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Aus den Augen des Paters Von Thomas Molke / Foto: © Leszek Januszewski
Sergej Prokofjews Romeo und Julia zählt heute neben Tschaikowskys Schwanensee, Nussknacker und Dornröschen, Adams Giselle und Delibes Coppélia zu den bekanntesten Handlungsballetten im Tanzrepertoire, auch wenn der Weg dorthin nicht ganz einfach war. Als er die Musik dem Moskauer Bolshoi-Theater 1935 vorstellte, stieß er zunächst auf große Ablehnung. Die Musik habe keinen Rhythmus und sei nicht tanzbar, lautete das vernichtende Urteil. So packte Prokofjew die Musik zunächst in zwei Suiten, die 1936 und 1937 in Leningrad uraufgeführt wurden und die Zeitgenossen milder stimmten. Für eine Uraufführung des Balletts reichte es aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die fand am 30. Dezember 1938 relativ unbeachtet im Mahen-Theater im tschechischen Brünn statt. Die russische Erstaufführung folgte erst am 11. Januar 1940 im Leningrader Kirow-Theater, dieses Mal in einer Ausstattung und einer Umsetzung, die dem Komponisten viel zu pathetisch war. Dennoch trat von da an das Werk in Russland seinen Siegeszug an, der mit den Inszenierungen von John Cranko in Stuttgart 1962 und John Neumeier in Frankfurt 1971 und Hamburg 1974 auch in Westeuropa fortgesetzt wurde. Nachdem der Dortmunder Ballettintendant Xin Peng Wang bereits 2008 eine sehr abstrakte Choreographie zu Prokofjews Musik kreiert hat, hat er nun Jean-Christophe Maillot, den Leiter des Ballets de Monte Carlo, gewinnen können, dessen Choreographie von 1996 mit der Dortmunder Compagnie einzustudieren. Romeo (hier: Filip Kvaćák) und Julia (hier: Sae Tamura) Maillot rückt die Figur des Pater Lorenzo in den Mittelpunkt der Handlung und lässt die Geschichte gewissermaßen als Retrospektive aus seiner Sicht passieren. Während der Ouvertüre erinnert die Szene noch an einen Film aus guter, alter Zeit. In verschnörkelten Buchstaben werden die Namen des Inszenierungs-Teams und der Tänzerinnen und Tänzer auf den Vorhang projiziert, bevor beim Beginn des Stückes zu einem herzzerreißenden Akkord Pater Lorenzo (Simon Jones) mit seinen beiden Messdienern (Matheus Vaz und Alessandro Ciotta) sichtbar wird, wobei sich der Schmerz der Musik auf die Mimik und Gestik des Paters, der von den Messdienern emporgehoben wird, überträgt. So sehr scheint ihn die Katastrophe zu verletzen, die er schlussendlich in bester Absicht ausgelöst hat. Das Bühnenbild von Ernest Pignon-Ernest ist sehr abstrakt gehalten. Einige weiße Wände im Hintergrund deuten das Haus an, in dem die Capulets wohnen. Eine lange Rampe, die später auch als Balkon dient, führt aus diesem Haus heraus. Zwei weitere Wände werden beinahe tänzerisch über die Bühne geschoben, um jeweils neue Räume zu erzeugen. Die Kostüme von Jérôme Kaplan kennzeichnen die beiden Familien recht farblos, die Capulets ein wenig dunkler, die Montagues etwas heller, so dass man sie gut auseinanderhalten kann. Auf Farben wird in den Kostümen größtenteils verzichtet, um die Tragik der Geschichte zu unterstreichen. Mercutio (Márcio Barros Mota, Mitte) provoziert die Capulets (Ensemble). Trotzdem gibt es in der Choreographie auch komische Momente. Diese gehören vor allem Julias Amme, die von Giuditta Vitiello mit großem Spielwitz präsentiert wird. Ihre Bewegungen sind dabei nahezu slapstickartig, wobei ihre innige Zuneigung zu Julia immer deutlich bleibt. Gerade im Spiel mit Márcio Barros Mota als Mercutio und Joshua Green als Benvolio läuft sie zu Höchstform auf und hat einige der amüsantesten Szenen des Abends. Barros Mota punktet als etwas respektloser Mercutio mit großartigen Sprüngen und leichtem Spiel. Gleiches gilt für Green als Benvolio. Großartig wird von den beiden umgesetzt, wie die ersten kleinen Neckereien in einen handfesten Streit mit den Capulets münden. Francesco Nigro übernimmt hierbei als Tybalt eine sehr führende und einflussreiche Rolle. So legt er es von Anfang an darauf an, dass es irgendwann im Verlauf des Stückes zum fatalen Eklat kommen muss. Schon beim ersten Aufeinandertreffen der beiden Clans, bei dem die Montagues zunächst nur mit drei Mädchen flirten, bevor die Capulets erscheinen und ebenfalls um die Mädchen werben, gibt es den ersten Toten bei den Capulets. Rosalinde (Amanda Vieira) taucht in der ersten Szene an der Seite Tybalts auf. Sie ist es, die Romeo fasziniert und dazu veranlasst, mit seinen Freunden maskiert den Ball bei den Capulets aufzusuchen. Einen Grafen Capulet gibt es in Maillots Inszenierung nicht. Seine Frau ist wohl Witwe und vereinigt die Härte beider Elternteile. Manuela Souza legt die Rolle absolut kalt und gefühllos an, was mit abgehacktem Bewegungsvokabular ausgedrückt wird. Warme Mutterliebe sucht man bei ihr vergeblich. Da verwundert es nicht, dass Julia sich mehr zu ihrer Amme hingezogen fühlt. Daria Suzi zeigt sich als Julia wunderbar unschuldig und mädchenhaft. In einem ersten Pas de deux mit ihrer Amme gibt sie sich absolut spielerisch, bevor sie auf dem Ball ihrem designierten Gatten, dem Grafen Paris, präsentiert wird. Maksym Palamarchuk spielt den Grafen recht steif, so dass gut nachvollziehbar ist, dass Julia sich auf dem Ball anderweitig verliebt. Simone Dalé ist ein durch und durch romantischer Romeo, der beim ersten Anblick Julias Rosalinde sofort vergisst und weiß, dass sein Herz nur noch für Julia schlägt. Dalé und Suzi erhalten einen innigen Moment auf dem Ball, bevor Tybalt ihn enttarnt und aus dem Haus jagt. Doch das kann Romeo nicht aufhalten. So kommt es zur berühmten Balkonszene, in der sich die beiden in einem innigen Pas de deux ihre Liebe gestehen. Pater Lorenzo (Simon Jones, mit Sae Tamura als Julia) ahnt, dass sein Plan scheitern wird. Nach der Pause versucht Pater Lorenzo, mit einem Puppenspiel vor dem traurigen Ausgang der Geschichte zu warnen. Mit seinen beiden Messdienern lässt er Romeo, Julia, Tybalt und Mercutio hinter einem schwarzen Vorhang als Puppen auftreten und den weiteren Verlauf der Geschichte spielen. Doch auch diese Warnung kann das tragische Ende nicht verhindern. Mit einem weißen steifen Stoff, der sich zu einem halbrunden Dach formen lässt, werden Romeo und Julia von ihm getraut, und das Unglück nimmt seinen Lauf. Nahezu pantomimisch wird das Aufeinandertreffen der beiden Clans auf dem Marktplatz angelegt, bei dem Mercutio von Tybalt getötet wird, nachdem Romeo mehrmals versucht hat, den Streit zu schlichten, und Tybalt seine Freundschaft angeboten hat. Doch im Angesicht des toten Mercutio verliert Romeo die Nerven. Jetzt wechselt die Choreographie in Zeitlupe. Im Eingang zum Haus tötet Romeo Tybalt und muss anschließend aus der Stadt fliehen. Lady Capulet trauert um Tybalt wie um einen Geliebten und ordnet die sofortige Hochzeit zwischen ihrer Tochter und Paris an. Julia wendet sich verzweifelt an Pater Lorenzo. Die Übergabe des Schlaftrunks erfolgt recht abstrakt. Aus dem Bett auf der rechten Seite der Bühne wird die Gruft, in der Julia aufgebahrt wird, um von Romeo gerettet zu werden. Dieser hat allerdings die Nachricht, dass Julia nur scheintot ist, nicht erhalten, und eilt völlig verzweifelt in die Gruft. Das keilförmige Podest, auf dem Julia liegt, dient ihm als Waffe, mit der er sich das Leben nimmt. Eindrucksvoll versucht er zuvor, mit einem Kuss der Geliebten neues Leben einzuhauchen, und man hat fast den Eindruck, es könnte ihm gelingen. Doch Julia erwacht zu spät. Pater Lorenzo versucht, sie aus der Gruft zu locken, bevor sie ihren toten Gatten sieht. Doch dieser Versuch misslingt. Julia ist verzweifelt, und zieht ein rotes Tuch aus Romeos Kleidung. Zunächst könnte man denken, es handle sich um das Blut des Geliebten. Doch dann verwendet Julia das Tuch, um sich zu strangulieren. Lorenzo ist verzweifelt. Nun hat er erneut das heraufbeschworen, was er eigentlich verhindern wollte. Das Ensemble setzt die Choreographie mit neoklassischem Bewegungsvokabular eindrucksvoll um. Karsten Scholz lotet mit den Dortmunder Philharmonikern die eruptive Musik Prokofjews, die stellenweise den Charakter von Filmmusik hat, differenziert aus, so dass es großen Beifall für alle Beteiligten im ausverkauften Haus gibt. FAZITDiese mittlerweile 27 Jahre alte Choreographie kommt immer noch absolut modern daher und hat keinen Staub angesetzt. Das Dortmunder Ballett stellt erneut unter Beweis, wieso es zu den führenden Compagnien in NRW zählt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung, Choreographie
Bühnenbild
Kostüme
Lichtdesign
Einstudierung
Dortmunder Philharmoniker
Tänzerinnen und Tänzer *rezensierte Aufführung
Julia
Romeo
Lady Capulet
Tybalt
Die Amme
Mercutio
Benvolio
Paris
Rosalinde
Pater Lorenzo
Zwei Messdiener
Clan der Montague
Herren
Clan der Capulet
Herren
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