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Leiche im Kofferraum
Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung Diese Lady Macbeth hat es auch rund 90 Jahre nach der Uraufführung 1934 in sich. Hin und wieder geht ein Raunen durchs Detmolder Premierenpublikum, wenn das Libretto unverblümt und ziemlich frivol auf die sexuellen Begierden der Menschen auf der Bühne zu sprechen kommt. Und auch, wenn Schostakowitschs Musik von abgründig tiefsinnigen Passagen unvermittelt in trivial anmutende (dabei ziemlich raffiniert collagierte) Jahrmarktsmusik umschlägt. Wenn man heute staunt, wie modern diese Oper wirkt, dann sagt das im Umkehrschluss auch viel über das gängige Bild von Oper aus, das speziell in seinem Frauenbild eben doch vom 19. Jahrhundert geprägt ist. Schostakowitschs Katerina Ismailowa widersetzt sich den demütig den Liebestod sterbenden Desdemonas und Isolden der Operngeschichte. Sie fordert eine selbstbestimmte Sexualität ein, und mehr noch: Sie rebelliert damit gegen die patriarchalischen Strukturen, in die sie hineingeheiratet (und die sie damit vorgeblich akzeptiert) hat. Damit bleibt sie in Schostakowitschs Charakterisierung die Sympathieträgerin, wenn auch mit kräftigen Ambivalenzen, ermordet sie doch im Verlauf des Stückes ziemlich kaltblütig drei Menschen. Regisseur Joan Anton Rechi tut gut daran, seine Katerina, anders als vom Libretto vorgesehen, am Ende überleben zu lassen, wenigstens für den Moment. So steht sie, vom letzten Lichtstrahl vor dem Abblenden für Sekundenbruchteile gestreift (Licht: Carsten Lenauer), wie ein heroisches Mahnmal auf der Bühne: Es gibt noch einiges zu tun, auch im Jahr 2023. Frustriert vom unerfüllten Eheleben: Katerina IsmailowaBei aller Aktualität versetzt Rechi die Handlung keineswegs in die Gegenwart, vielmehr bleiben die Kostüme vage historisch und könnten im Wesentlichen auch in der russischen Provinz verortet werden (Ausstattung: Markus Meyer). Zentrales Element auf der Bühne ist ein Automobil älteren Baujahrs, ein Daimler, und der sagt natürlich: Die Geschichte könnte sich auch in der Wirtschaftswunder-BRD abgespielt haben. Auf dem Beifahrersitz lamentiert Katerina über die Langeweile ihres Lebens an der Seite des impotenten Gatten Sinowi, auf der Rückbank hat sie zur berühmt-berüchtigten Kopulationsmusik Sex mit dem Arbeiter Sergej, im Kofferraum verstecken die beiden später die Leiche Sinowis - da hat sie ihren bösartigen Schwiegervater Boris bereits mit Rattengift ermordet. Der Wagen steht als Symbol für den Reichtum, den Katerina durch die Heirat mit dem Kaufmannssohn gewonnen hat und der doch nicht annähernd ausgleichen kann, was ihr an Liebe und eben auch an Sexualität fehlt. Vor allem aber versteht es Rechi, diesen Wagen geschickt als vielfältig nutzbare Spielfläche einzusetzen, die es ihm ermöglicht, auf eine räumliche Festlegung zu verzichten - es gibt kein Haus und keinen Hof und damit auch kein Lokalkolorit. Und doch wird die Geschichte mit hoher Präzision und der Spannung eines Krimis erzählt. Nicht weiter ernst zu nehmen: Katerinas Ehegatte Sinowi Dafür bietet das Theater Detmold ganz hervorragende Darsteller auf. Shelley Jackson singt die Katerina nicht mit im eigentlichen Sinne "schöner" Stimme, dazu ist ihr im Forte flackernd-nervöser, gleichzeitig bestechend präsenter Sopran zu unruhig, aber genau das passt hervorragend zur Charakterisierung ihrer Figur. Auch darstellerisch hält sie diese Katerina in der Schwebe, schafft mit ihrer Radikalität und auch Brutalität eine Distanz, zeigt gleichzeitig die Zerrissenheit - damit gelingt Shelley Jackson ein sehr beeindruckendes Rollenportrait von hoher Intensität. Zoran Todorovich gibt den flatterhaften Liebhaber und Frauenhelden Sergej mit strahlendem, unanfechtbarem Tenorglanz und macht auch optisch einiges her. Dagegen hat der arg brave, kindlich schüchterne Ehegatte Sinowi, von Ji-Woon Kim stimmlich akkurat gesungen, keinerlei Chance. Ein ganz anderes Kaliber ist da schon dessen Vater Boris, dem Ralf Lukas, äußerlich ein wenig an Leonard Cohen erinnernd, stimmlich großes Format verleiht. Da wird auch vokal eindrucksvoll der Rahmen abgesteckt, in dem sich Katerina behaupten und durchsetzen muss. Katerina hat dem verhassten Schwiegervater Boris Rattengift ins Pilzgericht gemischtAuch die kleineren Partien sind ausgezeichnet besetzt. Wobei die Regie die zu Beginn vergewaltigte Köchin Axinja (eindrucksvoll: Lotte Kortenhaus, deutlich jünger angelegt als vom Libretto vorgesehen) zur Mitwisserin des Giftmordes und zur zusätzlichen Hauptfigur aufwertet. Das weitet die Problematik vom individuellen Schicksal Katerinas zu der eines indiskutablen (gleichwohl tradierten) Frauenbildes, das in der Frau immer nur das Sexualobjekt (und nie das Subjekt) sieht. Seungweon Lee gibt einen komödiantisch angelegten Popen, Karsten Münster verleiht dem daueralkoholisierten "Schäbigen" Würde und große Stimme, und Dorothee Bienert beeindruckt mit jugendlich aufflammendem Sopran in der Rolle der jungen Zwangsarbeiterin Sonjetka, der Sergej am Ende verfällt und die zum dritten Mordopfer Katerinas wird - auch diese Figur ist vielschichtig angelegt. Gesungen wird in der deutschen Übersetzung (dazu gibt es den Text auch noch per Übertitel), wobei die Sängerinnen und Sänger sehr genau mit dem Text umgehen und so auch Feinheiten vermitteln, die im russischen Original dem (deutschen) Publikum verborgen blieben. Vor allem aber wirken so die Derbheiten des Textes sehr viel unmittelbarer als im Umweg über die Übersetzung per Übertitel. Sergej und Katerina auf dem Weg in die Deportation - da hat er das Interesse an ihr längst verloren. Die ersten beiden Akte entwickelt Rechi mit atemberaubender Spannung. Nach der Pause hängt die Aufführung dann ein wenig durch, weil er die Szene auf dem Polizeirevier als amüsante Kabarettnummer anlegt - durchaus mit Witz auschoreographiert und vom Publikum beklatscht, aber dieses (etwas behäbige) komische Element verändert den Charakter der Inszenierung, weil es nicht mehr die Schärfe des Vorangegangenen und keine Anbindung an die Geschichte besitzt. Seungweon Lee, der Pope, überbrückt - assistiert von Lotte Kortenhaus - die Umbaupause zum vierten Akt mit einer ebenfalls kabarettreifen Nummer vor dem Vorhang, bei der er im Grunde lediglich mit ausschweifender Mimik von der Hochzeitstorte isst. Just bei der Vermählung von Katerina und Sergej wurde die Leiche Sinowis entdeckt, und einen Akt später befinden sich die Mörder Katerina und Sergej auf dem Weg in die Deportation. Dafür verschwindet das Auto, und zunächst wirken die Chortableaus ziemlich konventionell. Erst in der Schlussszene, in der Katerina ihre Nebenbuhlerin Sonjetka brutal in einem Wascheimer ertränkt (und nicht mit ihr gemeinsam in einen Fluss stürzt), erreicht Rechi wieder das spannungsreiche Niveau der ersten beiden Akte. Kurz vor dem letzten Mord: Katerina und Rivalin SonjetkaDirigent Per-Otto Johansson gelingt es mit dem sehr guten Detmolder Symphonieorchester ganz ausgezeichnet, die verschiedenen Stilebenen Schostakowitschs schlüssig zu verbinden und doch pointiert die Überraschungsmomente als solche herauszustellen. Da darf es im Graben auch schon mal kräftig ironisch walzern und gefährlich marschieren, aber das Orchester findet genauso schnell hochkonzentriert zu Ernst und Tragik zurück. Die grellen Effekte vermeidet Johansson, und nie klingt die Musik vordergründig plakativ. Chor und Extrachor singen klangprächtig und zuverlässig.
Diese Lady Macbeth aus der allgegenwärtigen russischen Provinz ist eine Wucht: Szenisch wie musikalisch eine mitreißende, über weite Strecken ungemein spannende und in ihrer Vielschichtigkeit sehr aktuelle Produktion mit tollen Sängerdarstellern. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Licht
Maske
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Boris
Sinowi
Katerina
Sergej
Axinja
Der Schäbige
Verwalter
Hausknecht
1. Vorarbeiter
2. Vorarbeiter
Mühlenarbeiter
Kutscher/ Betrunkener Gast
Pope
Polizeichef
Polizist/ Sergeant
Lehrer
Wächter
Sonjetka
Alter Zwangsarbeiter
Zwangsarbeiterin
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