Mailand mit Teresa Berganza in der Titelpartie konnte noch keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Erst René Jacobs verhalf dem Werk mit einer Neuproduktion im Rahmen der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 1982 zu einem Comeback, dem auch eine CD-Einspielung folgte. Doch trotz weiterer Produktionen, zu nennen sind hier das Internationale Opernstudio der Hamburgischen Staatsoper im Juli 2014 (siehe auch unsere Rezension), eine weitere Inszenierung in Innsbruck im gleichen Jahr im Rahmen des Akademie-Projektes BAROCKOPER:JUNG und die Oper Frankfurt im Februar 2015 unter der musikalischen Leitung von Ivor Bolton (siehe auch unsere Rezension), stellt das Werk immer noch eine absolute Rarität dar. Das kann natürlich auch ein Fluch für ein Haus wie Aachen sein. Wegen einer Corona-Welle im Ensemble konnte die ursprünglich für den 5. Februar angesetzte Premiere nicht stattfinden, da man für die einzelnen erkrankten Partien keinen Ersatz fand. So wurde die ursprünglich als dritte Aufführung geplante Vorstellung zur Premiere, bei der zumindest alle Solistinnen und Solisten wieder fit waren, das Regie-Team aus gesundheitlichen Gründen jedoch immer noch nicht wieder antreten konnte. Orontea (Fanny Lustaud) will ledig bleiben. Die Handlung spielt an einem fiktiven ägyptischen Königshof zu Beginn unserer Zeitrechnung und weist die für die Barockoper typischen Liebesverwicklungen auf. Orontea, die Königin von Ägypten, hat der Liebe abgeschworen. Das ändert sich jedoch schlagartig, als der Maler Alidoro mit seiner Mutter Aristea am ägyptischen Königshof Schutz vor Arnea, der Königin von Phönizien, sucht, die dem jungen Mann nach dem Leben trachtet, da er ihre Liebe zurückgewiesen hat. Orontea verliebt sich sofort in ihn, obwohl sie weiß, dass er nicht standesgemäß für sie ist. Doch auch ihre Hofdame Silandra interessiert sich für den Neuankömmling und gibt daher ihrem Geliebten Corindo einen Korb. Dieser fordert daraufhin Alidoro zum Duell heraus. Als dritte im Bunde kommt noch Oronteas ehemalige Vertraute Giacinta ins Spiel, die während des Krieges an den phönizischen Königshof entführt worden und dort als Mann verkleidet unter dem Namen Ismero in den Dienst der phönizischen Königin getreten ist. Sie soll nun im Auftrag der phönizischen Königin Alidoro töten, verliebt sich aber ebenfalls in ihn, während Alidoros Mutter Aristea dem vermeintlichen Ismero Avancen macht. Die Verwicklungen werden schließlich durch den Hofphilosophen Creonte aufgelöst, als man bei Alidoro ein Medaillon findet, das ihn als verschollenen Prinzen von Phönizien und damit Arneas Bruder ausweist, der einst von Piraten entführt und von Aristea, der Frau des Piratenhauptmanns, als eigenes Kind aufgezogen worden ist. Nun steht einer standesgemäßen Verbindung zwischen Orontea und Alidoro nichts mehr im Weg, und auch Silandra versöhnt sich wieder mit ihrem Geliebten Corindo. Silandra (Yewon Kim) lässt sich von Alidoro (Thomas Scott-Cowell) portraitieren. Auch wenn die Geschichte eigentlich in der Antike spielt, betrachtet das Regie-Team um Ludger Engels die Handlung als relativ zeitlos und vergleicht sie mit einer Art heutiger Seifenoper. Von daher wird ein recht moderner Ansatz gewählt. Die beiden im Prolog auftretenden allegorischen Figuren, Filosofia und Amore, werden als Spielleiterinnen und Kommentatorinnen mit je zwei Tänzer*innen aufgewertet und treten auch im weiteren Verlauf des Stückes immer wieder auf, während die Tänzer*innen das Bühnenbild umstellen oder neue Requisiten herbeischaffen. Für die Charakterisierung der allegorischen Figuren wählt Kostümbildner Raphael Jacobs die Farben Schwarz und Weiß. Während die strenge Filosofia (Juliana Curcio mit sattem Mezzosopran) in ihrem schwarzen Kostüm recht hart wirkt, erscheint Amore (Eva Diederix mit fließendem Sopran) in ihrem langen weißen Kleid, das mit roten Buchstaben spiegelverkehrt Wörter wie "Emotion" und "Irrational" zeigt, als passender Gegenpol und trägt am Ende mit den beiden glücklichen Paaren den Sieg davon. Die übrigen Figuren des Stücks sind gewissermaßen Spielbälle in der Hand der allegorischen Figuren. Jacobs hat jeder Figur eine eigene Farbe in einem eng anliegenden Trikot mit langen Handschuhen zugewiesen. Die wechselnden Kostüme, die sie im Verlauf des Stückes darüber tragen, erschließen sich jedoch genauso wenig wie die Farbzuteilungen zu den einzelnen Charakteren. Hinzu kommt, dass die Kostüme uneinheitlich und gewissermaßen bunt zusammengewürfelt wirken. Ensemble auf der Flucht? (von links: Creonte (Alexander Kalina), Giacinta (Larisa Akbari), Corindo (Léo Fernique), Silandra (Yewon Kim), Alidoro (Thomas Scott-Cowell), Aristea (Patricio Arroyo), Orontea (Fanny Lustaud) und Gelone (Sreten Manojlovic), vorne: Christopher Bucknall mit dem Orchester) Gleiches gilt für das Bühnenbild von Ric Schachtebeck. Im Hintergrund befindet sich eine Art silberne Blechwand, an der die Figuren während der Introduktion emporspringen. Bisweilen scheinen sie hier einen Ausgang zu suchen, um dem Verwirrspiel der Gefühle zu entkommen. Die restlichen Bühnenelemente wirken wie die Kostüme relativ beliebig und erschließen sich nicht. Man hat das Gefühl, dass einfach Requisiten verwendet wurden, die man irgendwo noch im Fundus hatte. Als Thron dient ein schäbiger Hocker, der auf ein Podest gestellt wird, auf dem Orontea in einem rosafarbenen Anzug, der sich farblich schrecklich mit der rötlichen Perücke beißt, Platz nimmt. Aus dem Schnürboden wird ein Glaskasten herabgefahren, in den Nebel geblasen wird. Was soll das? Die beiden olivgrünen Sessel mit der schäbigen Stehlampe auf der rechten Bühnenseite wirken absolut aus der Zeit gefallen. Auch die Kerzen, die in unterschiedlicher Zahl auf einem Wagen auf die Bühne gefahren werden und dann von den Figuren ausgeblasen werden, machen genauso wenig Sinn wie die beiden übrigen Wagen, auf denen im Verlauf des Stückes Blumen eingepflanzt werden, oder die Leuchtstoffröhren, die aus dem Schnürboden herabgelassen werden, hinter denen dann plötzlich Gelone auftaucht. Gelone (Sreten Manojlovic, links) kümmert sich um Alidoro (Thomas Scott-Cowell, rechts auf dem Boden liegend). Dennoch funktioniert die Inszenierung gut und ist ausgesprochen kurzweilig, was der großartigen musikalischen Umsetzung, der Spielfreude des Ensembles und einer ausgeklügelten Personenregie zuzuschreiben ist, die den Darsteller*innen einiges abverlangt. So müssen die Sängerinnen und Sänger auch tanzen und machen in der Choreographie von Ken Bridgen eine ausgesprochen gute Figur. Engels gelingt es, das Ensemble so in Szene zu setzen, dass zu keiner Zeit Längen entstehen. Ein geschickter Schachzug ist es dabei sicherlich, die beiden allegorischen Figuren immer wieder auftreten zu lassen. Auch die Betonung des genderfluiden Charakters einzelner Figuren lässt sich durchaus aus der Stückvorlage lesen. Wenn eine Mutter von einem Tenor gesungen wird, ein junger Page von einer Sopranistin, ein trunksüchtiger Diener vom Bariton immer wieder ins Falsett wechselt und sich eine Hofdame als Mann verkleidet, in den sich wiederum eine von einem Mann gespielte Frau verliebt, kann man durchaus von fließenden Geschlechterrollen sprechen. Christopher Bucknall, der schon in Aachen La Calisto mit dem Sinfonieorchester Aachen auf historischen Instrumenten geleitet hat, zeigt im leicht hochgefahrenen Orchestergraben mit relativ kleiner Besetzung, welches Potenzial in Cestis Musik liegt, die nahezu bruchlos von Rezitativen in kurze Arien übergeht und sich dabei stets am Fortgang der Handlung orientiert. So bietet das Spiel des Orchesters mehr als drei Stunden musikalischen Genuss pur, ohne dass Langeweile aufkommt. Auch das Ensemble lässt hierbei keine Wünsche offen. Fanny Lustaud gestaltet die Titelpartie mit herrschaftlichem Mezzosopran und stellt den Wandel der Königin, die zunächst die Liebe ähnlich der Filosofia brüsk von sich weist und sich dann aber unsterblich in den schönen Alidoro verliebt, glaubhaft dar. Besonders intensiv gestaltet sie auch die Eifersucht, mit der sie ihre Hofdame Silandra zurechtweist, die dem Maler ebenfalls Avancen macht. Yewon Kim punktet als Silandra mit mädchenhaft strahlendem Sopran und kokettem Spiel. Thomas Scott-Cowell verfügt als Alidoro über einen weichen Countertenor, der es versteht, die Damen reihenweise einzulullen. Dabei zeichnet er die Figur keineswegs sympathisch. Vom anfangs leidenden Verwundeten entwickelt er sich schnell zu einem selbstgefälligen Künstler, dem es auf dem Thron der Königin allzu gut gefällt, so dass er bei dieser Aussicht die anderen Damen schroff zurückweist. Patricio Arroyo hat als seine vermeintliche Mutter Aristea viel komödiantisches Potenzial und spielt die liebestolle Alte mit viel Charme. Was die Waschmaschine dabei auf der Bühne soll, erschließt sich allerdings nicht. Larisa Akbari punktet als Giacinta, die als verkleideter Ismero ihre liebe Not hat, sich Aristea vom Leibe zu halten, dabei aber auch intensive Gefühle für Alidoro hegt, mit kraftvollem Sopran. Léo Fernique gestaltet den jungen Höfling Corindo mit sanftem Countertenor. Weiterer Star des Abends ist Sreten Manojlovic als trunksüchtiger Gelone, der nicht nur mit den Tänzer*innen in modernen Hip-Hop-Bewegungen punktet, sondern auch stimmlich gekonnt zwischen profundem virilen Bariton und weichlichen Tönen im Falsett changiert. Dabei legt er eine enorme Komik an den Tag. Anne-Aurore Cochet und Alexander Kalina runden als Page Tibrino und Hofphilosoph Creonte das Ensemble überzeugend ab, so dass es für alle Beteiligten großen Beifall und verdienten Jubel gibt. FAZIT Ludger Engels und seinem Regie-Team gelingt mit einem großartigen Ensemble eine kurzweilige Umsetzung dieser teilweise doch sehr verworrenen Barockoper. Diese Rarität sollte man sich in Aachen nicht entgehen lassen. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühne Kostüme Choreographie Licht Dramaturgie
Solistinnen und Solisten*Premierenbesetzung Filosofia Amore Orontea,
Königin von Ägypten Creonte,
Hofphilosoph Tibrino,
junger Page Aristea, vermeintliche Mutter Alidoros Alidoro, junger Maler Gelone, trunksüchtiger Diener Corindo, junger Höfling Silandra, junge Hofdame Giacinta, frühere Hofdame Tänzerinnen und Tänzer
|
- Fine -