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Es stöhnt als stürbe ein MenschVon Stefan Schmöe / Fotos: Wil van Iersel / Theater AachenIst der Mensch frei? Wozzeck ist ein Getriebener. "Es muss was Schönes sein um die Tugend", entgegnet er dem Hauptmann, den er für ein paar Münzen rasiert. So etwas wie Tugend kann er sich als Unterprivilegierter schlichtweg nicht leisten: Das ist das Sozialdrama im Wozzeck. Aber Georg Büchner, auf dessen Dramenfragment Woyzeck das Libretto der Oper basiert, ging der Frage nach der Freiheit auch jenseits des sozialen Standes nach, ließ weder Leonce und Lena ihrem Komödienschicksal noch Danton dem Tod durch die Revolutionsmaschinerie entgehen. Frei wirkt aber auch in dieser Oper niemand. Und Alban Berg? Der komponierte eine Musik, die bis ins kleinste Detail durchstrukturiert ist und beinahe jede Bewegung determiniert. Nichts da mit Freiheit. Erste Szene: Vorne monologisiert der Hauptmann, hinten schreiten Marie und Wozzeck wie Schachfiguren ihre vorbestimmten Wege ab.
Die Theatergruppe Kommando Himmelfahrt (das sind der Komponist Jan Dvorák, der Regisseur Thomas Fiedler und die Dramaturgin Julia Warnemünde), der die Inszenierung anvertraut ist, verdoppelt die meisten Figuren durch lebensgroße, verblüffend lebendig wirkende Puppen. Das bricht den Realismus auf, und es ermöglicht an manchen Stellen eine Distanz, weil sich die Darsteller*innen ihren Puppen annähern und sich mit diesen identifizieren oder eben auch durch Entfernung distanzieren können. Wenn Wozzecks Geliebte Marie sich mit dem feschen Tambourmajor einlässt, dann ist es die Puppe, die den Geschlechtsakt vollzieht, und das zeigt den Zwiespalt und die Zerrissenheit, in der sich Marie befindet. Und Wozzeck tötet am Ende Maries Puppe und nicht die "echte" Marie, was den Fokus hin zum inneren Drama verschiebt. Bei alledem werden die Puppen sparsam eingesetzt, wie die Regie überhaupt auf Ökonomie und Konzentration der Mittel setzt (eine Wohltat nach der im Kitsch überbordenden Düsseldorfer Hérodiade vom Vortag). Kostümbildnerin und Puppenbauerin Kathi Maurer kleidet die realen Menschen in Schwarz (was es ihnen ermöglich, quasi ins Unsichtbare zurückzutreten), die Puppen sind farbig. Die Bühne (Heike Vollmer) kommt mit wenigen, prägnanten Requisiten aus, am naturalistischsten in den Szenen am Teich, an dem Marie sterben wird, fast vollständig abstrahiert in den Szenen mit Hauptmann und Doktor. Wozzeck und Marie mit Puppendoubles und Puppenkind
Dafür sind die Figuren scharf pointiert gezeichnet, allen voran der Hauptmann, den Andreas Joost als abgründige Karikatur eines Offiziers wohl aus altbundesrepublikanischer Zeit gibt. Im Grunde sind seine Gespräche mit Wozzeck ja Monologe, was hier noch unterstrichen wird, indem er in ein Mikrophon spricht - eine absurde Szenerie. Die eigentliche Spannung entsteht aber daraus, dass die Personenregie extrem genau der Musik abgehört ist und dieser folgt und dabei auch Bergs Wechsel zwischen Sprache, Sprechgesang und Gesang konsequent umsetzt. Joost wird als Hauptmann zum brillanten Sprachspieler, und da ihm der erste Teil der ersten Szene gehört, legt er den Charakter der Aufführung nachhaltig fest. Den Doktor geht Caleb Yoo ein wenig gesanglicher an, dabei nicht minder eindrucksvoll; bei Wozzecks Ertrinken ahnt man bei ihm bei allem Zynismus noch eine Spur Menschlichkeit, die dem Hauptmann völlig abgeht. Gerade in der Zeichnung dieser beiden Figuren zeigt Kommando Himmelfahrt eine Genauigkeit im Detail, die vom Sprechtheater herkommt (wo man nichts hinter der Musik verstecken kann). "Immerzu, immerzu": Im Wirtshaus gibt sich Marie - allerdings nur ihr Puppendouble - dem Tambourmajor hin.
Die Musik dazu dirigiert Christopher Ward expressionistisch schroff und aufrüttelnd modern; ein wenig romantischer wird es erst im dritten Akt - aber auch da verorten er und das gute Sinfonieorchester Aachen die Musik eindeutig zukunftsgewandt im 20. Jahrhundert. Das korrespondiert hervorragend mit der hart geschnittenen, mehr analytischen als empathischen Personenregie, die das Drama mitleidlos durchspielt und auf die Kraft von Musik und auch von Büchners Sprache setzt. Die ist, ungeachtet der Übertitel, meist gut zu verstehen. Ein wenig sorgfältiger könnte Irina Popova, deren Marie zunächst etwas unscharf bleibt, mit dem Text (und manchmal auch mit der Intonation) umgehen; im Verlauf der Aufführung gewinnt sie an vokaler Statur - szenisch kann man ihre Affäre mit dem Tambourmajor sowieso als Protest gegen Unfreiheit und Zwang verstehen: Diese Marie ist eine starke Frau. Soon-Wook Ka singt einen draufgängerischen, kraftprotzenden Tambourmajor, Pascal Pittie einen soliden Andres. Marie und Wozzeck am Teich
Und die Titelfigur? Hrólfur Sæmundsson gibt einen großformatigen, donnernden, rauen, polternden Wozzeck. Das Fortissimo müsste er bei aller urwüchsigen Kraft sparsamer dosieren. Und doch ist er wehrlos, lässt sich vom Tambourmajor zusammenschlagen. Wenn der Doktor in der vorletzten Szene bemerkt: "Das stöhnt als stürbe ein Mensch", dann bekommt der Satz eine höhere Bedeutung: In den gesamten etwas mehr als 90 packenden Minuten dieser Aufführung wohnt man ungerührt dem allmählichen Sterben eines Menschen bei - das ist die trost- und fast emotionslose Geschichte, die Inszenierung und Musik erzählen. Dem Hoffnungsschimmer, den das Kommando Himmelfahrt laut Programmheft im dritten Akt heraushört und im Schlussbild mit den Kindern, der nächsten und vielleicht besseren Generation, vorsichtig andeutet, mag man nicht trauen. Die unerbittliche Stringenz des Geschehens hat viel vom Glauben an Freiheit genommen.
Dem Theater Aachen gelingt zum Saisonabschluss ein musikalisch wie szenisch ungemein spannender, unromantisch harter Wozzeck. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Chor
Licht
Dramaturgie
Solisten
Wozzeck
Tambourmajor
Andres
Hauptmann
Doktor
Erster Handwerksbursch
Zweiter Handwerksbursch
Der Narr
Marie
Margret
Maries Knabe
Ein Soldat
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- Fine -