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Agrippina

Dramma per musica in drei Akten
Libretto von Vincenzo Grimani
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 29. Januar 2023


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Theater Bonn
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Intrigen im Reich der dicken Männer

Von Thomas Molke / Fotos: © Thilo Beu

Händels zweite und letzte Oper für Italien, Agrippina, markierte seinen internationalen Durchbruch als Opernkomponist. "Viva il caro Sassone!" soll das venezianische Publikum in jeder kleinen Pause der Aufführung gerufen haben, als mit diesem Werk die Karnevalssaison am 26. Dezember 1709 im Teatro San Giovanni Grisostomo eröffnet wurde, eine Ehre, die noch nie zuvor einem deutschen Komponisten zuteil geworden war. Es folgten 26 weitere Aufführungen in Venedig, so viele Wiederholungen, wie man es nur selten in der Lagunenstadt erlebt hatte. Neben der begeistert aufgenommenen Musik, die Händel zum großen Teil aus seinen früheren italienischen Werken übernommen hatte, überzeugte auch das Libretto mit der dicht gewobenen Handlung und den scharf gezeichneten Charakteren, das wahrscheinlich der Kardinal Vincenzo Grimani verfasst hatte, der Vizekönig von Neapel unter den Habsburgern war und dessen Familie in Venedig das Theater gehörte, in dem die Uraufführung stattfand. Der Musikhistoriker Reinhard Strohm interpretierte den Text als Satire auf Papst Clemens XI. und den vatikanischen Hofstaat, dem Grimani nicht allzu viel Sympathie entgegengebracht haben soll. Es ist anzunehmen, dass Händel das Libretto noch für seine Komposition bearbeitet hat. In London brachte er die Oper später nicht noch einmal heraus, übernahm allerdings einen Teil der Arien in Rinaldo und Il pastor fido. Auf dem europäischen Festland war Agrippina noch einige Jahre lang in weiteren Aufführungen zum Beispiel in Neapel und Hamburg zu erleben und erfreut sich auch heute in der "Renaissance der Barockoper" nicht zuletzt wegen der leicht übertragbaren Handlung großer Beliebtheit. Die Oper Bonn hatte eigentlich bereits für 2021 eine "Corona-Fassung" geplant, die dann aber nur als Video-Stream herausgebracht werden konnte. Nun ist die Produktion leicht überarbeitet auch live auf der Bühne zu erleben.

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Agrippina (Louise Kemény) will ihren Sohn Nerone (Lada Bočková) auf dem Thron sehen.

Die Handlung der Oper spielt im Jahr 50 n. Chr. und verquickt mehrere zeitlich nicht zusammengehörende historische Ereignisse, die in den Annalen des Tacitus und den Kaiser-Viten Suetons überliefert sind. Kaiserin Agrippina glaubt, dass ihr Ehemann Claudio (Claudius) in einem Sturm auf hoher See den Tod gefunden habe, und setzt nun alles daran, ihren Sohn Nerone (Nero) mit Hilfe der beiden Höflinge Pallante (Pallas) und Narciso (Narcissus) zum neuen Kaiser wählen zu lassen. Doch Claudio ist von seinem Feldherrn Ottone (Otho) aus den Wogen des Meeres gerettet worden und verspricht diesem nun aus Dankbarkeit, ihn zu seinem Nachfolger zu ernennen. Agrippina plant eine Intrige und instrumentalisiert dazu die schöne Poppea, die Ottone liebt, allerdings auch von Claudio und Nerone begehrt wird. Sie redet der jungen Frau ein, dass Claudio Ottone den Thron nur überlassen wolle, weil Ottone sie, Poppea, an Claudia "abtrete". Poppea fällt zunächst auf diese Lüge herein und bewirkt beim Kaiser, dass dieser Ottone fallen lässt und stattdessen Nerone zu seinem Nachfolger bestimmt. Doch Poppea durchschaut den Schwindel und will sich an Agrippina rächen. Sie lässt Nerone bei Claudio in Ungnade fallen. So fliegen Agrippinas Ränkespiele auf. Allerdings kann sie sich mit der Entschuldigung retten, nur in Claudios Interesse gehandelt zu haben. Da Ottone für Poppea auf den Thron verzichten will, lenkt Claudio ein und ernennt Nerone erneut zu seinem Nachfolger. Die Göttin Juno (Giunone) steigt vom Himmel herab, um Rom eine glanzvolle Zukunft zu verkünden.

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Agrippina (Louise Kemény, links) versucht, Poppea (Marie Heeschen, rechts) zu manipulieren.

Das Regie-Team um Leo Muscato, der in Bonn bereits Händels Serse in Szene gesetzt hat (siehe auch unsere Rezension), legt die Geschichte als eine Art Slapstick-Komödie an und zeichnet die Männer des Stückes mit Ausnahme von Ottone als behäbige dicke Herren, die mit ihren Bewegungen aus einem Cartoon oder Comic stammen könnten. Dabei wird auch nicht mit politischen Anspielungen auf die Gegenwart gespart, an denen man allerdings merkt, dass die Produktion eigentlich schon für 2021 geplant war. So tritt Claudio als Donald Trump auf und gibt ihn mit überheblichem Gehabe der Lächerlichkeit preis. Nerone wirkt wie ein verwöhntes Muttersöhnchen und kann nicht wirklich ernst genommen werden. Bei seinem Auftreten lässt sich nicht erahnen, welchen Despoten Agrippina hier auf die Herrschaft vorbereitet. Die beiden Höflinge Pallante und Narciso stehen für übersättigte Wohlstandsmenschen, die kaum noch handlungsfähig sind. So haben sie bereits Schwierigkeiten, die Stufen zum Kapitol zu erklimmen. Ursprünglich soll die Idee gewesen sein, mit dieser Körpermasse einen natürlichen Abstand zwischen den Figuren zu erzeugen, der 2021 für eine Aufführung noch erforderlich gewesen wäre. Dass man dies beibehalten hat, gibt der Inszenierung einen leicht albern wirkenden Anstrich, wenn sich die Figuren gegenseitig auf Abstand Ohrfeigen geben oder Claudio seiner Gattin bzw. Poppea in großer Distanz wertvollen Schmuck überreicht.

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Doch Poppea (Marie Heeschen) verfolgt bei Claudio (Pavel Kudinov) ihre eigenen Ziele (hinter dem Vorhang: Louise Kemény als Agrippina).

Die beiden Frauen werden als Intrigantinnen des Stückes wesentlich differenzierter gezeichnet. Agrippina wirkt in ihren opulenten Kostümen mit ihrem ständig wechselnden Haarschmuck wie eine berühmte Film-Diva, die es genauestens versteht, die Männer zu manipulieren. Doch auch Poppea weiß, mit den Waffen der Frau umzugehen. Wirkt sie auf den ersten Blick noch wie ein harmloses It-Girl, das sich nur für Äußerlichkeiten zu interessieren scheint und ständig mit einem Kaugummi spielt, nutzt sie diese Masche doch ganz bewusst und ist dabei nicht weniger manipulativ als ihre Rivalin Agrippina. Mit koketten Bewegungen spielt sie holde Unschuld, wenn sie sich im Scheinwerferlicht dreht. Federica Parolini hat für beide Frauen zwei großartige Bühnenbilder entworfen. Der Salon von Agrippina wirkt mit den mythologischen Zeichnungen beinahe antik, während Poppea sich in einem bunten Garten mit riesigen aufgemalten Blumen befindet. Im zweiten Akt wird auch ein durchscheinender Prospekt verwendet, hinter dem sich Poppea schlafend stellt, um Ottones wahre Absichten zu ergründen. Für das Forum hat Parolini gewaltige weiße Säulen kreiert, die auf zwei Seiten eine Art Wandelhalle bilden und wie die Gemächer Agrippinas einen nahezu antiken Eindruck vermitteln.

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Agrippina (Louise Kemény) verbiegt sich für ihren Gatten Claudio (Pavel Kudinov).

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf gutem Niveau. Allen voran ist hier Händel-Spezialist Rubén Dubrovsky am Pult des Beethoven Orchesters Bonn zu nennen, der mit gewohnt sicherer Hand und einem Gefühl von spielerischer Leichtigkeit das Orchester durch die Partitur führt. Dabei ist die Musik genauestens auf Muscatos Personenregie abgestimmt und unterstreicht mit plötzlichen Pausen einzelne Gags. Die Solistinnen und Solisten zeigen nicht nur allesamt große Spielfreude und setzen die Personenregie auf den Punkt um, sondern überzeugen auch stimmlich. Louise Kemény gibt die Titelpartie als große Diva mit herrlich intrigantem Spiel. In den Höhen klingt sie bisweilen absichtlich scharf, um die Gefährlichkeit Agrippinas zu unterstreichen. In ihrer ersten großen Arie "L'alma mia fra le tempeste", wenn sie voller Zuversicht ihre Intrigen gestartet hat, punktet sie mit beweglichen Koloraturen und wähnt sich am Ende des ersten Aktes mit einem triumphalen "Ho un non so che nel cor" am Ziel, wenn sie ihren Sohn als zukünftigen Kaiser bereits auf dem Thron wähnt. Ihre innere Zerrissenheit macht sie dann in der berühmten Arie im zweiten Akt, "Pensieri, voi mi tormentate", deutlich, in der sie intensiv die dramatischen Wahnvorstellungen der in die Enge getriebenen Kaiserin transportiert. Marie Heeschen stellt als Poppea mit ihrem jugendlichen Sopran und den strahlenden Höhen einen wunderbaren Gegensatz zur Kaiserin dar.

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Ottone (Benno Schachtner, im Hintergrund) beobachtet Claudio (Pavel Kudinov, vorne) auf Freiersfüßen.

Pavel Kudinov verleiht dem Claudio mit profundem Bass und dunklen Tiefen kaiserliche Autorität. In den Läufen zeigt er sich stimmlich stets flexibel und verfügt auch darstellerisch über enorm komisches Potenzial, wenn er Poppea seine Liebe bekundet und sich gewissermaßen zur Marionette seiner Angebeteten machen lässt. Lada Bočková legt die Partie des Nerone mit dunkel gefärbtem Mezzosopran an. Während Nerones letzte Arie "Come nube che fugge dal vento" eigentlich schon einen Ausblick auf die Schrecken gibt, die unter seiner Herrschaft folgen werden, wird in Muscatos Inszenierung allerdings darauf verzichtet, die Gefahr anzudeuten, die vom künftigen Herrscher ausgehen wird. Benno Schachtner punktet als Ottone mit einem sehr weichen Countertenor, der in den Höhen dennoch äußerst viril klingt. Auch optisch gibt er mit dem Brustpanzer einen regelrechten barocken Helden. Schließlich wird er nach Nerones Sturz im Vier-Kaiser-Jahr zumindest für einen kurzen Zeitraum die Macht übernehmen. Mit großer Leidensfähigkeit begeistert er in seiner Arie im zweiten Akt, wenn er beklagt, von allen im Stich gelassen zu werden, und findet dabei wunderbar melancholische Töne. Große Komik beweist er dann im dritten Akt bei seiner Arie "Tacerò tacerò", wenn er immer wieder aus dem Versteck hervorkommt und Poppeas Plan damit gefährdet. Carl Rumstadt bleibt als Höfling Pallante ein wenig blass, während Charlotte Quadt als Narciso mit beweglichem Sopran überzeugt. Martin Tzonev rundet das Ensemble als Lesbo mit großem Spielwitz ab. Auf einen Auftritt Junos wird in der Inszenierung verzichtet. Das Publikum spendet allen Beteiligten großen Beifall.

FAZIT

Leo Muscato interpretiert die intrigante Geschichte aus dem alten Rom mit viel Ironie und Komik, die an einigen Stellen vielleicht etwas zu dick aufgetragen ist, insgesamt aber sehr kurzweilig unterhält.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Rubén Dubrovsky /
Elia Tagliavia

Inszenierung
Leo Muscato

Bühne
Federica Parolini

Kostüme
Silvia Aymonino

Licht
Max Karbe

Dramaturgie
Constantin Mende

 

Beethoven Orchester Bonn

Cembalo und Orgel
Felix Schönherr

Statisterie des Theater Bonn


Solistinnen und Solisten

*Premierenbesetzung

Claudio
Pavel Kudinov

Agrippina
Louise Kemény

Nerone
Lada Bočková

Poppea
*Marie Heeschen /
Ava Gesell

Ottone
Terry Wey /
*Benno Schachtner

Pallante
Carl Rumstadt

Narciso
Charlotte Quadt

Lesbo
Martin Tzonev

Dienstpersonal
*Amelie Adamsky
*Victoria Telegina
Kristina Siegel

 


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