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Gräfin Mariza

Operette in drei Akten
Text  von Julius Brammer und Alfred Grünwald
Musik von Emmerich Kálmán

in deutscher Sprache mit Übertiteln (Liedtexte)

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Premiere  im Opernhaus Dortmund am 3. Dezember 2022
(rezensierte Aufführung:22.12.2022)




Theater Dortmund
(Homepage)
Liebesglück als Csárdástraum

Von Thomas Molke / Fotos: © Anke Sundermeier

Emmerich Kálmáns Gräfin Mariza gehört neben der Csárdásfürstin zu den größten Erfolgen des ungarischen Komponisten und gehört auch heute noch zum festen Repertoire des Musiktheaters. Ein Grund dafür mag das ungarische Lokalkolorit sein, das Kálmán in seinen Melodien so trefflich hervortreten lässt, auch wenn das besungene Varasdin aus der wohl bekanntesten Musiknummer der Operette schon zu Kálmáns Zeiten zu Kroatien gehörte und somit ein völlig falsches Bild eines operettenseligen Ungarns vermittelt. Aber solche kleinen Lügen gehören wohl zum perfekten Operettenglück dazu. Für die Inszenierung hat man mit Thomas Enzinger nicht nur einen Regisseur ans Haus geholt, der in den vergangenen Jahren in Dortmund zahlreiche Operetten mit großem Erfolg auf die Bühne gebracht hat, sondern der seit Mai 2017 auch Intendant und Geschäftsführer des Lehár Festivals Bad Ischl ist. Mit dem Magdeburger Toto, der zu diesen Inszenierungen jeweils das Bühnenbild und die Kostüme beigesteuert hat, und der Licht-Designerin Sabine Wiesenbauer bildet er in Dortmund mittlerweile ein eingespieltes Team.

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Mariza (Tanja Christine Kuhn) zwischen Baron Zsupán (Fritz Steinbacher, links) und Baron Populescu (Morgan Moody, rechts) (im Hintergrund: Chor)

Für die Inszenierung wählt Enzinger einen recht klassischen Ansatz, der die Geschichte um die wohlhabende Gräfin und den verarmten Grafen Tassilo von Endrödy-Wittemburg, der inkognito als Verwalter auf dem Gut der Gräfin arbeitet, um seiner Schwester Lisa eine standesgemäße Mitgift zu ermöglichen, in den 1920er Jahren, der Entstehungszeit des Werkes, spielen lässt. Dass er dabei nicht in musealem Kitsch versinkt, ist vor allem dem teilweise recht abstrakt gehaltenen Bühnenbild von Toto zu verdanken, das durch Einsatz der Hebebühne eine enorme Wandlungsfähigkeit besitzt und sich blitzschnell von einem leeren Hof mit ein paar rostigen Fässern, die im Bühnennebel wabern, in einen Saal mit langer Tafel verwandeln lässt, an der Marizas Gäste ausgelassen die angebliche Verlobung mit dem Baron Kolomán Zsupán feiern, einer Figur, die Mariza bzw. Kálmán aus Strauss' Zigeunerbaron übernommen hat. Als Clou stellt sich dann auch am Ende heraus, dass der Baron gar kein Baron ist, sondern ein Schauspieler, der in diese Rolle geschlüpft ist, nachdem er aufgrund eines Kritikerverrisses auf der Bühne keine Chance mehr gehabt hat und einen anderen Broterwerb suchen musste. Dass Tassilos leicht naive Schwester Lisa diese Tatsache wahnsinnig "romantisch" findet und dem jungen Mann daraufhin erst recht ihr Herz schenkt, ist wahrscheinlich eine ähnliche Operettenlüge wie die Verlegung von Varasdin nach Ungarn.

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Wahre Liebe oder nicht? Mariza (Tanja Christine Kuhn) und Tassilo (Alexander Geller) (im Hintergrund links: Fürst Populescu (Morgan Moody) mit dem Chor)

Auch das glückliche Ende für Mariza und Tassilo stellt Enzinger in seiner Lesart in Frage. Gaukeln uns die seligen Csárdás- und Walzerklänge ein falsches Liebesglück vor, das es nur im Märchen gibt? Vielleicht fügt Enzinger deshalb ein kleines Mädchen als Rahmenhandlung ein. Das Kind (Liselotte Thiele) ist wohl die Enkeltochter des alten Dieners der Gräfin, Tschekko (Christian Pienaar), der dem Mädchen die Geschichte von Mariza und Tassilo erzählt. Vor der Ouvertüre sieht man die beiden auf der von Nebel umhüllten Bühne, während die Seherin Manja die Karten legt und Wojciech Wieczorek mit viel Pathos auf seiner Geige spielt. Dann wird das Kind zur Zuschauerin und beobachtet von der Seitenbühne das Geschehen. Zwischendurch unterbricht sie auch die Geschichte mit Zwischenfragen, die von Tschekko beantwortet werden. Am Schluss ist sie es auch, die das glückliche Ende für Mariza und Tassilo herbeiführt. Als die beiden im dritten Akt auseinandergehen wollen, protestiert sie, dass die Geschichte ja gar kein glückliches Ende nehme, woraufhin Tschekko dann mutmaßt, dass die beiden vielleicht doch noch "über ihren Schatten springen" und sich ihre Liebe eingestehen. Daraufhin fallen sich Tassilo und Mariza in die Arme, aber ob das nur eine Kinderphantasie oder real ist, lässt Enzingers Inszenierung offen.

Ein Problem, das die Dortmunder Inszenierung mit dem Stück hat, ist die Verherrlichung des Wortes "Zigeuner" im Text, die man auf keinen Fall mittragen will, um sich von jeglicher Diskriminierung zu distanzieren. Das beginnt damit, dass Manja, die im ersten Akt der Gräfin prophezeit, sich in den nächsten vier Wochen in einen adeligen, ehrlichen Mann zu verlieben, nicht als Zigeunerin sondern als Seherin bezeichnet wird. Auffälliger wird die Vermeidung des "Z"-Wortes in den Liedern. Da ist zunächst Marizas Lied "Höre ich Zigeunergeigen". Aus der ständig wiederholten Aufforderung "Spiel für mich, Zigeuner" wird in der Inszenierung "Spiel für mich, mein Geiger", was von der Betonung ebenfalls gut passt. Aus dem "Zigan" in Tassilos berühmter Musiknummer "Komm, Zigan, komm, Zigan, spiel mir was vor" wird ein "Prímás", ein virtuoser Geiger der normalerweise als Solist einer ungarischen Kapelle fungierte. Auch hier passt die Betonung genau, und auch die Bezeichnung dürfte für den Geiger des Stückes passend sein. Bei der Uraufführung hat der Tassilo-Darsteller Hubert Marischka bei diesem Lied sogar selbst die Geige an sich gerissen und seine Virtuosität auf dem Instrument unter Beweis gestellt. Insgesamt lässt sich festhalten, dass es in Dortmund gelingt, das "Z"-Wort aus dem Text der Operette zu verbannen, ohne dabei den Text gegen den Strich bürsten zu müssen.

Musikalisch und darstellerisch bietet der Abend beste Operettenunterhaltung. Die Sängerinnen und Sänger sind wie bei einer Musical-Produktion allesamt mit Mikrophonen verstärkt, was im Großen und Ganzen gut funktioniert. Nur wenn sich der nicht verstärkte Chor mit den Solist*innen mischt, entsteht bisweilen ein kleines Ungleichgewicht, wobei der von Fabio Mancini einstudierte Chor durch große Spielfreude und Stimmgewalt überzeugt. Tanja Christine Kuhn ist eine emanzipierte und sehr selbstbewusste Mariza, die den Männern nicht über den Weg traut und mit wunderbarem Spiel deutlich macht, wie sie bei Tassilo im Verlauf des Stückes ihre Haltung ändert. Stimmlich punktet Kuhn mit einem satten, stellenweise recht dunkel angelegten Sopran vor allem in ihren beiden Solonummern. Alexander Geller lässt sich zwar zu Beginn der Aufführung als leicht indisponiert entschuldigen, meistert die Partie des Tassilo aber mit sauber angesetzten Spitzentönen und findet mit Kuhn in den beiden Duetten zu einer bewegenden Innigkeit. Auch das Duett mit seiner Schwester Lisa entwickelt sich zu einem Höhepunkt des Abends, zumal Toto die beiden in eine Traumwelt in einem riesigen Kinderzimmer eintauchen lässt. Unklar bleibt nur, wieso der riesige Hase bei "O schöne Kinderzeit" mit modernen Rap-Bewegungen das Publikum aus den Walzerträumen reißt. Soyoon Lee gestaltet die Partie der Lisa mit mädchenhaftem Sopran und leicht naivem Spiel.

Als Idealbesetzungen dürfen auch Morgan Moody als Fürst Populescu und Fritz Steinbacher als Baron Zsupán bezeichnet werden. Moody gibt einen herrlich fiesen und arroganten Fürsten, der alle Rivalen um die Gunst Marizas um jeden Preis ausschalten will. So ist er es auch, der Mariza den verräterischen Brief Tassilos in die Hände spielt, der sie an Tassilos ehrlichen Absichten zweifeln lässt. Steinbacher präsentiert sich erneut als Vollblutkomödiant, der mit herrlichem Akzent den liebeskranken Baron mimt, der erst Mariza den Hof macht und gar nicht bemerkt, dass Lisa ihm ständig Avancen macht. Fraglich ist nur, wieso an den Ohrwurm "Komm mit nach Varasdin" eine Art Rap-Version angeschlossen wird, die von Steinbacher und den Tänzern auf den Fässern begleitet wird. Das ist zwar technisch gut, zerstört aber ein wenig den Operettengenuss des Stückes. Überhaupt ist in vielen Teilen nicht klar, was die von Evamaria Mayer choreographierten Tänzerinnen und Tänzer sollen. Im zweiten Akt, wenn alle im Tarabin ein großes Tanzfest feiern, verbreiten die Tänzerinnen und Tänzer im Look der 1920er Jahre beim Charleston Revue-Flair. Die Musik dazu stammt größtenteils aus Kálmáns Herzogin von Chicago und von Kálmáns Sohn Charles aus einer Einlage, die 1966 für eine Spielfassung der Gräfin Mariza am Gärtnerplatztheater in München eingefügt worden ist. Bei den modernen Bewegungen zum Csárdás und Walzer wird die Funktion der Tänzerinnen und Tänzer aber nicht ganz klar.

In Dortmund funktioniert Operette in der Regel nicht ohne Johanna Schoppa und Kammersänger Hannes Brock. Für Schoppa hält auch Gräfin Mariza mit der Partie der Fürstin Božena Guddenstein zu Clumetz eine Paraderolle bereit. Mit großartiger Komik spielt Schoppa die schrullige Tante Tassilos, die kurzerhand alle seine Schulden bezahlt hat und ihn wieder zu einem reichen Mann macht, als nicht altern wollende Diva, deren Chirurg dafür gesorgt hat, dass sie zwar keine Falten hat, dafür allerdings auch über keinerlei Gesichtsmimik mehr verfügt. Dafür hat sie ihren Kammerdiener Penižek, der von Brock mit großartigem Spielwitz präsentiert wird und ihre Freude oder Betroffenheit mimisch zum Ausdruck bringen muss. Seine zahlreichen Anspielungen auf die verschiedensten Theaterstücke, die er als ehemaliger Theaterkritiker in den Stücktext einfließen lässt, zeugen ebenfalls von großem Sprachwitz. Leider erklingt in der besuchten Aufführung nicht das für ihn eingefügte Couplet "So ein Pech muss mir passieren" aus Kálmáns Herbstmanöver, für das Brock gemeinsam mit dem Dramaturgen Daniel Andrés Eberhard und Fabius Tietje eine eigene Textfassung für Dortmund erstellt hat. Aber auch ohne diese Nummer bilden Brock und Schoppa im dritten Akt einen Höhepunkt der Inszenierung, zumal Schoppa als Fürstin dann auch noch den Fürsten Populescu bekommt, der jahrelang um sie geworben hatte. Olivia Lee-Gundermann schwelgt mit den Dortmunder Philharmonikern in seligen Operetten-Klängen, so, dass am Ende großen und verdienten Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Die Dortmunder Inszenierung bietet einen in weiten Teilen klassischen Zugang zum Stück, der die Operette nicht verbiegt und in ihrer Komik ernst nimmt. Das Ensemble überzeugt durch große Spielfreude.

 

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Olivia Lee-Gundermann

Regie
Thomas Enzinger

Bühne und Kostüme
Toto

Choreographie
Evamaria Mayer

Licht-Design
Sabine Wiesenbauer

Choreinstudierung
Fabio Mancini

Dramaturgie
Daniel Andrés Eberhard

 

Dortmunder Philharmoniker

Opernchor Theater Dortmund

Statisterie Theater Dortmund

 

Solisten

*rezensierte Aufführung

Gräfin Mariza
Tanja Christine Kuhn

Fürst Moritz Dragomir Populescu
*Morgan Moody /
Marcelo de Souza Felix

Baron Kolomán Zsupán
Fritz Steinbacher

Graf Tassilo von Endrödy-Wittemburg
Alexander Geller

Lisa, Tassilos Schwester
Soyoon Lee

Fürstin Božena Guddenstein zu Clumetz
Johanna Schoppa

Penižek, ihr Kammerdiener
Ks. Hannes Brock

Tschekko, ein Diener Marizas
Christian Pienaar

Manja, eine Seherin
*Margot Genet /
Vera Fischer /
Ruth Katharina Peeck

Tänzerinnen
*Janina Clark
*Marlou Düster
Nathalie Gehrmann
*Helena Sturm
*Elisa Fuganti Pedoni

Tänzer
*Stephen Sole
*Iván Keim
Max Luca Maus
*Christian Meusel
*James Atkins

Ein Geiger
*Wojciech Wieczorek /
Martin Ihle

Ein Kind
*Liselotte Thiele /
Rosa Al-Madani /
Cataleya Maria Kronwald

 


Weitere
Informationen

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Theater Dortmund
(Homepage)



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