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Rettung der Welt mit ein bisschen Irrsinn Von
Thomas Molke /
Fotos: © Sarah Jonek Der Prospektor (Carlos Horacio Rivas, links) berichtet den Präsidenten (von links: Jens Janke, Cornelie Isenbürger und Alexander von Hugo) und Julien (Michael B. Sattler, dahinter) von den Ölvorkommen unter der Stadt Paris. Die Geschichte spielt in Paris im zentralen Stadtteil Chaillot. Ein Prospektor vermutet, dass sich unter der Stadt Erdöl befindet, und schlägt einem einflussreichen Konzern vor, als neue gewinnbringende Investition für das Firmenkapital, dieses Öl zu fördern und dafür das Café Francis kurzerhand in die Luft zu sprengen. Doch der Assistent Julien bekommt Gewissensbisse und wirft die Bombe in die Seine, um sich anschließend dort selbst zu ertränken. Von einem Wachtmeister gerettet verrät er den Plan des Konzerns. Die selbsternannte Gräfin Aurelia, die von allen liebevoll "Die Irre von Chaillot" genannt wird und aufgrund einer verflossenen Liebe in der Vergangenheit stehengeblieben ist, beschließt, das Café und damit die Stadt zu retten. Gemeinsam mit ihren beiden Freundinnen Gabrielle, der "Irren von Sainte-Sulpice", und Constance, der "Irren von Passy", will sie den Konzernchefs in einer ordentlichen Gerichtsverhandlung den Prozess machen. Denn schließlich müsse ja alles seine rechtmäßige Ordnung haben. Der Abwasserkanal-Mann, der als einziger weiß, was sich wirklich unter der Stadt befindet, übernimmt in diesem Prozess die Rolle der Angeklagten und des Verteidigers und hält ein feuriges Plädoyer, das Aurelia und ihre Freundinnen zunächst in ihrer Entscheidung für einen Schuldspruch zögern lassen. Dennoch wird das Urteil gefällt, und der Abwasserkanal-Mann zeigt Aurelia die geheime Tür in ihrer Kellerwohnung, die hinab in die Tiefe führt. Durch diese Tür lockt Aurelia die Konzernchefs in die unergründlichen Tiefen des Kanals hinab und verschließt sie hinter ihnen für immer, so dass Paris noch einmal gerettet wird. Aurelia (Frederike Haas, 2. von links) will gemeinsam mit ihren Freunden Nina (Rebecca Lorenz, links), dem Kellner (Alexander von Hugo, Mitte), dem Wachtmeister (Jens Janke, daneben stehend), Julien (Michael B. Sattler, sitzend), dem Abwasserkanal-Mann (Dirk Weiler, rechts) und der Stummen (Jennifer Pöll, oben) die Stadt retten. Ähnlich wie Hello, Dolly! und Mame ist auch Dear World auf die weibliche Hauptpartie fokussiert und steht und fällt mit der Besetzung. In Bielefeld hat man mit Frederike Haas nicht nur eine begnadete Sängerdarstellerin, die die Partie mit viel Herzblut und Charme ausfüllt. Haas hat auch gleichzeitig mit Melanie Haupt die deutsche Übersetzung der revidierten Fassung geschaffen, wobei sich Haupt vor allem den Dialogen und Haas den Songtexten gewidmet hat. Herausgekommen ist eine sprachlich pointierte Fassung, die an keiner Stelle sperrig oder das Original verfälschend wirkt. Mit ihrer weißen Blume im Haar und einem Kostüm, das der Mottenkiste des 19. Jahrhunderts zu entstammen scheint, gestaltet Haas die Gräfin mit einem liebevollen Schuss Irrsinn, bei dem niemals ganz klar wird, wie verrückt Aurelia wirklich ist. In ihrem Auftritts-Song "Eine Frau mit Verstand" präsentiert sie sich zupackend und selbstbewusst wie die Heiratsvermittlerin Dolly aus Hermans früherem Musical. Gleiches gilt im Finale des ersten Aktes, wenn sie voller Überzeugung im Song "Ein Einzelner" die Meinung vertritt, dass sie gemeinsam die Konzernchefs besiegen können, weil "eins" die größte Zahl sei. Ganz verletzliche und zarte Momente findet sie im zweiten Akt, wenn sie in einem Tagtraum ihren Erinnerungen an ihren verflossenen Liebhaber Adolphe Bertaut nachhängt ("Und ich war wunderschön"). Da rührt Haas' intensives Spiel regelrecht zu Tränen. Doch sie fängt sich sehr schnell, weil ihr klar wird, dass die anderen sie brauchen. Das betrifft sowohl ihre beiden Freundinnen Gabrielle und Constance, die in ihren Kostümen optisch an Aurelia erinnern und nur in einem anderen Bezirk ihr Dasein fristen, als auch Julien und die junge Kellnerin Nina, deren Geschick Aurelia tatkräftig in die Hand nimmt, damit Nina mit Julien nicht das gleiche passiert, was Aurelia einst mit Adolphe erlebt hat. Aurelia (Frederike Haas, rechts) bittet ihre Freundinnen Gabrielle (Carlos Horacio Rivas, links) und Constance (Cornelie Isenbürger, Mitte) um Unterstützung. Dass der Abend nicht zu einer One-Woman-Show wird, ist der großen Spielfreude des restlichen Ensembles und der ausgeklügelten Personenregie von Thomas Winter zu verdanken. Die Konzernchefs lässt er als drei namenlose Präsidenten auftreten, die in ihren weiß gestreiften Anzügen mit den grauen Haaren, die zu einem Pferdeschwanz gebunden sind, und den schwarzen Aktentaschen quasi nicht zu unterscheiden sind und gewissermaßen eine Front des Bösen bilden. Cornelie Isenbürger, Jens Janke und Alexander von Hugo gestalten diese unsympathischen Herren mit groteskem Spielwitz und viel Körpereinsatz in den punktgenauen Choreographien von Jerôme Knols. Nur Carlos Horacio Rivas hebt sich als fieser Prospektor, der die Präsidenten erst auf die Idee bringt, unter dem Café nach Erdöl zu suchen, mit windigem Spiel in einem schwarzen Anzug von den anderen ab. Die beiden Songs "Noch ein bissl'chen mehr" im ersten Akt und "Fröhliches Frühlingslied" im zweiten Akt zeigen die vier Figuren in so negativem Licht, dass man beinahe froh darüber ist, dass Aurelia sie am Ende des Stückes hinter der Tür für immer wegsperrt. Isenbürger und Rivas übernehmen auch noch die Rollen von Aurelias Freundinnen. Dabei glänzt Rivas als leicht schrullige Mlle. Gabrielle und spielt mit großem Witz mit dem imaginären Hund Dickie, bei dem die beiden Freundinnen nie wissen, ob sie die Nicht-Existenz des Hundes nun ernst nehmen sollen oder nicht. Isenbürger überzeugt als Mme. Constance mit großer Komik, wenn sie zwar ihre zahlreichen verflossenen Liebhaber aufzählen, sich jedoch nicht mehr an ihren Gatten erinnern kann. Das alles mündet musikalisch in dem wunderbaren Trio "Tea-Party". Janke mimt außerdem einen wunderbar verpeilten Wachtmeister, und von Hugo gestaltet zusätzlich den leicht verwirrten Kellner im Café Francis mit großem Spielwitz. Aurelia (Frederike Haas) lockt die Präsidenten und den Prospektor (von links: Jens Janke, Alexander von Hugo, Carlos Horacio Rivas und Cornelie Isenbürger) in den Kanal unter der Stadt. Bei so viel Komik hat das eigentliche Liebespaar des Stückes schon fast eine undankbare Rolle. Aber Rebecca Lorenz und Michael B. Sattler machen als Nina und Julien das Beste daraus. Immerhin darf Lorenz als Nina das Lied anstimmen, das der englischen Version den Titel gegeben hat: "Jemand hat dich sehr verletzt, Welt", und Sattler begeistert gemeinsam mit von Hugo, Janke und Dirk Weiler bei einem atemberaubenden Stepp-Tanz. Weiler gestaltet den Abwasserkanal-Mann als zupackenden einfachen Mann, der in der Gerichtsverhandlung mit dem Song "Bisschen Mitleid tät' den Reichen gut" über sich hinauswächst. Sehr innig gestaltet er auch die Szene mit Haas, wenn er ihr aus Verbundenheit zeigt, wie sich die Tür in die unergründlichen Tiefen des Kanals öffnen lässt. Jennifer Pöll punktet in der Rolle der Stummen, die, wenn die Gefahr am Ende gebannt ist, zu sprechen beginnt, mit intensiver Mimik und Gestik. Bühnen- und Kostümbildner Toto hat auf der Drehbühne einen flexiblen Raum konzipiert, der in blauem Fliesenlook nahezu den Weg hinab in den Kanal andeutet. Mit viel Liebe zum Detail gestaltet er auch Aurelias unterirdische Behausung mit zahlreichen aufeinandergestapelten Schachteln, in denen sie wohl all ihre Erinnerungen aufbewahrt. William Ward Murta macht mit den Bielefelder Philharmonikern deutlich, dass das Stück musikalisch mit Klassikern wie Hello, Dolly! mithalten kann, und überzeugt mit punktgenauem und schwungvollen Sound. So gibt es am Ende verdiente stehende Ovationen für alle Beteiligten. FAZIT Das Theater Bielefeld zeigt, dass es auch im Bereich des
Musicals zahlreiche Schätze gibt, die in der Versenkung schlummern und die es
wert sind, auf die Bühne gebracht zu werden, vor allem mit einem solch
hervorragenden Ensemble. |
Produktionsteam Musikalische Leitung Inszenierung Bühne und Kostüme Choreographie Licht Dramaturgie
Bielefelder Philharmoniker
Solistinnen und SolistenGräfin Aurelia, die "Irre von Chaillot Der Abwasserkanal-Mann Julien Prospektor / Mlle. Gabrielle, 1. Präsident / Mme. Constance, 2. Präsident / Wachtmeister Kellner / 3. Präsident Die Stumme
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