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Winterkunstmärchenlandschaft mit Feldmarschall
Von Stefan Schmöe
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Fotos Matthias Baus Es ist ein magisches Bild geworden: Ein weißer Raum voller riesiger Luftballons, die ganz, ganz langsam aufzusteigen scheinen, und dazwischen der Rosenkavalier, der die silberne Rose überreicht. Ein Bild, das ohne Wiener Barock und Neobarock auskommt, das nicht in der Zeit verhaftet ist, das kühle Modernität und doch unglaublich viel Poesie ausspricht. Der Raum schwebt über der Erde, ist in die Wand direkt hinter einem schmalen Streifen an der Rampe eingelassen wie eine Theaterbühne (mit Vorhang). Sophie, die angehende Braut, steht unten, und damit wird auch die Dramaturgie dieses im wahrsten Sinne traumhaften Duetts deutlich. Hier werden zwei Menschen überwältigt durch den Zauber des Moments (und weniger durch Liebe auf den ersten Blick). Und dieser Moment endet. Wie eben alles im Leben seine Zeit hat.
Regisseur Damiano Michieletto (im Verbund mit Bühnenbildner Paolo Fantin, Kostümbildner Agostino Cavalca und Lichtdesigner Alessandro Carletti) spielt ein zeitloses Spiel mit Zeichen und Symbolen, und es dreht sich um das Festhalten und Verlieren des Augenblicks. Der schwebende Raum, ein Theater auf dem Theater, verdoppelt in manchen Szenen dieses Bild noch einmal: Dann sieht man in diesem schwebenden Theater-Raum wieder eine Wand mit einem genauso eingelassenen Theaterraum. Man sieht mehrfache Staffelung, als schaue man in einander gegenüberliegende Spiegel, die das Bild ins Unendliche vervielfachen, und das führt weg von der Realität zu archetypischen Momenten. Was real bleibt, ist das Spiel der Hauptfiguren, insbesondere der Marschallin: Eine (wie es dem Librettisten Hugo von Hofmannsthal vorschwebte) noch sehr junge Frau, die schmerzlich das Altern spürt, die hier aber auch eine kurze Geschichte bekommt. Pantomimisch werden ihre Begegnungen mit einem lieblosen, hochdekorierten Herrn gezeigt, offenbar dem Herrn Feldmarschall, der im Schlafzimmer aber keinerlei Interesse an seiner attraktiven Frau zeigt. Im Grunde braucht es diese Figur, die gelegentlich den Text geistert, gar nicht, und das ist ein Schwachpunkt in Michielettis Regie: Dass er manchmal zu viel will und die Szene überlädt, insbesondere wenn es von der Musik ablenkt. Und es wird ganz stark, wenn er sich auf die surreal anmutenden Bilder verlässt, die sich einer Eindeutigkeit entziehen. "Manchmal steh' ich auf mitten in der Nacht und lass die Uhren alle, alle stehn": Monolog der Marschallin mit gestaffelten Erinnerungsmomenten
"Ja, such' Dir den Schnee vom vergangenen Jahr", singt die Marschallin in ihrem Monolog am Ende des ersten Aktes. Sie wird nachfolgend versuchen, den Schnee aufzufangen - und wird ihn als Wasser später auskippen: Die Zeit lässt sich nicht einfangen. Die Nähe zum Kitsch ist dem Rosenkavalier quasi eingeschrieben, das spürt man auch in dieser Inszenierung, die an eben diese Grenze geht und sie hin und wieder auch überschreitet, in den entscheidenden Momenten aber große Kraft entwickelt. Die Geschichte wird dabei in Ansätzen erzählt; genug, um sie zu verstehen, aber fast ohne Zeitkolorit. Die Lakaien und auch das Intrigantenpaar Annina/Valzacchi werden slapstickhaft dargestellt, viele Nebenfiguren sind nur angedeutet oder ganz gestrichen. Dadurch gehen die Genreszenen verloren, die Audienzstunde bei der Marschallin im ersten wie die Vorstadtkneipentristesse des letzten Akts. Das ist bedauerlich, weil Hofmannsthal und Strauss diese Szenen liebevoll (und mit den Walzern des letzten Aktes musikdramaturgisch wichtig) ausgestaltet haben; es bewahrt aber auch vor den Peinlichkeiten des dritten Aufzugs mit den vermeintlichen Spukerscheinungen, die den dummdreisten Baron Ochs auf Lerchenau verschrecken sollen. Hier sind es schwarze Rabenvögel, die herabgelassen und hereingelassen werden. Sie kontrastieren den Schnee, der immer stärker zum Symbol wird und damit auch eine Zweideutigkeit erhält: Reinheit auf der einen, Unwirklichkeit (und auch Kälte) auf der anderen Seite. Überreichung der silbernen Rose
Michieletto führt eine neue Figur ein - oder deutet, wenn man so will, den kindlichen Diener Mohamed um: Einen kleinwüchsigen Mann, der wie ein Regisseur die Szenen arrangiert. Auch das unterstreicht die Künstlichkeit, die es dann aber erlaubt, auf die Befindlichkeiten der Personen zu Fokussieren und das Allgemeingültige daran herauszustellen. Dafür hat er Darstellerinnen, die perfekt passen: Julia Kleiter singt und spielt eine noch jugendlich anmutende, attraktive Marschallin mit lyrischem, leichtem Sopran, sehr genau in der Ausgestaltung. Ein wenig fehlt ihr stimmlich das aristokratische Moment, das sie von den anderen abhebt. Liv Redpath ist eine sehr hübsche, kindlich anmutende Sophie mit leuchtender Stimme und spielt mit aufreizender Mädchenhaftigkeit. Julie Boulianne bleibt als burschikoser Octavian im Vergleich zu den beiden eine Spur zu unscheinbar (wobei die auf die Marschallin konzentrierte Regie es dieser Figur auch schwer macht), singt aber tadellos. Martin Winkler balanciert den Ochs stimmlich und szenisch gut zwischen komischer aristokratischer Würde und derbem Schwank aus. Nüchtern und stimmlich recht angestrengt gestaltet Dietrich Henschel einen Faninal vom Typ "pensionierter Oberstudienrat". Sabine Hogrefe beeindruckt als stimmgewaltige Leitmetzerin (liebestoll dem Ochs verfallen), Yves Saelens als Valzacchi und Carole Wilson sind ein komödiantisch überzeugendes, stimmlich eher blasses Intrigantenpaar. Juan Franciso Gatell steuert einen sehr ordentlichen italienischen Sänger bei. Finale mit Octavian und Sophie in Winterlandschaft sowie Marschall und Marschallin im Schlafzimmer
Das Orchester der Brüsseler Oper präsentiert sich in allen drei instrumentalen Vorspielen ziemlich schwerfällig, da dauert es viel zu lange, bis die Musik in Gang kommt und die erforderliche Präzision erreicht ist. Dabei ist Dirigent Alain Altinoglu auf einen großen, emphatischen Ton aus (der aber die Strauss'sche Kontrapunktik auch einfangen müsste). Bei den Celestatupfern zur Rosenübergabe oder der Walzerfolge im letzten Akt bleibt er ziemlich streng im Tempo. Das ist insgesamt solide, wobei der ganz große Klangzauber ausbleibt. Schön gelingt das sehr breit angelegte Schlussterzett, bei dem im Einklang mit der Szene die Zeit anhält und es ein letztes großes Winterbild gibt: Sophie steht in verschneiter Landschaft, die Marschallin davor auf dem Boden der Realität, und Octavian muss sich für eine dieser Welten entscheiden. Er wählt den Traum. Auf das erneute Erscheinen des freudlosen Feldmarschalls hätte man gerne verzichtet. FAZIT Nicht in jedem Punkt geht Michielettis Konzept auf, aber die Regie entfaltet einige große Bilder, die man so schnell nicht vergessen wird - jedenfalls ein Rosenkavalier der besseren Art auf musikalisch gutem Niveau. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
künstlerische Mitarbeit
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg
Baron Ochs auf Lerchenau
Octavian
Herr von Faninal
Sophie
Jungfer Marianne Leitmetzerin
Valzacchi
Annina
Ein Polizeikommissar / Ein Notar
Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin /
Wirt
Ein Sänger
Drei adelige Waisen
Eine Modistin
Ein Tierhändler
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