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Ein Märchen über Gefühl und VerstandVon Stefan Schmöe / Fotos von Björn Hickmann, Stage PictureDas Reich der nächtlichen Königin, das ist der Wald mit seinen Geheimnissen. Papageno, der Vogelfänger, lebt dort, selbst ein Vogel (mit Federn auf dem Kopf), und zwar ein ziemlich bunter. Die Damen der Königin sind rabenschwarze Vögel der Nacht. Die Königin selbst: Mehr Hexe als Monarchin. Der Sonnenkreis Sarastros, das ist die Stadt, genauer: die Idealstadt der Renaissance mit zentralperspektivischen Fluchtlinien, hell und versteinert. Die Priester in ihren weißen Kutten wirken darin mitunter wie Statuen. Die Natur, und damit die Sphäre des Gefühls und des Unterbewussten, hat hier keinen Platz. Hier wächst kein Pflänzchen mehr. Die Welt der Vernunft ist kühl. Manchmal sieht man die Baumstämme des Waldes dahinter aufragen. Sehr sicher ist der Mensch offenbar nicht zuhause in dieser gedeuteten Welt, deren Fassadenhaftigkeit die Drehbühne immer wieder offenbart. Sarastro beherrscht dieses Reich vom Rollstuhl aus. Die Zeit der alten weißen Männer, die mit frauenfeindlichen Phrasen die Welt regieren, neigt sich dem Ende zu. Tamino
Regisseur Nikolaus Habjan traut sich was: Er erzählt die Zauberflöte weitgehend ungebrochen als Märchen, als Kampf zwischen Hell und Dunkel - aber nicht zwischen Gut und Böse. Eher schon zwischen Verstand und Gefühl. Natürlich ohne Gewinner, das versteht man schnell, und am Ende drängen sich Papageno und Papagena zwischen das neue Herrscherpaar Tamino und Pamina. Vorher haben beide Seiten von der Regie allerlei Spott abbekommen; die verliebt flatternden Damen ebenso wie die leicht vertrottelten Priester, die sich in ihren pathetischen Gesten gerne mal verhaspeln. Inszeniert ist das mit viel Liebe für die Figuren - und mit viel Liebe eben zur Zauberflöte, wie man sie als Kind unvoreingenommen wahrgenommen hat. Habjan nimmt das Stück so, wie es ist, und er nimmt es unbedingt ernst. Er will nichts "retten" wie so mancher andere Regisseur, auch nichts dekonstruieren und keinen gedanklichen Überbau aufsetzen. Nur wenige Dinge verfremdet er, am stärksten (neben dem Sarastro im Rollstuhl) die drei Knaben, die in Anzügen und mit silbergrauem Haar wie professorale Kommentatoren auftreten. Und so entsteht eine Zauberflöte ziemlich nahe am Libretto, das hier freilich mit der nötigen Ironie und immer mit der Musik im Ohr gelesen wird und Mozart und seinem künstlerischen Partner und Librettisten Emanuel Schikaneder unterstellt, dass sie nicht jede hehre Phrase todernst, sondern manche wohl doch eher parodistisch gemeint haben. Wenn sie die Priester im Duett warnen lassen: "Bewahret Euch vor Weibertücken", dann läuft die Musik in einem neckisch verstolperten Marsch aus, und so gehen die beiden hier hüpfend und tänzelnd ab. Tamino
Nikolaus Habjan ist Puppenspieler und Puppenbauer, und deshalb ist er als Regisseur engagiert worden. Trotzdem ist diese Zauberflöte mitnichten ein Puppentheater. Wirklich wichtige Puppen gibt es überhaupt nur zwei, nämlich die Königin der Nacht und Sarastro. In menschlicher Größe und mit beweglichen Mündern agieren sie verblüffend lebendig und schaffen doch Distanz, lassen gelegentlich auch Sängerin und Sänger (die meist hinter oder direkt daneben stehen) aus der Rolle heraustreten. In der zweiten Strophe seiner Heil'ge-Hallen-Arie geht Sarastro auf Distanz zu seiner Puppe, wird sozusagen Mensch jenseits des Prinzips, das er verkörpert. Die Puppen haben also eine unmittelbare dramaturgische Funktion, setzen darüber hinaus aber natürlich einen ästhetischen Rahmen: Was hier gezeigt wird, ist ganz prachtvolles Theater, das in keinem Moment etwas anders (schon gar nicht Wirklichkeit) sein will. Das Publikum reißt es nach dem letzten Ton aus den Sitzen, die Premiere wird mit stehenden Ovationen bedacht: Es macht einfach viel Spaß, diese unverkopfte, trotzdem kluge Aufführung anzuschauen. Und das gehört eben auch zur Zauberflöte: Das spektakuläre Volks- und Maschinentheater mit manchem Knalleffekt. Tamino und Pamina
Im Zentrum steht der Papageno, den Morgan Moody mit liedhafter und schlanker (nicht allzu klangvoller) Stimme singt und ganz ausgezeichnet spielt: Ein Mensch mit seinen Ängsten und Bedürfnissen, der das aufklärerische Pathos der Priester instinktiv unterläuft und einfach nur Mensch sein möchte. Er ist der Sympathieträger, viel mehr als der steife (und schnell zum Priester mutierende) Tamino, den Sungho Kim jederzeit souverän mit leicht metallischem Tenor singt. Aber dem haben Schikaneder und Mozart ja nicht einmal das P als Anfangsbuchstaben gegönnt, das Pamina mit Papageno (aber eben nicht mit dem ihr bestimmten Tamino) verbindet: Tanja Christine Kuhn, bildschön mit langem wallendem Haar und im marienblauen Kleid, strebt mit ihrem Sopran offenbar nach größeren Rollen und wechselt zwischen einem anrührend schlichten lyrischen und einem glutvoll lodernden Ton, ein wenig unausgeglichen, aber mit vielen berückenden Tönen und differenzierter Gestaltung. Denis Velev singt einen präsenten, ziemlich präzisen Sarastro, Antonina Vesenina eine koloratursichere Königin ohne den ganz großen Furor. Bemerkenswert ist der nuancierte Monostatos von Fritz Steinbacher (in schwarzer Lederkleidung, zunächst mit Panthermaske), der die Ambivalenz der Figur vokal wie szenisch schön ausspielt - unterdrückter Außenseiter wie potentieller Vergewaltiger. Da zeigt sich die Sorgfalt in der Personenregie. (Hier greift die Regie dann doch in den Text ein, und zwar in Monostatos' Arie Alles fühlt der Liebe Freuden". Im Original heißt es: "Und ich soll die Liebe meiden, weil ein Schwarzer hässlich ist." Das ist kurzerhand abgeändert, sicher um dem - vermeintlichen? - Rassismus keinen Raum zu geben. Dabei distanzieren sich Text und Musik doch eben davon, denn weiter heißt es: "Ist mir denn kein Herz gegeben? Ich bin auch den Mädchen gut." Und schon Wolfgang Hildesheimer hat darauf hingewiesen, dass Monostatos hier als Leitinstrument die Flöte an die Seite gestellt bekommt - eben das Instrument, das der Oper den Titel gibt und das wilde Tiere zähmen und brutale Wächter besänftigen kann, das also die Welt per Musik zu einer besseren macht. Von Bedeutung für die Inszenierung ist die Textänderung freilich nicht.) Die Knaben sind einmal mehr brillant besetzt mit (nicht namentlich genannten) Knaben der Chorakademie Dortmund, Mandla Mndebele singt einen würdevollen Sprecher, Mario Ahlhorn und Carl Kaiser sehr gute Priester und Geharnischte. Spielfreudig und gut bei Stimme agieren die drei Damen (Heejin Kim, Hyona Kim und Maria Hieflinger), Wendy Krikken steuert eine neckisch soubrettenhafte Papagena bei. Der Chor singt klangschön und verlässlich (Einstudierung: Fabio Mancini). Monotori Kobayashi dirigiert die guten Dortmunder Philharmoniker fast ein wenig altmodisch, Vorbild ist da ist eher Karajan als Harnoncourt, wählt moderate Tempi, vermeidet Extravaganzen, kann aber auch innehalten und den Text mit angemessenem Pathos unterstreichen: Wenn Papagena und Papageno wieder und wieder "so viele kleine Kinderlein" heraufbeschwören, dann gibt das Orchester dem mit deutlich verlangsamtem Tempo gehörig Nachdruck. Die Zukunft, das wollen die Freimaurer Schikaneder und Mozart hier ziemlich deutlich sagen, gehört den liebestollen Papagenas und Papagenos und nicht den asketischen Priestern. Dem schließen sich Inszenierung und musikalische Interpretation nur zu gerne an. FAZITStarker Saisonauftakt in Dortmund: Eine tolle, märchenhafte, bis auf ihre Länge familientaugliche Zauberflöte mit viel Humor auf gutem musikalischem Niveau. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie, Puppendesign, Puppenbau
Bühne
Kostüme
Mitarbeit Kostümbild
Lichtdesign
Chor
Dramaturgie
Dortmunder Philharmoniker Solisten* Besetzung der Premiere
Sarastro
Tamino
Sprecher
1. Priester
2. Priester
Königin der Nacht
Pamina
1. Dame
2. Dame
3. Dame
Drei Knaben
Papageno
Papagena
Monostatos
1. Geharnischter
2. Geharnischter
Puppenspiel
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