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Ein sensibler Balanceakt
Von Stefan Schmöe / Fotos von Monika Rittershaus
Im Grunde ist Bellinis Musik zu schön für ein schnödes happy end auf Erden. Die große Schlafwandelszene der Amina (die alle skeptischen Dorfbewohner sofort überzeugt, dass tatsächlich etwas dran ist an diesem rätselhaften Phänomen des Schlafwandelns) ist ja so komponiert, dass sie aus einer anderen Sphäre zu kommen scheint. In schöner Konsequenz lässt Regisseur Johannes Erath die Amina aus dem Jenseits singen, aus einem surrealen Raum oberhalb der Bühne, während unten ihr Leichnam beweint wird. Weil Stacey Alleaume mit intensivem, trotz der zurückgenommenen Lautstärke immer voll tönendem Sopran höchst eindrucksvoll singt, weil die Düsseldorfer Symphoniker kammermusikalisch filigran begleiten und somit gleichsam die Welt anhalten, mag man sich gar nicht vorstellen, danach noch das recht banale lieto fine, das glückliche Ende erleben zu müssen. Tatsächlich schließt sich am Ende der Szene ganz langsam der Vorhang - und hinterlässt ein dann doch etwas irritiertes Publikum, denn ein richtiger Opernschluss ist das ja auch wieder nicht. Den liefert Erath aber prompt nach. Der Vorhang öffnet sich erneut, und die der Konvention geschuldete Finalszene wird abgewickelt. Aber nimmt die noch irgendwer richtig wahr? In Schieflage: (von links) Aminas Mutter Teresa, Bräutigam Elvino, Amina im Brautkleid, Graf Rodolfo, Lisa und Alessio
Amina hatte sich zuvor, ebenfalls schlafwandelnd, am Vorabend ihrer Vermählung unwissentlich in das Zimmer des Grafen Rodolfo verirrt; ihr Bräutigam Elvino glaubt an eine Affäre und will die Hochzeit platzen lassen. Dabei hat die Wirtin Lisa, die ebenfalls ein Auge auf Elvino geworfen hat, die Sache reichlich intrigant zum Skandal aufgebauscht. Eine Komödie? Eine Tragödie? Den schmalen Grat zwischen Wachen und Schlaf, über den Amina schreitet, nimmt Erath auch in dieser Hinsicht symbolisch (wobei die Komödie, darin nah bei Bellini, nur vage angedeutet wird). Aus dem Lustspiel wird eben durch Kleinigkeiten ein Drama. Aber den schmalen Grat kann man auch als den Grat zwischen den moralischen Konventionen und den erotischen Sehnsüchten verstehen. Die Kostüme der mitunter überspitzt folkloristisch ausgestatteten Dorfbewohner am Fuße der Jungfrau, welcher Berg könnte hier passender sein, verwandeln sich schnell in reichlich frivole Kostüme wie aus den Pariser Varietés der 1920er-Jahre - Kostümbildner Jorge Jara hat ziemlich raffinierte Lösungen gefunden, um diese Ambivalenz auszudrücken. Zusammen mit Bühnenbildner Bernhard Hammer sorgt er zudem für die typische Johannes-Erath-Optik mit Wiedererkennungseffekt, schwarz mit diesmal violett (das aber gelegentlich bis ins Rosafarbene changieren darf). In so einem Traum wird vieles möglich, auch im Hinblick auf die Kleidung: Links Amina, oben Lisa, dazwischen etwas verloren Elvino
Eraths ästhetische Strenge, obwohl nicht frei von Abnutzungserscheinungen, hat hier neben der eindrucksvollen Bildwirkung auch eine dramaturgische Funktion, denn die Geschichte selbst wird wie eine Traumsequenz mit der dem Traum eigenen (Un-)Logik erzählt. Damit ist jeder Realismus und auch jeglicher falsche Folklorismus, den Bellinis (und seines Librettisten Felice Romanis) Alpenidyll heraufzubeschwören droht, in einen sinnstiftenden Zusammenhang jenseits der Ausstattungsoper eingebunden. Erath beruft sich zudem auf einen weithin unbekannten Roman aus dem Jahr 1960, Wolfshaut von Hans Lehnert (einem Neffen Alban Bergs), der um das Leben in eben so einem Dorf wie in der Sonnambula kreist. Von dort lässt sich der Regisseur zu Gedankenspielen anregen, die bestimmte Requisiten mit Bedeutung aufladen und die dann auch auf der Bühne auftauchen: Ein Schlitten, eine Wanduhr, ein Kontrabass. Ohne den Umweg über das Programmheft bleibt dieser Ansatz ziemlich unverständlich. Wichtiger ist aber wohl die Wirkung, nämlich dass dieser Mikrokosmos (in dem man, das wird besungen, auch an Gespenster glaubt) mit seinen eigenen Regeln nicht so leicht zu durchschauen ist. Klarer wird die Sache bei Ring und Brautkleid als zentralen, auch in der Oper explizit angesprochenen Symbolen. Das Brautkleid ist eben nicht Aminas individuelles Kleidungsstück, sondern das Zeichen für Brautschaft an sich. So trägt es in der Eröffnungsszene Aminas Nebenbuhlerin Lisa (von Heidi Elisabeth Meier mit betörender lyrischer Emphase gesungen), und die Regie zeigt viel Empathie mit dieser Figur und zeichnet sie keineswegs als durchtriebene Intrigantin, sondern mehr als liebessehnsüchtige junge Frau. Verwirrende Konstellation: Links Graf Rodolfo mit Amina-Double, rechts Elvino mit der echten Amina
Wenn Lisa zwischen Brautkleid und Dessous wechselt und auch das Outfit einer Varieté-Tänzerin annimmt, blitzt der aus Männerperspektive entwickelte Topos von der Frau als Heilige und Hure auf, auch das durch die Traumsphäre abgemildert. Den Frauen wird in dieser Dorfgesellschaft ein ziemlich komplizierter Balanceakt abgefordert - der, das zeigen die beiden Schlüsse, eben auch leicht tragisch ausgehen kann. Damit wirft Erath doch eine ganze Menge Ideen auf. Auch dass die irreale Atmosphäre dieser Traumwelten zudem ein eigenes Zeitgefühl schafft, kommt der Belcanto-Oper mit ihren ausgedehnten Arien natürlich entgegen. Amina (oben) singt aus dem Jenseits, Rodolfo und Elvino trauern an ihrem irdischen Leichnam.
Tenoral hat Edgardo Rocha in der Partie des eifersüchtigen Bräutigams Elvino, an diesem Abend als indisponiert angekündigt, den beiden zentralen Frauengestalten Amina und Lisa Frauen (zu) wenig entgegenzusetzen. Er gestaltet die Partei gerade im Piano sehr schön mit vielen Zwischentönen, bleibt aber farbloser und von der Stimmanlage her kleinformatiger. Da ist auch der prachtvolle Bariton von Bogdan Taloș als väterlich anmutender Graf Rodolfo (im ersten Librettoentwurf sollte er sich tatsächlich als Aminas Vater entpuppen, was Bellini aber streichen ließ) eine andere Nummer. Katarzina Kunczio gibt Aminas Ziehmutter Teresa zuverlässig und präsent, Josua Guss buhlt als Alessio ziemlich poltrig um Lisa. Der Chor der Deutschen Oper am Rhein spielt überzeugend und singt klangschön, aber viel zu oft nicht synchron mit dem Orchester. Dirigent Antonino Fogliani mildert die Kontraste in Bellinis Musik ab und bewegt sich, soweit dramaturgisch schlüssig, auch musikalisch in jenem leicht verhangenen Zwischenzustand, den die Inszenierung heraufbeschwört. Wenn alles (gleich) schön klingt, nivelliert das natürlich auch die Höhepunkte. Aber so viel Pianissimo wie hier muss man auch erst einmal wagen.
Das Regieteam um Johannes Erath findet einen durchaus spannenden Ansatz und die passenden Bilder für La Sonnambula - eine szenisch wie musikalisch beeindruckende Produktion. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Graf Rodolfo
Teresa
Amina
Elvino
Lisa
Alessio
Notar
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