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Gehe nie ohne Frühstück aus dem Haus!
Von Joachim Lange / Fotos von Bettina Stöß und Björn Hickmann Während man sonst gewohnheitsgemäß (fast) immer nur Premieren besucht, lassen sich am Ende der Spielzeit auch mal ein paar letzte Vorstellungen ins Visier nehmen. Neben Angels in Amerika in Bremen und Silbersee in Weimar, gehört auch die Götterdämmerung in Braunschweig in diese aparte Mini-Serie. Solch ein Unterfangen hat seine Vor- und Nachteile. Zu den Vorteilen gehört die berechtigte Vermutung, dass sich alles, was auf der Bühne und im Graben geschieht, eingespielt hat, nachjustiert wurde und von den Akteuren, ohne die Überlegung noch etwas für später aufzuheben, aus vollem Herzen herausgespielt und aus voller Kehle herausgesungen wird. Dass man davon ausgehen darf, dass die Häuser am Ende einer Serie nicht mehr überfüllt sind, ist für die Zuschauer, die gebucht haben, wenn man so will, ein Platzvorteil. Getanzt wird wie in der Grand Opera (Foto: B. Hickmann)
Zu den Nachteilen gehörte in Braunschweig, dass es keine Programme mehr gab, so dass man auf die vermutlich dort nachzulesende Begründung, wie Friedrich Nietzsche in die Götterdämmerung gerät, auf anderem Wege kommen muss. Ein eher technisches Ärgernis waren die beiden Scheinwerfer rechts und links oberhalb des Orchestergrabens. Zumindest für die Zuschauer auf den rechten Plätzen im Parkett hieß das, einem gleißend weißen Blendlicht ununterbrochen ausgesetzt zu sein, das keinerlei Sinn machte. Auch nach Intervention in der Pause und dem glaubhaften Bemühen der Damen an den Saaltüren konnten oder wollten die zuständigen Techniker nichts korrigieren. Wenn das in den vorangehenden Vorstellungen auch schon so war, muss man das Publikum ermutigen, sich über so etwas nicht nur still zu ärgern, sondern sich künftig zu äußern. Aber vielleicht war diese Misslichkeit ja nur in der letzten Vorstellung so. (Auf dem ausgehängten Besetzungszettel ist Tobias Krauß für Licht zuständig.) Die Vorstellung war trotz der hochsommerlichen Temperaturen vergleichsweise gut besucht, aber wer nach zwei Stunden, die der erste Götterdämmerungs-Akt nun mal dauert, zu genervt vom Scheinwerfer war, konnte sich dennoch einen anderen Platz suchen. Aber es ging ja in erster Linie um die Musik und den besonderen szenischen Zugang dieses Ring-Projektes. Und da waren für Regie und Choreografie der Götterdämmerung Beatrice Müller, Isabel Ostermann, Dagmar Schlingmann, Gregor Zöllig als Kollektiv mit Einzelverantwortung für diverse Handlungsstränge, aber auch für kollektiv erarbeitete Passagen zuständig. Der offenkundige Nachteil beim Besuch nur dieser letzten Götterdämmerung-Vorstellung eines so besonderen Ring-Projektes wie in Braunschweig besteht darin, dass man in dem Falle tatsächlich nicht vom Teil aufs Ganze schließen kann. "Schläfst du, Hagen, mein Sohn?" (Foto: B. Stöß)
Als spartenübergreifendes Projekt angelegt, war Das Rheingold ein "Musiktheater mit Schauspiel", die Uraufführung von Die Walküren von Caren Erdmuth Jeß eine Zusammenarbeit von Schauspiel und Staatsorchester und jene von Siegfried - Eine Bewegung eine Zusammenarbeit des Tanztheaters mit dem Staatsorchester, die vom Leipziger Komponisten Steffen Schleiermacher und dem Schweizer Choreografen Gregor Zöllig geschaffen wurde. Die Götterdämmerung ist in dieser Zusammenstellung wahrscheinlich der konventionellste Teil dieses Ring-Projektes, aber einer, wie eine augenzwinkernde Referenz an die Grand Opéra, mit einem hohen Anteil von Ballett. Nimmt man den letzten Teil isoliert als Bühnenwerk, so bleiben zwangsläufig der dramaturgische Überbau und die Genese des Ganzen im Dunkeln der Vorgeschichte, und der Schlussteil der Tetralogie steht für sich allein. Hier waltet der Ehrgeiz, das Personal aufs menschliche Maß zurückzuführen. Siegfried und Brünnhilde schmieren sich ein Frühstücksbrötchen am Küchentisch. Gunther fährt mit seinem Cabrio an der Imbissbude vor. Diese realistischen Versatzstücke einer szenischen Vermenschlichung des göttlichen oder mit den Göttern verwandten Personals umweht heutzutage zwangsläufig die Aura der zitierenden Bezüge. Frank Castorfs Bayreuther Ring liefert da in Bezug auf den spielerischen Umgang mit realistischen Versatzstücken eine kaum zu überbietende Referenzgröße. Und Peter Konwitschnys Stuttgarter Götterdämmerung (die seinen Dortmunder Komplett-Ring krönen wird) bleibt ein Maß für den spielerischer Umgang mit szenischem Witz. Franz Hawlata als Hagen - die vokale Überraschung! (Foto: B. Hickmann)
Neben in Braunschweig auszumachenden fernen Reminiszenzen bleiben das für die Bühne verantwortliche Trio vor allem im abstrakt theatralen Nirgendwo zwischen beweglichen Stellwänden, die meist von Wagners Freund-Feind Nietzsche beschriftet werden. WILLE wird da etwa zu WAHN. Am Ende dürfen alle Ensemblemitglieder in ihrer Muttersprache utopisch Optimistisches an die Wände schreiben. Für die Konzentration auf das Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren ist die Abstraktion ein Vorteil. Der Sehnsucht, tiefschürfende Gedanken in einem sinnlichen Gewand zu präsentieren, verweigert sich eine solche optische Strategie allerdings. Wie sich das verbinden lässt, war auch bei Castorf und seinem Bühnenbildner Aleksandar Denic exemplarisch zu besichtigen. Einstürzende Hochhäuser im Video gab es jetzt immerhin. Die für die Braunschweiger Götterdämmerung durchaus stilbildenden Balletteinlagen sind für sich genommen aus der Musik entwickelte Opulenz pur. Wenn sie freilich ihre Notwendigkeit für die szenische Deutung behaupten, bleiben sie oft nur illustrierend, torpedieren mitunter den Monologcharakter einzelner Szenen (bei so viel Trubel könnte selbst der frühalte Hagen wohl nicht schlafen). Sie scheinen vor allem einem horror vacui geschuldet, der gerade bei Wagner ziemlich überflüssig wirkt. Brünnhilde als Beute in der Schauvitrine (Foto: B. Hickmann)
Die musikalische Seite der Produktion freilich ist Anlass zur Freude. Es war tatsächlich Franz Hawlata, der diesen ausgesprochen profund bedrohlichen Hagen sang und spielte. Offensichtlich gibt es so etwas wie einen vokalen Jungbrunnen und Hawlata weiß, wo der sich anzapfen lässt. Die Brünnhilde von Allison Oakes ist ein hochdramatisches Ereignis ohne Konditionsschwäche oder schrille Ausreißer. Tilmann Unger bietet eine Siegfried, dessen Stimme zwar etwas eng wirkt, aber mit der Fokussierung und kultivierter Textverständlichkeit besticht. Christian Miedl kombiniert die bewusst ausgestellte unbedarfte Verklemmtheit seines Gunther mit klarer Eloquenz und Victoria Leshkevich überstrahlt die prollige Aufmachung ihrer Gutrune mit vokaler Strahlkraft und darstellerischer Differenzierung, so dass auch sie auf die vokale Habenseite dieses Abends gehört. Wunderbar, wie Marlene Lichtenberg sich in der Waltrauden-Erzählung gegen den szenischen Einfall behauptet, dass gleich alle Walküren anrücken. Sie bleibt außerdem als 1. Norn und Floßhilde deutlich wahrnehmbar. Michael Mrosek als Alberich sowie Marina Prudenskaya (als zweite Norn), Susanne Serfling als 3. Norn sowie Veronika Schäfer als Woglinde komplettieren das beispielhaft textverständliche Ensemble. In der Götterdämmerung gehört dazu natürlich auch die von Georg Menske und Johanna Motter einstudierten und von einem eindrucksvollen Hagen angeführten Chöre. In der letzten Vorstellung oblag es dem Ersten Kapellmeister Mino Marani am Pult des Staatsorchesters Braunschweig für die großen Bögen der gewaltigen Ring-Musik zu sorgen. Bei mit den hochsommerlichen Temperaturen lassen sich kleine Bläserpatzer gerne entschuldigen. Sie fallen bei der packenden sinnlichen Kraft, die im Graben entfesselt wird, ohne dass die Protagonisten auf der Bühne dadurch in Bedrängnis kommen.
Das Theater Braunschweig hat ein ungewöhnliches, innovatives Ring-Projekt mit einer exzellent besetzte Götterdämmerung abgeschlossen. Sieht man nur diesen letzten Teil, bedauert man, dass man über die drei vorangegangenen Teile nur spekulieren kann. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie, Choreographie
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Brünnhilde
Siegfried
Hagen
Gunther
Gutrune
Waltraute
Alberich
Erste Norn
Zweite Norn
Dritte Norn
Woglinde
Wellgunde
Floßhilde
Friedrich Nietzsche
Tänzer*innen
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