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Der Krieg der Alten tötet die Kinder
Von Stefan Schmöe / Fotos von Bettina Stöss Selbst über den Leichen ihrer Kinder bleiben sie unversöhnlich, die Capulets und die Montagues. Da kann sich Pater Lorenzo mühen, wie er will. Bereits zur Ouvertüre des Balletts hat er versucht, die beiden jungen Mütter zu versöhnen, ohne Erfolg, vielmehr verheddert sich der couragierte Geistliche bereits da ganz bildlich in den Stricken und Verstrickungen zwischen den verfeindeten Familien. Rot die Montagues, blau die Capulets. Die Eltern in nur dezent historisierenden, letztendlich zeitlosen Kostümen eleganter Bürgerlichkeit. Ein Kostüm- und Historiendrama hat Choreographin Katharina Torwesten nicht im Sinn, belässt die Geschichte aber weitgehend im vertrauten bildlichen Rahmen (Ausstattung: Michele Lorenzini). In den Wänden mit Rundbogenfenstern, von denen die Bühne begrenzt wird, kann man einen Renaissancepalast erkennen (wobei im Wissen um den Handlungsort Verona auch die dortige Arena in den Sinn kommen kann). Während des schicksalsträchtigen Maskenballs, auf dem sich Julia und Romeo erstmals begegnen, hängen dramatisch Schwerter von der Decke. Pater Lorenzo zwischen den verfeindeten Capulets (in blau) und Montagues (in rot)Die Generation Romeos sieht anders aus, das sind übermütige Halbstarke, die sich auf der Straße vor Graffitis treffen - die West Side Story lässt nicht nur grüßen, sondern spielt unaufdringlich, aber deutlich in die Choreographie hinein. Neben dem Krieg der Familien macht das den Generationenkonflikt zum anderen, letztendlich wichtigeren Thema der Inszenierung. Julias Vetter Tybalt erscheint mit offenem Hemd als viriler Anführer einer Gang of Verona - Levin Michel stellt ihn beeindruckend dar mit herausforderndem Charisma und unerschütterlichem Selbstbewusstsein. Auf Seiten der Montagues hält auf ganz andere Weise Mercutio dagegen, drahtig und agil, ein Spötter, der selbst dann, als er von Tybalt tödlich verwundet ist, bis zum letzten Atemzug seine Gegner lächerlich machen will. Von Caio Amaral wird das hinreißend getanzt, diese mitreißend inszenierte Szene ist einer der Höhepunkte der Aufführung. Und (nicht nur) hier zeigt sich, wie sorgfältig Katharina Torwesten die Charaktere entwickelt und jeder Figur eine ausgeprägte Individualität gibt. Die Tänzerinnen und Tänzer der Detmolder Compagnie, schon von der äußerlichen Erscheinung her sehr unterschiedlich, setzen das exzellent um. Maskenball im Hause Capulet Torwesten stellt den Tanz konsequent in den Dienst des Dramas und der psychologischen Entwicklung des Personals. Nie tritt die Handlung auf der Stelle, immer entwickelt sich die Geschichte stringent weiter. Es gibt durchaus komische Momente, etwa wenn vor dem Ball bei den Capulets sich verschiedene Tänzerinnen und Tänzer vor dem Vorhang dem Publikum zuwenden, als stünde dort ein Schminkspiegel, und letzte Korrekturen am Outfit vornehmen. Oder in der ironischen Konzeption des Prinzen Paris, dessen Frau Julia werden soll - Arsen Chraghyan führt ihn als eitlen, selbstverliebten Gecken vor, aber mit großer Eleganz. Er verkörpert das Establishment, gegen das die Jugend aufbegehren muss. Dagegen wirkt selbst Julias Vater (mit jugendlich anmutender Würde: Alexander Diedler) moderat liberal. Der Lady Capulet verleiht Mirea Mauriello die exaltierten Züge einer pathetisch leidenden Tragödin (freilich alles andere als unschuldig). Romeo tötet Tybalt; am Boden der erstochene MercutioUmwerfend stellt Veronika Jungblut die Julia dar, zu Beginn halb Kind und halb Frau. In ihrem ersten Auftritt räkelt sie sich nach dem Erwachen aufreizend und doch naiv-unschuldig im Bett - das ist auf den Punkt genau choreographiert. Zunächst trägt sie nur einen Spitzenschuh und muss später den zweiten auf Drängen der Mutter anziehen. Auch in solchen Details zeigt sich die Originalität, mit der Katharina Torwesten die Form des Handlungsballetts mit ganz eigener Handschrift ausfüllt. Diese Julia verliert im Verlauf der Handlung ihre Unbeschwertheit und den Übermut, den sie noch bei der heimlichen Trauung an den Tag legt, wo sie vor lauter Küssen kaum etwas von der Zeremonie mitbekommt. Gegen diesen Wirbelwind wirkt der Romeo von Leony Rafael Boni, Typ "Schwiegermutters Darling" (was ihm bekanntlich nichts hilft), eine Spur zu brav. Aidan Cole Grierson ist ein sympathischer Benvolio. Dem Pater Lorenzo könnte die Choreographie ein paar allzu pathetisch geratene Gesten ersparen; Felipe dos Santos Vasques tanzt ihn mit hoher Autorität und Präsenz als Stimme der Vernunft und Hoffnung. Umsonst. Verliebt: Julia und Romeo GMD Per-Otto Johansson am Pult des mitunter ein wenig wacklig klingenden Sinfonieorchesters beschränkt sich allzu sehr darauf, das Geschehen auf der Bühne zu begleiten und bleibt in den Lautstärken ziemlich moderat. Dabei dürfte er es bei Prokofjews genialer Komposition ruhig so richtig krachen lassen und die Kontraste schärfen. Was auf der Bühne passiert, ist allemal stark genug, um dagegenzuhalten. Stehende Ovationen vom Premierenpublikum.
Ein starkes Stück Tanz - Katharina Torwesten erfüllt mit ihrer spannenden Choreographie nicht nur bravourös die Erwartungen an Prokofjews großes Handlungsballett, sondern deckt mit ihrer genauen Charakterzeichnung der Figuren das ziemlich moderne Generationendrama dahinter auf. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Choreographie
Ausstattung
Licht
Maske
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Julia
Romeo
Mercutio
Tybalt
Pater Lorenzo
Lady Capulet
Lady Montague
Sir Capulet
Benvolio
Graf Paris
weiteres Ensemble und Gäste
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