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Eine Fledermaus im Kraftwerk-Mitte
Von Joachim Lange / Fotos von Pawel Sosnowski Beim Stichwort "Fledermaus" kann man wahlweise an den populären Operettenklassiker schlechthin von Johann Strauß denken. Oder auch an Artenschutz. In Dresden geht beides gleichzeitig … Die Intendantin der Staatsoperette Kathrin Kondaurow hat das unverwüstliche Prunkstück des Genres, das es mühelos auch schon auf jede renommierte Opernbühne (auch in der Semperoper) geschafft hat, jetzt, sozusagen zuständigkeitshalber, in ihrem Haus als Chefinnensache inszeniert. Offenkundig mit einer Art Liebe zum Stück, die nicht jedem gefällt. Das Ehepaar Eisenstein auf dem Fest des Prinzen
Und in einer Art, die besonders dem Gerichtsdiener Frosch, dem im dritten Akt allemal der direkte satirische Brückenschlag in die Gegenwart vergönnt ist, einiges an Stehvermögen abverlangte. Normalerweise obliegt dieser Einschub dem bekanntesten Schauspieler vorgerückten Alters vor Ort. Diesmal sind beide (fast alle Rollen sind doppelt besetzt) deutlich jünger als die Mehrheit der Besucher im Saal. In der besuchten Vorstellung war es an Jan Jaroszek, mit dem von Jan Neumann beigesteuerten, elegant improvisiert klingenden Zeitgeist-Rundumschlag gegen etliche vermeintliche Artenschützer im Saal ("Ich dachte, ich bin in der Operette") mit professioneller Lockerheit anspielen. Marcus Günzel hatte es da mit seinem Prinzen Orlofsky (mit Dimitra Kalaitzi gibt es auch eine weibliche Besetzungsalternative), den er atemberaubend zwischen Falsetthöhe und tiefem Bariton, als ausgeflippten Millionär und erotischen Allesfresser (gelegentlich auch wörtlich) hinlegte, deutlich leichter - er wurde zum heimlichen Star der Vorstellung. Und das in einer Inszenierung, deren Ästhetik in ihrer Weltläufigkeit sicher programmatisch gemeint war, gleichwohl niemanden verschrecken muss. Ein Orlofsky im Showformat
Diese Fledermaus sieht zwar nicht wie bei Otto Schenk in Wien aus (dem der Frosch sogar ausdrücklich seine Referenz erweist), ist aber allemal eindeutig zu erkennen. Auch wer "nur" auf das musikalische Déjà-vu aus ist, kommt zu seinem Recht. Vor allem weil Drive und Tempo stimmen, die Christian Garbosnik am Pult des Orchesters vorgeben, und die Protagonisten alle Register ziehen. Inklusive der Sprechtexte, die mit ihrem dezenten Dreh ins Ironische nichts von Peinlichkeit haben. Besonders Nicole Lubinger als Rosalinde und Christina Maria Fercher als deren Stubenmädchen Adele, aber auch Alexander Geller als Schlawiner Gabriel von Eisenstein und Nikolaus Nitzsche als Strippenzieher Dr. Falke, der sich mit dem ganzen Drumherum an seinem Freund Gabriel für eine Blamage von einst rächt. Rosalinde amüsiert sich über die Männer
Das läuft in der ziemlich genialen Grand-Hotel-Bühne von Volker Thiele wie ein mit etlichen running gags gut geöltes Komödienuhrwerk ab. Eingerahmt von einem Foyer-Ambiente samt Rezeptionstresen finden sich auf der Drehbühne alle Räume, die gebraucht werden. Dass dies die Bühne für die ewige Theatergeschichte von den Menschen im Hotel ist, macht der Vorhang deutlich. Inklusive der Kostüme von Anke Aleith wird so die Entstehungszeit nicht nur mit Art-déco-Opulenz und 30er-Jahre-Revueästhetik garniert, sondern erlaubt auch einen Seitenblick auf die Gegenwart. So eine revueaffine Eröffnungspyramide (inklusive einer leibhaftigen Akrobatin als Krönung) wie für den Ball von Orlofsky bekommt man nicht oft zu sehen. Seinen Ausflug in die Gegenwart startet der hier als Rezeptionist omnipräsente Frosch dann vor dem geschlossenen Vorhang auf der Bühne. Er trifft damit - so oder so - ins Schwarze, wobei es natürlich auch Zuschauer gab, die sich - wie der Rezensent - köstlich über den hintersinnigen Monolog amüsiert haben. Frosch ist hier der Rezeptionist
Schon während der Ouvertüre eskaliert die Anreise von Orlofsky und seiner Entourage von der Hotel-Geschäftigkeit in die Hektik jener Intrige, mit der Dr. Falke exemplarisch die Doppelmoral im Hause Eisenstein vorführen wird. Wobei - so ganz nebenbei - auch die gegensätzlichen Lebenswelten nicht ausgeblendet werden. Von Adele und Co. im Backstage des Hotels bis zu dem mit Dollarnoten um sich werfenden Orlofsky in der Luxussuite. Die Kürzung und Bearbeitung der Originaldialoge erspart allen das Risiko, im Pseudo-Wienern zu verunglücken - und dem Advokaten Dr. Blind (Riccardo Romeo) das Stottern. Rosalinde darf ihre "Klänge der Heimat" etwas separiert, aber als grandiose Einzelnummer über die Rampe schmettern. Und die von Sven Helbig fürs Operettenorchester arrangierten Einlagen wie die von Billie Eilishs Bad Guy passen wie ein maßgeschneiderter Pop-Musicalimport in diese dekadente Prinzen-Party. Deren Gelingen liegt nicht zuletzt am Beitrag der von Radek Stopka choreografierten hauseigenen Balletttruppe.
Der Staatsoperette ist hier eine Fledermaus gelungen, die den Sowieso-schon-Operettenliebhaber ebenso begeistern kann wie den Neuling, der es mal probieren will. Selbsternannte Artenschützer hin oder her. . Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Gabriel von Eisenstein, Rentier
Rosalinde, seine Frau
Adele, deren Stubenmädchen
Dr. Falke, Notar
Dr. Blind, Advokat
Frank, Gefängnisdirektor
Prinz Orlofsky
Alfred, sein Gesangslehrer
Frosch, Gerichtsdiener
Ida, Adeles Schwester
Ivan, Diener des Prinzen
Akrobatik II. Akt
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