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Allein an der Spitze des Staates: Elisabeth I.
Von Roberto Becker
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Fotos Simon Van Rompay und Bernd Uhlig Es gibt im Verzeichnis der vielen Opern Gaetano Donizettis (1797-1848) zwar die sogenannten Tudor-Opern, aber keine davon mit dem Titel Bastarda. Als (weiblichen) Bastard hat die katholische Maria Stuart ihre herrschende Gegenspielerin Elisabeth Tudor in jener persönlichen Begegnung beschimpft, bei der die sich nicht durch eine Unterwerfung vor dem Scharfrichter rettete, sondern ihr Schicksal besiegelte, indem sie der Throninhaberin verbal Paroli bot. Und den Bogen überspannte. Aus ihrer Sicht hatte Maria Stuart mit dieser despektierlichen Charakterisierung nicht mal Unrecht. Im Lichte des Urteils der Nachwelt, die eine ganze Epoche als Elisabethanisches Zeitalter charakterisierte, wirkt diese Bezeichnung läppisch. Dieser royale biografische Hintergrund ist natürlich höchst spannend und prädestiniert, um daraus Opern zu machen. In der originellen Brüsseler Donizetti-Montage zu einer locker skizzierenden, szenischen Biografie sind auch Elisabeths Vater Heinrich VIII. und ihre Mutter Anna Bolena dauerpräsente Figuren. Wie Geister treten sie gleichsam als "getrennt beeinflussende" (erziehend kann man das mangels Zeit und Masse nicht nennen) Eltern in Erscheinung. An der Seite des englischen Königs mit dem sagenhaften Ehefrauenverschleiß sieht man hier immer Giovanna Seymour. Luca Tittoto punktet in aller überlieferten Kostümpracht eines typischen Renaissancefürsten. Und hin und wieder in der Königsloge des La Monnaie, während die von ihm hingerichtete Anna Bolena in der gegenüberliegenden Loge oder eben etwas abseits auftritt. Dunkel wirken die Kräfte des Hofes und allgegenwärtig (Foto: Simon Van Rompay)
Der Trick dieser Musiktheater-Kreation besteht in einer personifizierten Konfrontation der reifenden und dann alternden Königin mit ihrem kindlichen Alter Ego. Nachvollziehbar, dass das Kind durch den Tod der Mutter auf Geheiß des Vaters traumatisiert ist. Auf der Bühne gibt es daher Elisabeth, neben der (italienisch) singenden Herrscherin, immer auch als (englisch) sprechendes Kind. Wie die tatsächlich zwölfjährige Nehir Hasert diese Aufgabe für eine Profischauspielerin bewältigt, das ist schlichtweg atemberaubend. Und für die hybride formale Mischform des Abends stilbildend. Für den Schauspielteil stehen aber auch die drei Erzähler in heutigen schwarzen Anzügen, Cecil, Smeton, und Nottingham mit ihren ausführlichen, souverän englisch gesprochenen Passagen, die für eine Art Shakespeare-Theater-Atmosphäre sorgen. Man ist verblüfft, wenn die drei dann in kurze Szenen auch singen. Der Trick dieser Musiktheater-Kreation besteht in einer personifizierten Konfrontation der reifenden und dann alternden Königin mit ihrem kindlichen Alter Ego. Nachvollziehbar, dass das Kind durch den Tod der Mutter auf Geheiß des Vaters traumatisiert ist. Auf der Bühne gibt es daher Elisabeth, neben der (italienisch) singenden Herrscherin, immer auch als (englisch) sprechendes Kind. Wie die tatsächlich zwölfjährige Nehir Hasert diese Aufgabe für eine Profischauspielerin bewältigt, das ist schlichtweg atemberaubend. Und für die hybride formale Mischform des Abends stilbildend. Für den Schauspielteil stehen aber auch die drei Erzähler in heutigen schwarzen Anzügen, Cecil, Smeton, und Nottingham mit ihren ausführlichen, souverän englisch gesprochenen Passagen, die für eine Art Shakespeare-Theater-Atmosphäre sorgen. Man ist verblüfft, wenn die drei dann in kurze Szenen auch singen. Elisabeth und kindliches Alter Ego (Foto: Simon Van Rompay)
Hinzu kommen die assoziativ das Geschehen umkreisenden, von Avshalom Pollak einfallsreich choreografierten Tänzer, die auch in den Pausen durchs Haus streifen und so das Durchbrechen der Vierten Wand auch da fortsetzen. Pfiffig die verschiebbare Überbrückung des Orchestergrabens, so dass die Königin in voller Robe durch den Zuschauerraum ihren Auftritt zur Krönung auf der Bühne zelebrieren kann. Dass das Publikum der Aufforderung, sich dazu zu erheben willig folgt, hat nicht nur damit zu tun, dass Belgien ja tatsächlich ein Königreich ist, sondern ist Teil dieses bei jeder Gelegenheit das Publikum einbeziehenden Theaters. Überhaupt ist der Aufwand, den die Brüsseler Oper für dieses Donizetti-Doppel betrieben hat, enorm. An der das Publikum begeisternden Opulenz haben die 110 zum Teil prachtvollen Kostüme und 43 Perücken, von denen die Rede ist, einen erheblichen Anteil. Dennoch bewahrt die Bühne von Urs Schönebaum allemal Transparenz für dieses royale Es-war-einmal. Elisabeth und ihre Männer Devereux und Leicaster (Foto: Bernd Uhlig)
Der Königin im Zentrum verleiht Francesca Sassu royales Belacanto-Format. Bei ihre schottischen Gegenspielerin Maria Stuart sorgt Lenneke Ruiten für entschlossen aufmüpfigen Habitus und die vokale Prägnanz. Vokal im königlichen Format ist auch die Anna Bolena von der sinnlich leuchtenden Slome Jicia. Der erste Teil von Bastarda ist der jungen Elisabeth gewidmet, die vor allem den gewaltsamen Tod der Mutter Anna Bolena zu verarbeiten hat, mit ihre Krönung als einem äußeren und der Konfrontation mit Maria Stuart als einem theatralischen Höhepunkt. Nach einem gesprochenen Prolog von Cecil, Smeton und Nottingham im Stile eines einführenden "Es war einmal" geht es in der ersten Episode ("Ein Bastard") nach Westminster zur dreijährigen, der Mutter beraubten, zum Bastard gewordenen Elisabeth und in einem Schnelldurchlauf bis zur Krönung. In diese Episode fällt auch die Beziehung zur großen Liebe ihres Lebens Robert Dudley, dem künftigen Earl of Leicester. Die Krönung ist der Inhalt der zweiten (theatralisch ergiebigen) Episode, bei der sich das Publikum erhebt und obendrein ein von Donizetti eingeflochtenes "God save the Queen" erklingt. Es geht hochpolitisch weiter, wenn Elisabeth in der dritten Episode das Parlament, dessen männliche Vertreter ihre Eignung als Frau anzweifeln und sie auffordern, einen Ehemann zu wählen, zur Räson bringt. Die junge Königin behauptet sich und begibt ich erst einmal auf eine Reise durch ihr Reich, in der auch ein Besuch von Kenilworth, dem Schloss von Robert Dudley eingeplant ist. Erst während dieser "Hofreise" erfährt die Königin, dass Dudley mit Amelia verheiratet ist, die die direkte Konfrontation mit ihrer Rivalin sucht. In der inneren Konfrontation mit ihrem kindlichen Alter Ego beschließt Elisabeth letztlich Dudley und seiner Frau Amelia zu vergeben. Folgerichtig steigt Robert Dudley zum Earl of Leicester auf, wird in der Nähe der Königin einquartiert, während dessen Frau daheim unter ungeklärten Umständen tödlich verunglückt. Nach der Pause folgt das "Duell" zwischen Elisabeth und ihrer Konkurrentin Maria Stuart. Wie in Schillers Schauspiel, so ist das auch in dieser Oper ein dramatischer Höhepunkt. Hier ist es so, dass Maria nicht nur um die Macht im Staate, sondern auch um die Liebe von Leicester kämpft. In dieser Begegnung fallen auch die Worte, die dem Ganzen den Titel gaben. Maria schleudert Elisabeth entgegen: "Unkeusche Tochter von Boleyn, sprichst du Unehre zu mir? Unwürdige, obszöne Hure, meine Schande soll sich über dich ergießen! Niedriger Bastard, der englische Thron wurde von Ihren Händen geschändet." Damit ist Marias Schicksal besiegelt. Am zweiten Abend von Bastarda geht es in drei Episoden (Der Schmerz, Die Falle und Die Hinrichtung) um die Fundierung ihrer Macht, die durch eine lebende Maria bedroht wäre. Mit dem Tod Marias wird Elisabeth aber auch zu einer immer härteren Herrscherin, die jetzt Katholiken verfolgen und Kirchen und Klöster zerstören lässt. Hinzu kommt, dass ihre Jugendliebe Dudley stirbt. Es folgt der verzweifelte Versuch, diese Art von Erfüllung in der ungleichen Liebe zum deutlich jüngeren Roberto Devereux zu wiederholen. Jetzt stilisiert sich Elisabeth zur "Jungfräulichen Königin". Heinrich VIII in der Königsloge - das Kindheitstrauma schlechthin (Foto: Bernd Uhlig)
In den letzten drei Episoden geht es um das Altern der Frau. Dazu gehört die Hinwendung zu Devereux, den sie schließlich auch (wegen Hochverrat) verliert. Dem Altern entgeht sie aber auch nicht durch die Verbannung aller Spiegel in ihrer Nähe. Der Tod von Devereux lässt sie schließlich verzweifeln. Die beiden Männer in ihrem (Opern-)Leben werden in einem ähnlich attraktiven Habitus vom markant virilen Enea Scala (Leichester) mit viriler Jugendlichkeit in der Stimme und von Sergey Romanowsky (Roberto Devereux) mit geschmeidig belcantistischem Schmelz überzeugend verkörpert. Von den Musiknummern des ersten Abends entstammen acht Anna Bolena, je neun Maria Stuarda und Elisabetta al castello di Kenilworth und zwei Roberto Devereux. Am zweiten Abend sind Anna Bolena und Maria Stuarda mit je sieben Nummern und Roberto Devereux zwölfmal vertreten. Im Graben lässt Dirigent Francesco Lanzillotta mit (gelegentlich zu) vornehmer Zurückhaltung der Bühne und ihrer Mischung, aus Schauspiel, Gesang und Show den Vortritt. Er lässt aber an Schlüsselstellen auch dramatisches Auftrumpfen zu. FAZIT Die Brüsseler Oper hat mit coronabedingter Verspätung ein aufwändiges Donizetti-Projekt realisiert, das zwar nicht den gesamten Belcanto-Glanz der vier verarbeiteten Opern bietet, die um Elisabeth I. kreisen, ihr ist aber ein spektakulärer, packender Musiktheater-Doppelabend der anderen Art gelungen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Konzept und Inszenierung
Bühne und Licht
Kostüme
Video
Choreographie
Chor
Solisten
Elisabetta
Das Kind
Anna Bolena
Enrico
Leichester
Roberto Devereux
Maria Stuarda
Giovanna Seymour/ Sara
Amy Robsart
Cecil (Vernunft)
Smeton (Emotion)
Nottingham (Theater)
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